Die sauberen Hände

Die pandemiebedingte Aufforderung zum Händewaschen wurde offenbar von der Politik selbst missverstanden, die "Eine Hand wäscht die andere" daraus machte

Harry Bergmann
am 31.01.2022

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Eine Hand wäscht die andere | Foto: Sean Horsburgh/ Unsplash

In Zeiten der Pandemie erlebt das Händewaschen eine ungeahnte Renaissance.

Die Politik, mehr Brandbeschleuniger als Feuerlöscher dieser Pandemie, übt sich gleichzeitig in einem ähnlichen – allerdings nicht ganz so hygienischen – Spiel, nämlich dem „Eine Hand wäscht die andere“.

Im Italien der 90er Jahre gab es unter dem Namen „Mani Pulite“ (saubere Hände) groß angelegte Untersuchungen der Staatsanwaltschaft gegen Korruption, Amtsmissbrauch und illegale Parteifinanzierung. Diese Untersuchungen führten nach einem langen schmerzlichen Prozess zum Zusammenbruch der wichtigsten politischen Parteien. Ich schiele jetzt gar nicht nur zur ÖVP, weil es die damals mächtige „Democrazia Cristiana“ in alle Einzelteile zerlegt hat, sondern auch ins linke Eck, wo die Partito Socialista Italiano schwer Federn lassen musste. Am Ende gab es keine breite Volkspartei mehr, sondern eine große Zahl von mittleren und kleineren politischen Bewegungen.

Bei uns werden die Nudeln aber nicht so heiß gegessen wie in Italien die Spaghetti, und daher wird es einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss geben, der – wenn man von dem Vorsitz des Ausschusses auf das Ergebnis des Ausschusses schließen darf – wohl ausgehen wird, wie das Hornberger Schießen. Wieder einmal.

Ich weiß, ich erzähle Ihnen damit nichts Neues. Da ich Ihnen aber meistens nichts Neues erzähle, sondern immer nur wiederhole, was mir auf der Seele lastet, wird Sie das auch heute nicht sehr überraschen. Ich habe übrigens gar kein Problem damit, nicht alles zu wissen. Da fällt mir einer meiner Lieblingsbilderwitze aus dem New Yorker ein: es stehen zwei Männer vor einer dieser Orientierungstafeln, auf der neben einem großen roten Punkt steht: SIE SIND HIER. Mann 1 zu Mann 2: „Die wissen alles über uns.“

Nach über hundert Kolumnen wissen Sie zwar nicht alles über mich, aber vieles. Wenn ich zum Beispiel sage, dass ich den „Mann ohne Eigenschaften“ nicht gelesen habe, werden Sie mir glauben und eventuell sogar ergänzen „natürlich nicht gelesen“. Aber wie so oft, weiß ich zumindest ein bisschen was. Ich glaube zu wissen, dass der Mann ohne Eigenschaften zwar Eigenschaften hatte, sich aber im Leben zu nichts wirklich bekennen oder gar auf etwas festlegen wollte. So gesehen haben wir zurzeit einen „Mann ohne Eigenschaften“ im Kanzleramt sitzen.

Was hat das mit den sauberen Händen und dem Untersuchungsausschuss zu tun? Einiges, meint Florian Gasser in der aktuellen ZEIT. Karl Nehammer hätte nämlich seinen großen Vertrauensvorschuss nützen können und in der Partei sauberen Tisch – oder sagen wir lieber: saubereren Tisch – machen können. Aber Bekenntnis zur Transparenz und Mut zur innerparteilichen Hygiene sind seine Sache nicht. Also Untersuchungsausschuss. Also Schattenboxen. Also Nebelgranaten. Also Gedächtnislücken. Also schriftliche Entschuldigungen für das Fernbleiben. Also Herumeiern. Also Entschlagungen. Also Täter-Opfer-Umkehr. Also der gute, alte österreichische Stehsatz: „De Andern san a um nix besser!“ Also wieder Wurschtsemmel und „Oarsch!“

Für einen Laien-Kolumnisten-Darsteller, wie mich, ist es schon interessant, wie die öffentliche, aber auch die veröffentlichte Wahrnehmung funktioniert. Da haben wir diesen Nehammer. Ex-Innenmininister, Ex-Mann fürs Grobe, Ex-Abschieber, Ex-Flüchtlingskinder-Nicht-Hereinlasser, Ex-Terroranschlag-Aufklärungs-Versager. Und dieser Nehammer wird ins Bundeskanzleramt geschubst. Er ändert die Tonlage, versichert, ein Lernen-Wollender zu sein, ist statt lässig-arrogant bübisch-verlegen-bescheiden und von einem Moment auf den anderen ist alles vergessen, was vorher war.

Natürlich kann man einwenden – und sollte es wohl auch – dass jeder Mensch das Recht auf Änderung, Besserung, Läuterung hat. Aber über Nacht? Nur weil man so froh ist, Kurz ins rechteste Eck von Kalifornien losgeworden zu sein und der flüchtige Geist seines Nachfolgers wieder in die Flasche zurückgekehrt ist, hebt man den Karl in den Himmel. Man hat schon an die Neue Volkspartei geglaubt, nur weil man eine andere Farbe vorgesetzt bekommen hat und jetzt will man an die Ganz Neue Volkspartei glauben, weil man sich sonst mit der Neuen Volkspartei und der Alten Volkspartei näher auseinandersetzen müsste. Ich weiß nicht so recht. Sie?

Und jetzt auch noch die Sideletters. Ich verstehe die Aufregung nicht. Als ob wir nicht alle gewusst hätten, dass sich die, die die Gelegenheit und die Möglichkeit haben, die Republik unter einander aufteilen. Also ob wir nicht den Satz des Ex-Ex-Bundeskanzlers gehört und verstanden hätten, dass er das System nicht erfunden hat, aber kein besseres kennt. Regt es uns auf, dass dieser junge Mann gelogen hat, als er sagte, dass er eine andere Politik machen will? Nach all den Lügen, ist das jetzt ausgerechnet jene Lüge, die uns tief ins Mark trifft? Regt uns nach dem Ibiza-Video auf, dass das Drehbuch auch schriftlich vorliegt? Oder regt es uns auf, dass später auch die Grünen da mitgemacht haben?

Ausnahmsweise glaube ich dem Schachtelsatz-Vizekanzler, wenn er sagt, dass seine Partei völlig unter die Räder gekommen wäre, wenn das nicht vorher ausgemacht worden wäre. Erwischen darf man sich halt nicht lassen, Herr Vizekanzler. Und das nächste Mal ein bisserl vorsichtiger sein, wenn man wieder den Slogan „Wen würde der Anstand wählen?“ plakatiert.

Pandemie und Politik sind und bleiben ein ungleiches Paar. Auf der einen Seite sollten Politiker immer saubere Hände haben und maximalen Abstand zu Unregelmäßigkeiten und Korruption halten, aber andererseits sollten sie die Masken fallen lassen und der Welt ihr wahres Gesicht zeigen.

Das gilt natürlich nur für jene, die mit diesen Regeln ihre liebe Not haben, beeilt sich hinzuzufügen,

Ihr Harry Bergmann


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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