Am anderen Ende des Seins

Unser Kolumnist Harry Bergmann ist wieder in Israel und berichtet, was sich dort so tut

Harry Bergmann
am 04.04.2022

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For better or worse: Harry Bergmann ist zurück in Israel

Ich habe wieder einmal einen Hin- oder Rückflug hinter mir und bin in Israel. Das ist gut und schlecht zugleich.

Gut, weil ich am Vorabend des Fluges – nach 14 Tagen – endlich Corona negativ war und deshalb überhaupt fliegen durfte.

Gut, weil ich jetzt in einem Land bin, in dem schon fast alle wieder Corona negativ sind, nachdem es im Jänner noch mehr als 100.000 Neuinfizierte pro Tag gegeben hat.

Gut, weil die hier diesbezüglich etwas richtig gemacht zu haben scheinen oder zumindest überhaupt irgendetwas gemacht haben.

Schlecht, weil die Stimmung hier im Land nach drei Terroranschlägen innerhalb weniger Wochen schlecht ist.

Schlecht, weil das Vertrauen in den Inlands-Geheimdienst Shin Bet, der für die Terrorismusbekämpfung zuständig ist, eine ziemliche Delle bekommen hat.

Gut, weil ich in der Jerusalem Post gelesen habe, dass sich der Shin Bet mit der Polizei, der Armee und einer speziellen Antiterror Unit zusammengetan hat und rund um die Uhr arbeitet.

Schlecht, weil Terror die schlimmste Narbe der israelischen Gesellschaft ist, die leider nie die Zeit bekommt, richtig zu verheilen.

Gut, weil es auch andere Stimmen gibt, die auf angeblich hunderte verhinderte Anschläge hinweisen, was angesichts dieser Horror-Zahl aber eigentlich furchtbar und daher doch nicht gut ist.

Schlecht, weil die politischen Anhänger von Netanjahu jetzt natürlich Munition gegen die Regierungs-Koalition haben, und die Spaltung der Gesellschaft munter weiter geht.

Gut, weil es für Netanjahu, der das Land gespalten hat wie kein anderer, in seinem Prozess nicht so gut ausschaut und er hoffentlich bald einen Deal eingehen wird, der ihm zwar eine Verurteilung für die schwerwiegendsten Delikte erspart, ihm aber bei einer Verurteilung für die minderen Delikte zumindest eine jahrelange Verbannung aus der Politik einbringen wird.

Schlecht, weil hier raketenbestückte russische Kampfhubschrauber in Syrien wesentlich näher sind, als – von Wien aus gesehen – raketenbestückte russische Kampfhubschrauber in der Ukraine.

Gut, weil Premierminister Bennett nach langem Zögern die eine Million russischsprachigen Wähler im Land für einen Moment vergessen und eine ausgewogene Position im Ukraine Krieg gefunden hat.

Gut, weil Israel jetzt wieder das tun kann, was es meistens schon gut konnte, nämlich jüdische Einwanderer aus Osteuropa willkommen zu heißen.

Schlecht, weil auf den israelischen Schriftsteller, Journalisten und Intellektuellen, Amos Oz, meinen uneingeschränkten Helden aller Helden, durch die Biografie einer seiner Töchter ein Schatten gefallen ist. Gut, weil die anderen Geschwister eine andere Version erzählen. Schlecht, weil ein Schatten immer ein Schatten bleibt.

Gut, weil ich hier eben nicht nur die Jerusalem Post (mitte rechts), sondern viel lieber die Haaretz (mitte links) lese, in der steht, dass ein gewisser Jacob Dembitzer in der Tierwelt eine Korrelation zwischen Hirngröße und durch Klimakatastrophen bedingtes Aussterben gefunden hat. Je kleiner das Hirn, desto aussterben.

Schlecht, weil ich vermute, dass das auch für die Menschheit gilt.

Gut, weil Sonne und Meer immer gut sind und es von beiden hier mehr als genug gibt.

Schlecht, weil ich vieles in Österreich zurückgelassen habe, dessen Fortsetzung ich gern aus der Nähe beobachtet hätte.

Gut, weil es endlich, endlich, endlich diesen unsagbaren, marathon-hämisch-breitmaul-grinsenden Ersten Nationalratspräsidenten, wenn schon nicht erwischt, dann doch zumindest gestreift hat.

Schlecht, weil die Frage, ob er schon bigott und grinsend auf die Welt gekommen ist, nie wirklich geklärt werden wird.

Gut, weil das eigentlich herzlich egal ist.

Schlecht, weil das Corona Management bis Herbst sicher nicht besser wird, und wir wieder in eine Welle rauschen werden. Noch schlechter, weil ich doch tatsächlich geglaubt habe, dass der neue Gesundheitsminister das in den Griff bekommt. Am schlechtesten, weil ich keine Ahnung hatte, wie blöd und naiv ich sein kann.

Gut, weil die SPÖ-Vorsitzende angesichts der Teuerungen eine Stimme gefunden hat, die sogar den Ausdruck „kein Schmutz“ kennt.

Schlecht, weil man schwer glauben kann, dass es tatsächlich ihre eigene Stimme ist.

Gut, weil Stimme Stimme ist, egal von wem.

Schlecht, weil das nicht lange halten wird.

Gut, weil der Korruptions-Untersuchungsausschuss doch kein Rohrkrepierer ist und es auch einen vertraulichen Teil der Befragung gibt.

Gut, dass es in Tirol außer den alpinen Seilbahn-Seilschaften auch eine gute Staatsanwaltschaft in Innsbruck gibt.

Gut, weil deshalb der Chef der Oberstaatsanwaltschaft Wien, Herr Fuchs, der ziemlich lang unbehelligt in der Gegend herumspazierte, suspendiert ist und hoffentlich auch bald die Anklagebank drücken darf.

Schlecht, weil ich hier zu viel Zeit habe und mich deshalb zu viel auf Twitter herumtreibe und über einiges nicht informiert, sondern deformiert werde.

Gut, dass ich – umgekehrt – so viel Zeit habe, um mich doch auf Twitter herumzutreiben und dort Robert Habeck bei Markus Lanz gesehen habe und jetzt weiß, dass es auch Politiker gibt, die so denken und reden können, wie eine sehr gescheite Version von unsereins.

Gut, dass ich auf Twitter weitergelesen habe und mir Claus Pandis Kommentar genau dazu nicht entgangen ist: „Sah und hörte in kurzem Abstand hintereinander Robert Habeck und Leonore Gewessler. Bin orientiert.“

Gut, weil ich mir nicht ansehen muss, wie die euphorische Pro-Flüchtlingsstimmung sich langsam ins Gegenteil verkehrt. Je mehr SUV’s mit ukrainischen Kennzeichen, desto schneller.

Ob gut oder schlecht, ich bin jedenfalls wieder da und kann Ihnen erzählen, was sich hier so tut. Ich bin natürlich nicht der großartige Tim Cupal, aber vielleicht finde ich trotzdem das eine oder andere, das Sie interessiert.

Liebe Grüße aus dem Heiligen Land,

Ihr Harry Bergmann


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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