Die Spatzen, die Tauben und der grüne Kakadu

Die Spatzen pfeifen von den Dächern, dass die ÖVP einen Nachfolger für Bundeskanzler Karl Nehammer sucht. Harry Bergmann hört die Gesänge und möchte ihnen nur zu gern Glauben schenken.

Harry Bergmann
am 03.08.2022

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Gelinde gezwitschert: Bundeskanzler Nehammer hat nicht das Format, um den aktuellen Krisen gerecht zu werden

Ich bin alles andere als ein Ornithologe, aber wenn die Spatzen etwas von den Dächern pfeifen, dann höre ich das natürlich auch. In den letzten Wochen pfeifen sie, dass der Bundeskanzler Nehammer doch kein anderer ist, als der ehemalige Innenminister Nehammer, der schon kein anderer war, als der noch ehemaligere Generalsekretär Nehammer, welcher erst recht kein anderer gewesen war, als der ehemaligste Bezirksparteiobmann Nehammer.

Was die pfeifenden Spatzen damit meinen ist, dass Nehammer – gelinde gezwischert – kein großer politischer Kopf sei, keiner, der Sprosse für Sprosse auf der Politleiter dazugelernt hätte und heute mit der Weitsicht gesegnet wäre, die seine Partei, seine Regierung, sein Land dringend benötigen würde. Letzteres ist deshalb umso bedauerlicher, weil es ja nicht nur sein Land ist, sondern unser aller Land.

Nehammer ist heillos überfordert. Gut, das wären andere vielleicht auch, aber andere sind nicht mit 100 Prozent aller Stimmen zum Parteivorsitzenden einer einst großen Partei gewählt worden, andere müssen nicht die Trümmer eines schnöseligen Blenders – übrigens im Gegensatz zu Nehammer hoch talentiert – und einer nasalen Eintagsfliege aufräumen, andere haben nicht multiple Krisen dieses Ausmaßes an der Backe.

Wenn er doch wenigstens den Mund halten würde, wie sein großer, kleiner Nachbar Olaf Scholz. Dann würde er der ÖVP zwar auch keine Höhenflüge bescheren, aber zumindest würde er ihr jenen Abgrund ersparen, den Friedrich Schiller im „Taucher“ schon vorausgeahnt hat:

Und schwarz aus dem weißen Schaum

klafft hinunter ein gähnender Spalt

grundlos, als ging’s in den Höllenraum

Und reißend sieht man die brandenden Wogen

Hinab in den strudelnden Trichter gezogen.

Ich könnte viel über diesen Unglücksraben Nehammer sagen. Ich könnte sagen, dass er angeblich gebeten wurde, sich nicht in den Tiroler ÖVP-Wahlkampf einzubringen, weil der schon schlecht genug läuft. Ich könnte sagen, dass er einen Preisgipfel erst dann einberufen hat, als die Preise schon jegliche Gipfel überschritten hatten. Ich könnte sagen, dass er seinen Gesundheitsminister die Quarantänepflicht, ausgerechnet vor der zu erwartenden Herbstwelle, aufheben ließ, sodass die steigenden Infektionszahlen mit Sicherheit ihm angerechnet werden und ja keinem anderen. Aber ich sage das alles nicht.

Ich sage nur, dass er August Wöginger und Wolfgang Sobotka (ich habe diese Reihenfolge gewählt, damit Sobotka vor Wut zerspringt, obwohl er das natürlich gar nicht lesen wird) beauftragt hat, ein Zukunftskonzept für die ÖVP auszuarbeiten. Das ist in etwa so, wie wenn man Roman Mählich – ich hoffe für Sie, dass Sie sich jetzt fragen: „Wer ist das?“ – mit der Neuausrichtung der österreichischen Fußball-Nationalmannschaft beauftragt. In beiden Fällen gilt nach wie vor das Motto: „Hoch g’winn ma nimmer“.

Das sag‘ ich, weil damit alles gesagt ist.

Die Spatzen pfeifen auch schon mögliche Nachfolger vom Dach. Allen voran die Schöne mit dem eiskalten Blick: Karoline Edtstadler. Gegen sie wirkte Margaret Thatcher – die „Eiserne Lady“ – wie eine alles verzeihende Kindergartentante. Aber vielleicht braucht die ÖVP im Moment genau das – wenn sie sich nach dem x-ten Obmann- oder Obfrauwechsel nicht ohnehin schon pulverisiert hat.

Sei es, wie es sei, komme, wer da komme, wir brauchen dringend jemanden an der Spitze des Staates, der nicht nur die anstehenden Probleme löst oder sie zumindest ehrlich anspricht und sich ebenso ehrlich bemüht, sie ein Stück weit zu lösen, nein, wir brauchen endlich wieder jemanden, an dem sich die Gesellschaft aufrichten und ausrichten kann.

Was ist bloß aus dieser Gesellschaft geworden, in der Rassisten, Faschisten, Menschenverachter, alten Dreck Wiederkäuende, neuen Dreck Um-Sich-Werfende, Krakeeler, Schreihälse offensichtlich immer mehr werden oder zumindest unbehelligt immer lauter werden dürfen?

Was ist bloß aus dieser Gesellschaft geworden, in der die Tauben, die Am-rechten-Ohr-auf-taub-Machenden, die „Es-sind-ja-eh-nur-ganz-wenige-und-ja-eh-immer-die-Gleichen“-Verharmloser einen immer besseren und fruchtbaren Nährboden für diese ganze Scheiße bilden.

Ja, ich weiß es gibt Lichterketten. Aber Lichterketten sind immer zu klein, so groß sie auch sein mögen.

Und was haben die Spatzen und die Tauben mit dem grünen Kakadu zu tun? Wenn es nach Arthur Schnitzler geht, viel.

Es ist der Abend des 14. Juli 1789. Die Französische Revolution ist gerade ausgebrochen und wir befinden uns in der Spelunke „Der grüne Kakadu“. Viele erfolg- und arbeitslose Schauspieler sind dort Stammgäste. Dazwischen mischen sich Adelige, die den Nervenkitzel suchen, sich zwischen Ganoven und Gauklern zu bewegen. Also machen die Schauspieler, was sie immer machen: sie spielen. Sie spielen raue Gesellen und Gewaltverbrecher. Als nun aber der Straßenmob der Revolution in das Lokal strömt, vermischen sich Realität und Spiel. Für alle wird es immer schwieriger, Rollen von echten Personen, Lüge von Wahrheit zu unterscheiden.

Wir alle sind Gäste im „Grünen Kakadu“. Wir alle können Lüge von Wahrheit nur mehr ganz schwer unterscheiden. Ob die Spatzen, denen es am Ende ganz egal ist, ob das, was sie vom Dach pfeifen stimmt oder nicht, ob die Tauben, die so lange weggehört haben, bis sie jetzt nicht einmal etwas hören, wenn sie hinhören oder ob all die anderen schrägen Vögel, die aus uns geworden sind.

Wenn man der Ära Kurz und ihren Schaustellern einen großen, ja historischen Vorwurf machen muss, dann ist es, dass sie aus einem – höchstwahrscheinlich immer schon zu betulichen und vermeintlich gutbürgerlichen – Gasthaus eine ziemlich gefährliche Spelunke gemacht haben.

Daran ist der gute Nehammer aber nicht auch noch alleine schuld. Das haben wir uns selbst zuzuschreiben, meint

Ihr Harry Bergmann


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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