Krankenstand, der neue Rücktritt

Unser Kolumnist Harry Bergmann fragt sich: Hat die ÖVP hier etwa eine Lösung für ihre Krise gefunden?

Harry Bergmann
am 27.06.2022

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Vorarlbergs Landeshauptmann, Markus Wallner, hier beim ÖVP Korruptions-U-Ausschuss | Foto: APA/Helmuth Fohringer

Wenn Sie eine oder einer der Bedauernswerten sind, die meine Kolumne öfter lesen, dann kennen Sie das schon: ich stolpere manchmal über ein Wort. Diesmal so passiert mit dem Wort Stand. Also eigentlich bin ich über das Wort Krankenstand gestolpert, über den Krankenstand des Vorarlberger Landeshauptmanns, bevor er – vielleicht – darüber stolpern wird. Von da war es dann nicht mehr weit zu einer anderen Bedeutung des Wortes Stand: „Von einer sozialen Klasse und sozialer Schichtung unterscheidet sich der Stand durch seine selbstdefinierten Unterscheidungsmerkmale zu anderen Gruppen, also eine Standesehre oder eine Standesethik.“

Standesehre? Standesethik? Sind Politiker nicht auch ein Stand? Ehre? Ethik?

Kein Wunder, wenn einem, der dem einfachen Bürger- und Pöbelstand angehört, dabei die Phantasie durchgeht.

„Bist Du wahnsinnig geworden!?“ brüllten Karl und Gustl im Chor ins Telefon. Im Hintergrund dirigierte Wolfgang hingebungsvoll das konzertante Tun der beiden.

„Du kannst doch jetzt nicht zurücktreten!“. Sie beruhigten sich ein wenig (von superfortissimo auf fortissimo) und setzten mit dem Versuch einer Erklärung fort: „Du wärst der dritte schwarze Landeshauptmann in ein paar Wochen, der zurücktritt. Der Schützenhofer, der Platter und jetzt auch noch Du. Aller schlechten Dinge sind drei.“

Betretenes Schweigen am anderen Ende der Leitung, dort wo sich, vermutlich, der dritte schwarze Landeshauptmann befand, der gerade zurücktreten wollte und der in diesem Moment am besten als Personalunion aus verstimmt und verstummt beschrieben werden konnte.

„Wir sind eh schon so am Sand. Außer den Roten hat das schon jeder mitgekriegt. Das ganze Land haut sich doch schon über uns ab.“ Sie machten eine kleine Pause – wieder im Chor – um dem Telefongegenüberle eine kleine Pause für ein Antwörtle zu geben.

Das Telefongegenüberle: „Ähh…“.

„Na bitte, Du hast es ähh verstanden.“

„Du sagst einfach, Du gehst in den Krankenstand.“

„Krankenstand, ist der neue Rücktritt, haha.“ Dem Gustl war seit Jahren das erste Bonmot entfahren und er konnte sich kaum einrenken vor Lachen und Selbstbewunderung. Eigentlich war es das zweite Bonmot. Das erste war „Eines Tages wird jeder jemanden kennenlernen, der gerade an Corona gestorben ist“. Oder so ähnlich. Ist aber eigentlich eh egal, weil ihm der Basti dieses Bonmot ohnehin weggeschnappt hatte.

„Nein, Du musst nicht mehr zurück. Wir sagen einfach, dass es ein mehrwöchiger Krankenstand ist und in ein paar Wochen haben Dich eh alle vergessen.“

„Wenn Du nicht 26 ganzseitige Inserate in einer 24-seitigen Zeitung persönlich verkauft hättest, würde Dich heute noch keiner kennen.“

„Ich bin unschuldig“, murmelte der durch die ungerechten Vorwürfe an Leib und Seele Geschwächte.

„Ja, im Ländle gibt’s ka Sünd‘“, feixte Gustl, der sich damit kurz vor der Erfüllung seines geheimen Berufswunsches wähnte: Standup-Comedian in der politischen Akademie der ÖVP.

Je mehr Gustl in Fahrt kam, desto ruhiger wurde Karl. Er hatte ein ganz anderes Problem, und die Ländle-Inserate waren plötzlich so weit entfernt von ihm, wie die Hoffnung, lange Bundeskanzler zu bleiben. Eigentlich hatte er zwei Probleme. Das zweite Problem war, dass er seine Frau nicht erreichte, die ihm genaue Anweisungen geben sollte, wie er sein erstes Problem aus der Welt schaffen könnte. Wobei das erste Problem im Grunde genommen zwei Probleme waren. Das eine hieß Elli und das andere Gerti. Er sollte sie asap zurückrufen.

Asap bedeutet „dringend“, das hatte er gerade in seiner letzten Englisch-Nachhilfe-Stunde durchgenommen. Sie waren nämlich beide in den Untersuchungsausschuss als Zeuginnen geladen und wollten Anweisungen, was sie dort aussagen sollten. Insbesondere Gerti, die er manchmal liebevoll Margarete nannte, war ein Problem. Sie war in eine tiefe Depression gefallen, weil ihr Lebenswerk, das Kaufhaus Österreich, für immer seine „Pforten schließen sollte“, wie es jemand mit gefalteten Händen und verklärtem Blick nach oben, so schön formuliert hatte.

Elli war da irgendwie lockerer unterwegs. Sie bot sich sogar lächelnd dafür an, das Kaufhaus höchstpersönlich zuzusperren. Sie hatte in der Vergangenheit schon ganz andere Dinge zugesperrt. Dass sie seinerzeit dem Wiener Bürgermeister, vor seiner Rathausmann-Nase die Bundesgärten in Wien zugesperrt hatte, rang ihr selbst immer noch Bewunderung ab.

„Macht es doch einfach wie der Blümel, der konnte sich über achtzig Mal nicht erinnern“, hätte er Elli und Gerti gerne geraten. Hätte, denn er wollte das vorher unbedingt mit seiner Frau abstimmen. Leider war die im Moment ganz schlecht auf ihn zu sprechen. Es ging um einen Tweet, den er, der Karl, nur Stunden vorher abgesetzt hatte. Er wusste selbst, dass der Tweet ein Fehler war, aber dass ihn seine Frau deshalb gleich einen Luschi genannt hatte, fand er schon sehr kränkend. Er ein Luschi?! Er hatte – als Innenminister – ohne mit der Wimper zu zucken junge Mädchen in der Nacht abschieben lassen.

Mit dem wiedergewonnenen Selbstbewusstsein, das ihm diese Erinnerung gab, las er sich den Tweet nochmals durch: „Zum Kandidatenstatus für die Ukraine und Moldau ist mir wichtig zu betonen, dass dieser nicht bedeutet, dass Verhandlungen beginnen. Wir werden dadurch auch nicht in den Krieg hineingezogen. Wir senden aber ein starkes Signal der Unterstützung an die Bevölkerung dieser beiden Länder.“ Zugegeben, das klang schon ziemlich duckmäuserisch und puting‘schreckt, aber gleich Luschi? Nein, das war denn doch zu viel.

Der arme Karl, irgendwie hatte er sich das Kanzlersein anders vorgestellt. Rücktritte, Rechnungshofberichte, saumäßig schlechte Umfragedaten, Teuerungslawinen, steigende Coronazahlen schon im Sommer, abgedrehte Gashähne und dieser Scheiß-Korruptions-Untersuchungsausschuss. Jetzt fehlte nur mehr das Comeback von Basti.

In diesem Moment vibrierte sein Handy. „Hallo, Karl, hier ist der Basti. Wollte mich nur bei Dir melden. Bin zum 291ten Mal in Österreich, seit ich nicht mehr in Österreich bin. Kann ich irgendwie helfen? Brauchst ein Licht am Ende des Tunnels?“ Karl erstarrte und machte böse Miene zum angeblich so gutgemeinten Spiel.

Basti munter weiter: „Hast schon g‘hört von Israel. Der Bibi kommt zurück. Und wenn der Bibi zurückkommt, kommt der Donald auch zurück. Und wenn der Donald zurückkommt, dann komme ich vielleicht auch zurück. Aber natürlich nur wenn Du willst, lieber Karl.“

Karl fand das alles irgendwie bääähhh.

Selbstverständlich hätte ich all diese Tagträume lieber nicht, liebe Leserinnen und Leser, aber wenn ich sie schon habe, dann gibt es mir ein gutes Gefühl, sie hier auf falter.at mit Ihnen teilen zu dürfen, solange ich das noch darf.

Meint Ihr

Harry Bergmann


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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