Schleimspur im Gegenwind oder Der Homo Politicus Zachiens

Bundeskanzler Karl Nehammer besuchte Vladimir Putin und Benjamin Netanjahu ist zurück auf der politischen Bühne: Harry Bergmann über den Homo Politicus Zachiens

Harry Bergmann
am 11.04.2022

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Kann nichts für ihre Schleimspur und ist auch ohne Gegenwind langsam: Die Schnecke | Foto: Gena Okami/ Unsplash

Sie haben es natürlich sofort erkannt: zwischen „Schleimspur im Gegenwind“ und „Homo Politicus Zachiens“ hat das „oder“ nichts verloren. Die beiden Dinge haben nichts, aber schon gar nichts, miteinander zu tun. Und da Sie in Latein viel sattelfester sind als ich, können Sie über das Unwort „zachiens“ nur ungläubig den Kopf schütteln.

Wenn Sie Ihr Abo nicht gerade im Affekt gekündigt haben, geben Sie mir bitte ein paar Minuten und lassen Sie mich das kurz erklären.

Unser Herr Bundeskanzler Nehammer ist heute nach Moskau zu Präsident Putin gereist. Ich nenne Putin gerne den „Butcher of Butscha“, damit man sieht, dass ich neben Deutsch und Latein auch ein paar Brocken Englisch kann. Diese Ich-muss-mit-diesem-Putin-ein-ernstes-Wort-reden-Reise teilt die Alpenrepublik in zwei Lager.

Das eine Lager (unterstützt von der BILD-Zeitung) findet diesen Trip peinlich und anmaßend. „Der Karl wird nicht einmal an dem langen Tisch sitzen dürfen. Für ihn stellen sie gerade den Kindertisch auf.“ Damit noch nicht genug: „Der g’scherte Karl verschafft dem Putin nur ein Foto, dass der in seinem Propaganda-Krieg verwenden kann.“

Und dann gibt es das andere Lager, das sich an dem wichtigsten Satz der österreichischen Innenpolitik – der österreichischen Politik überhaupt – orientiert: „Nutzt’s nix, so schad‘s nix.“ Ich schließe mich eher diesem Lager an, obwohl mir das Bild mit dem Kindertisch schon ganz gut gefällt.

Beide Lager wissen, dass der gute Karl nur deshalb nach Kiew und Moskau fährt, um die häuslichen Peinlichkeiten vergessen zu machen – was nicht einmal 1,2 Promille Chance auf Erfolg hat. Beide Lager wissen aber auch, dass seit Wochen der Vorwurf kursiert, dass es eine durchgehende Schleimspur – den Leitl-Fischer Stream 1 – von Wien nach Moskau gibt. Von knicksenden Außenministerinnen ganz zu schweigen. Also für Gegenwind ist gesorgt.

Ich hätte natürlich abwarten sollen, was da heute herauskommt und erst dann meine Giftpfeile (mit diesem Wort sollte man im Zusammenhang mit Putin eher vorsichtig umgehen) abschießen, aber ich bin überzeugt, dass eh nichts herauskommt, also schreib ich es lieber gleich.

Wenn Sie diese Kolumne lesen, wissen Sie es natürlich schon besser. Vielleicht ist die Headline morgen „Nehammer, der zweite Kissinger“ und ich bin der Blamierte. Wie immer die Sache ausgeht, ab Mittwoch heißt es dann ohnehin wieder: „Cobra, übernehmen Sie!“

Und was hat das mit dem „Homo Politicus Zachiens“ in der Headline zu tun? Noch nichts.

Ich habe Ihnen in der letzten Kolumne versprochen, über die Regierungskrise in Israel zu schreiben und wie diese durch den Terroranschlag am Donnerstag geboostert wurde.

Ich mach es so einfach wie möglich, aber – Achtung! – selbst das ist schon kompliziert genug.

In Israel gibt es eine Koalition, die aus acht(!) Parteien besteht. Diese Parteien – von ganz links bis ganz rechts – haben nichts gemeinsam, außer das Feindbild Benjamin Netanjahu, der durch die Bildung dieser Koalition aus dem Amt gedrängt wurde. Die Tatsache nicht mehr Premierminister zu sein, hat für ihn – zusätzlich zur politischen Schmach – noch die „klitzekleine Unbequemlichkeit“, dass er jetzt wegen etlicher Delikte vor Gericht steht, was er als amtierender Premierminister eben nicht müsste.

Premierminister ist Naftali Bennett, dessen Partei zwar nur 6 Sitze in der Knesseth gewonnen hat, aber als Zünglein an der Waage, fordern konnte, was er wollte. Da fiel ihm ein, dass es doch ganz nett wäre, Premierminister zu sein und schon war er es (ich habe ja versprochen, dass ich es möglichst einfach mache). Jetzt passierte aber Folgendes: Bennett fuhr nach Moskau und machte sich bei Putin wichtig (kommt Ihnen irgendwie bekannt vor, oder?). Er hätte aber lieber in Israel bleiben und auf seine Partei schauen sollen (kommt Ihnen wieder bekannt vor, ich weiß)

Und so passierte es, dass dem guten Bennett völlig entgangen ist, dass die Partei Netanjahus eine Politikerin seiner – also Bennetts – Partei angebaggert und überredet hat, die Seite zu wechseln (ganz so einfach war es natürlich nicht, aber so komme ich schneller zu dem Punkt, der vielleicht auch für Sie interessant ist). Jetzt haben die beiden großen Blöcke in der Knesseth jeweils 60 Sitze. Patt! Krise!!

Und plötzlich ist der Homo Politicus Zachiens (der zachste israelische Politiker der Gegenwart) Benjamin Netanjahu wieder voll im Spiel. Der von dem man geglaubt hat, ihn endgültig los zu sein und dessen Prozess ganz und gar nicht so läuft, wie er vielleicht gelaufen wäre, wenn ihm mehr Zeit im Amt geblieben wäre, die israelische Justiz noch weiter auszuhöhlen, er ist wieder in aller Munde.

„Unter Netanjahu hätte es das nicht gegeben!“, hört man von vielen, wenn sie über die blutigen Anschläge der letzten Wochen sprechen. Und das hören natürlich auch die beiden Freunde von Benjamin, Donald und Sebastian. Und sie freuen sich. Sie freuen sich für ihn, aber es mischt sich auch ein bisschen Vorfreude auf ihre eigene – fast schon aufgegebene -politische Zukunft hinein. „So zach, wie der Benjamin san mir a.“ oder, weil sie ja jetzt beide Englisch sprechen: „Never say never.“

Aber vielleicht kommt ja auch alles ganz anders, weil Bennett, Nehammer und Biden viel zacher sind, meint,

Ihr Harry Bergmann

PS: Soeben noch Karl Nehammers Eindrücke nach der Rückkehr von der Ich-habe-keine-zukunftsfrohen-Aussichten-nachhause-gebracht-Reise gehört. Man kann es mit einem Wort zusammenfassen: „zach!“


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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