Der Staat gegen mich

Ist es ein Wunder, dass ich diesem Staat nichts mehr glaube?

Harry Bergmann
am 13.03.2022

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Die Ängstlichkeit unseres Kolumnisten steigt. FOTO: APA/GEORG HOCHMUTH

Am besten man schreibt gar nichts. Es ist ja eh schon alles geschrieben. Wenn man aber glaubt, unbedingt noch etwas schreiben zu müssen – auf das Motiv will ich gar nicht eingehen – dann doch zumindest über etwas, das den Leser ebenso beschäftigt, wie den Schreiber. In Zeiten der Pest schreibt man über die Pest. In Zeiten des Krieges schreibt man über den Krieg. In Zeiten der moralischen und politischen Verwerfungen schreibt man über die Verwerfungen. In Zeiten der Pest UND des Krieges UND der Verwerfungen wird es naturgemäß – wie soll ich sagen? – etwas eng. Da hilft nur, dass man sich auf eines konzentriert und dieses „eine“ könnte man selbst sein. „Was macht das alles mit mir?“

Verbunden mit der Hoffnung, dass das vom Leser zumindest ähnlich empfunden wird, wie vom Schreiber.

Die Pest – ich nenne es Pest, aber Sie wissen, dass ich damit die Pandemie meine – macht mir Angst. Ich korrigiere mich: sie macht mich ängstlich. Die Ängstlichkeit ist die kleine Schwester der Angst. Die große Schwester hebe ich mir lieber für den Krieg auf. Bei 50.000 Neuinfektionen am Tag ist aber die kleine Schwester nicht völlig aus der Luft gegriffen, denke ich.

Wenn ich Professor Zangerle in der Seuchenkolumne Nr. 670 richtig verstanden habe, dann gesteht er mir diese Ängstlichkeit zu. Epidemiologisch untermauert, sozusagen.

Aber die meisten denken eben nicht so. Die finden meine Ängstlichkeit höchstwahrscheinlich lächerlich. Und es gibt einen, der findet sie besonders lächerlich: der Staat.

Der Staat hat ja die Pandemie praktisch abgesagt, oder zumindest ausgesetzt. Alle Schranken sind auf Knopfdruck hinaufgegangen, die sozial Ausgehungerten sind aufeinander losgelassen und in die alte Distanzlosigkeit katapultiert worden. Wie anders als mit Corona-Rekorden hätte das enden sollen? Um die klaren Worte eines sonst mit klaren Worten eher sparsamen Vizekanzlers zu verwenden: dem Virus wurde der rote Teppich mit Schleimspur ausgebreitet.

„Im Moment haben wir zu viel um die Ohren. Um das Virus kümmern wir uns dann wieder im nächsten Herbst“, scheinen sie zu sagen, die Spitzen dieses Staates. Ha, ha, so wie sie sich letzten Herbst und vorletzten Herbst gekümmert haben. Was sie dabei blöderweise übersehen – oder haben sie es gar nicht übersehen und sind noch verkommener, als ich es mir vorstellen will – ist, dass in Spitälern nicht nur Betten an ihre Auslastungsgrenze kommen, sondern vor allem diensthabende Menschen an ihre Belastungsgrenze.

Um dem Ganzen auch noch einen strengen Anstrich zu geben, wird ein Generalmajor im Tarnanzug vor die Fernsehkameras gesetzt, um mir zu erklären, dass das Virus – rein militärisch gesprochen – keine Chance hat, weil es ausgehungert wird. Meine Ängstlichkeit steigt.

Dass sich der Staat offen gegen mich stellt, passiert aber nicht ohne Plan. Glaubt er, der Staat, dass ich nicht gesehen habe, wie er den Gesundheitsminister ausgetauscht hat? Arzt-Heini raus, Polit-Heini rein. Die Message an mich ist klar wie Kloßbrühe: „Wenn Du einen Arzt brauchst, dann geh zum Arzt. Im Ministerium sitzt ab jetzt wieder ein Politiker, der hat zwar von der Materie noch weniger Ahnung, ist aber gerade deshalb bei den Fehlentscheidungen wesentlich schmerzbefreiter.“

Aber vielleicht hat der Staat gar nichts gegen mich, vielleicht hat er was gegen sich selbst? Ein autoaggressiver Staat. Ich meine, wie soll man sich das hirnrissige, selbstzerstörerische Hin und Her mit der Impfpflicht anders erklären?

Nur damit ich das jetzt ordentlich auf die Reihe kriege: die Regierung beschließt die Impfpflicht, weil die Bevölkerung (Gedankenblase: „die Gfraster“) nicht und nicht auf die gewünschte Impfquote kommt. Alle sind dafür. Auch die Opposition. Also minus der FPÖ, aber das ist eh klar, die ist ja per Naturgesetz immer ein Minus. Der Schulterschluss, mehr ein Schulterscherzl, wird damit begründet, dass einem das verhunzte Pandemiemanagement der Regierung keine andere Wahl gelassen hat. Dann Demo über Demo über Demo, dann Pimperlwahlen mit Zugewinnen der MFG, dann Untersuchungsausschuss, dann Krieg, dann volle Hosen, dann Landeshauptleute, dann noch mehr volle Hosen, dann schlussendlich das Aussetzen, zuerst des Hirns, dann der Impfpflicht.

Und jetzt frage ich Sie: „Ist es ein Wunder, dass ich diesem Staat nichts mehr glaube?“

Eine Impfpflicht ist ja nicht gerade das, was man „rocket science“ nennen würde. Man macht sie oder man macht sie nicht (richtig, man macht sie natürlich nicht, so wie alle anderen Staaten auch) und zieht das dann durch. Wenn es einem schon bei dem Pflichterl auf die Goschn haut, was passiert dann bei Kniffligerem?

Das Kniffligere wird übrigens gerade parlamentarisch untersucht. Arbeitshypothese der beschuldigten Partei: „Die ÖVP hat kein Korruptionsproblem.“ Vielleicht handelt es sich aber auch nur um einen Kommunikationsfehler und die Arbeitshypothese lautete ursprünglich: „Die ÖVP hat kein Problem, korrupt zu sein.“ Sei es, wie es sei, die aufgestauten Fragen sind nicht leicht zu beantworten, wenn sie überhaupt zugelassen werden.

Wie schleust ein Finanzminister eine Millionen-Steuerschuld an sich selbst vorbei? Wie stellt man Scheinrechnungen für Marktforschung korrekt aus? Scheinrechnungen heißen übrigens Scheinrechnungen, weil es in dieser Marktforschung eben nur um den Schein und nicht das Sein gegangen ist. Wie schützt ein kleines Land wie Österreich, „seine“ Oligarchen, wenn es das große Russland nicht mehr kann, weil es gerade dabei ist, die Ukraine zu überfallen.

Dieser Untersuchungsausschuss, der eigentlich der Selbstreinigung der wichtigsten demokratischen Institutionen dienen sollte, wird jetzt zur riesigen Lupe, durch die all die Grauslichkeiten eines dysfunktionalen Staates sichtbar werden. Und damit sind wir wieder bei mir und meiner Erkenntnis, dass der Staat gegen mich ist. Institutionen, die von innen modern, müssen sich um sich selbst kümmern und nicht um meine staatsbürgerlichen Bedürfnisse.

Und jetzt auch noch dieser Krieg, der alles, was sich bei uns im Dorf abspielt, zudeckt – leider auch zur großen Zufriedenheit einiger weniger. Der Krieg, der die Zerbrechlichkeit der Welt, die Zerbrechlichkeit des Lebens, die Zerbrechlichkeit der Demokratie und die Zerbrechlichkeit der Institutionen so grausam vor Augen führt. Wenn wir schon in Friedenszeiten diesen kleinen Staat nicht in Ordnung halten können, wenn wir bei jeder sich bietenden Krise aus purer Unfähigkeit einknicken, wenn wir autokratische Ambitionen durchgehen lassen, wenn wir glauben, dass Korruption immer nur dann verfolgt werden muss, wenn es um „die Anderen“ geht, was machen wir dann in wirklich schwierigen Zeiten?

Vojna i mir, Krieg und Frieden. Man sollte nicht vergessen, dass das russische Wort „mir“ auch „Welt“ bedeutet. Krieg und Welt. So nahe liegen Frieden oder Weltkrieg nebeneinander.

Alles Gute wünscht

Ihr Harry Bergmann


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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