Kommt Strauch von straucheln?

Unser Kolumnist Harry Bergmann über strauchelnde Politiker und warum Gespräche mit Föhren womöglich doch nicht der Weisheit letzter Schluss sind.

Harry Bergmann
am 30.05.2022

Abonnieren Sie Harry Bergmanns Loge 17:

Ein Strauch am Straucheln | Foto: Neil Mark Thomas

Man muss im Leben seinen Platz kennen. Das meine ich nicht geographisch. Ich meine den Platz in der Gesellschaft. Wer ist über mir, wer unter mir, wer auf gleicher Stufe? Nehmen wir zum Beispiel Matthias Strolz. Sie wissen schon, der mit „Es ist vorbei, Elli.“ oder war es „Elli, es ist vorbei.“? Egal, es hat auf jeden Fall gestimmt. Vor ein paar Wochen war es vorbei mit Elli.

Dieser Matthias Strolz ist über mir. Nicht nur, weil er mit Elli recht gehabt hat, aber auch. Ich könnte sicher nicht zu Laura Sachslehner sagen: „Laura, es ist vorbei.“ und schon gar nicht: „Laura, es ist vorbei, bevor es noch so richtig angefangen hat.“ Das heißt, ich könnte es natürlich schon sagen, aber es würde nichts ändern.

Laura würde weiter ungebremst auf die Stadt Wien hinhauen und allen erklären, dass die SPÖ den Wienern den letzten Cent aus dem Börserl zieht. Sie würde auch weiter über Masseneinbürgerungen kassandrieren. Sie würde einfach weiterhin den Stuss reden, den man ihr eingeredet hat zu reden.

Strolz ist über mir, weil er schon mehrere Bücher geschrieben hat und ich noch immer an meinem ersten Buch herumzuzle. Seinem letzten Buch hat er den Titel „Gespräche mit einem Baum“ gegeben. Er redet mit seiner Lieblingsföhre über die Geheimnisse des Lebens. Ich habe nicht einmal eine Föhre, geschweige denn eine Lieblingsföhre. In neidloser Anerkennung der Tatsache, dass Strolz über mir ist, könnte ich allenfalls mit einem Strauch reden. Aber worüber redet man mit einem Strauch? Übers Straucheln?

Ich kenne mich gut. Wenn ich einmal beim traucheln bin, bin ich ganz schnell bei der Politik und dann ist es nur mehr ein kleiner Schritt (leider nicht wie bei Neil Armstrong: „Ein kleiner Schritt für mich, ein großer für die Menschheit“) zur österreichischen Innenpolitik und – kaum drehe ich mich um – bin ich auch schon beim Telefonat zwischen Nehammer und Putin. Putin und Nehammer natürlich. Denn Putin ist über Nehammmer, obwohl er, Putin, eigentlich in der ganzen Welt unten durch ist. Da sieht man wieder, dass oben und unten relativ ist.

In der Politik kann einer, der unten ist, sich selbst einreden oder sogar versuchen, anderen einzureden, dass er viel weiter oben ist, als er ist und dann ruft er einen an, der im ersten Moment gar nicht weiß, wer ihn da anruft und redet über Dinge, über die sonst nur die Oberen untereinander reden. Krieg, Frieden, Gefangenenaustausch, grüne Korridore, Welthungersnot.

Da kann man als Unterer eigentlich nur straucheln, außer man gibt nachher eine Pressekonferenz und erzählt denen, die noch weiter unten sind, dass man ein „sehr ernstes“ Gespräch geführt hat, was deshalb so wichtig ist, weil die, die noch weiter unten sind, natürlich geglaubt haben, dass der Obere und der Untere sich bei diesem Telefonat einen „Karl“ gemacht haben, obwohl nur einer der beiden tatsächlich ein Karl ist.

Die Oben-Unten-Umkehr, nimmt dann einen tragikomischen Verlauf, wenn der eine – nennen wir ihn der Einfachheit halber Nehammer – erklärt, dass sein russischer Gesprächspartner – Putin oder die Mobilbox von Putin – in Kriegsfragen offensichtlich unerfahren ist, und er ihn deshalb „klar mit dem Krieg und dessen Folgen“ konfrontieren musste.

Einzig und allein die „Tagespresse“ hat erkannt, um was es da wirklich geht: Stalking.

„Schon seit Wochen ruft Nehammer an, taucht teilweise unangekündigt auf und lässt sich nicht abwimmeln“, berichtet das einzige wirklich ernstzunehmende Medium Österreichs.

Aber warum soll ausgerechnet Nehammer – also Herr Nehammer, der ja nur sporadisch unter Putin, dafür aber permanent unter Frau Nehammer ist – nicht straucheln, strauchelt doch die ganze Welt. Sieg über die Pandemie, gestrauchelt. Klima, gestrauchelt. Frieden, gestrauchelt. Bekämpfung von Armut, Hunger, sozialer Ungerechtigkeit, Rassenhass, Antisemitismus, gestrauchelt. Bitcoins und andere Kryptowährungen, gestrauchelt.

Verhinderung von Aktienabstürzen, bewusst herbeigeführt durch Interviews oder Tweets von Elon Musk, gestrauchelt. Von Johnny Depp und Boris Becker möchte ich gar nicht anfangen zu reden.

Selbst die bis auf die Zähne bewaffnete Weltpolizei – die ach so saubere USA – strauchelt an sich selbst und ihrer Waffenlobby. Volker Plass – ich hoffe, es ist ihm nicht allzu unrecht, dass er hier zitiert wird – twitterte unlängst etwas sehr, sehr Richtiges: „In den USA sind Schoko-Überraschungseier für Kinder verboten, da sie eine unkalkulierbare Gefahr darstellen.

Die Kleinen könnten an den Spielzeug-Plastikteilen ersticken.“ Deshalb sagt ja der gestraucheltste aller gestrauchelten Donalds, dass man in den Schulen mehr Waffen braucht und sich überhaupt alle Gesetzestreuen ordentlich aufmunitionieren sollten.

Ich will dem am Anfang so hochgelobten Matthias Strolz nicht zu nahetreten, aber je länger ich darüber nachdenke, desto mehr komme ich zu dem Punkt, dass ein Gespräch mit einem Strauch mehr über das menschliche Zusammenleben sagt, als ein beschaulicher Plausch mit einer Föhre.

Wie immer nicht ganz überzeugt von dem, was er schreibt,

Ihr Harry Bergmann

PS: Wenn Sie diese Kolumne lesen, dann wissen Sie natürlich schon, dass Liverpool an Real Madrid im Champions League-Finale gestrauchelt ist. Sehr zu meinem Missfallen übrigens. Wenn Sie diese Kolumne nicht lesen, wissen Sie es auch. Und Sie wissen, dass Michael Ludwig 94,4% beim Wiener SPÖ-Parteitag bekommen hat, obwohl das gar nichts mit dieser Kolumne zu tun hat. Nicht einmal mit Laura Sachslehner.


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

Abonnieren Sie Harry Bergmanns Loge 17:

Weitere Ausgaben:
Alle Ausgaben der Loge17 finden Sie in der Übersicht.

12 Wochen FALTER um 2,50 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!