Was hat dieser Krugman gegen mich?

Über die Inzidenz in New York, die vierte Impfung und moralische Verwerflichkeit

Harry Bergmann
am 20.01.2022

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Missfällt unserem Kolumnisten: Paul Krugman. Foto: APA/EPA//OLIVIER HOSLET

Ich weiß wirklich nicht mehr, was ich über Corona schreiben soll. Wie oft soll ich mich noch über Mückstein aufregen oder über die Impfgegner oder über Ausritte von Kickl? Es hängt mir nicht nur die Pandemie schon beim Hals heraus, sondern auch alle unerwünschten Nebenwirkenden. Außerdem schreiben doch in der ganzen Welt alle über Corona. Immer und immer wieder. Auch die Besten der Besten.

Nehmen wir zum Beispiel Paul Krugman. Er hat 2008 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften bekommen und schreibt Kolumnen in der New York Times. Ach, Nobelpreis und New York Times! Was habe ich für einen Preis bekommen, ich Kolumnisten-Zwerg? Einen Werbepreis. Den Print Oscar, der nicht einmal mehr Print Oscar heißen darf, sondern Adgar. Wenn er wenigstens Edgar geheißen hätte, nach Edgar Allen Poe, weil einem kalte Schauer über den Rücken laufen, wenn man ihn überreicht bekommt.

Nobelpreis gegen Print Oscar, der nicht einmal ein Print Oscar ist. Ich bitte Sie!

Da geht also dieser Krugman her und schreibt nicht nur über Wirtschaft, sondern auch über Corona. Nur um mir zu zeigen, wie man darüber zu schreiben hat. Da sitzt jedes Wort und erfahren tut man auch noch etwas. Also das genaue Gegenteil meines wöchentlichen Schmafus. Er will mich aber nicht nur mit Worten vernichten, sondern auch mit anschaulichen Grafiken.

Ich habe mir so eine Grafik angeschaut. Widerwillig, aber ich habe es getan. Die Grafik zeigt die 7-Tage-Inzidenz von New York. Mitte Dezember geht sie senkrecht nach oben und seit ein paar Tagen geht sie – genauso senkrecht – nach unten. Sieht aus wie der Freedom Tower, der nicht mehr Freedom Tower heißt, sondern One World Trade Center, aber um die Essenz der Grafik zu beschreiben, finde ich Freedom Tower besser, weil New York bald von der Omikron-Welle befreit sein wird. Da ich beschlossen habe, mich von diesem Krugman nicht fertigmachen zu lassen, habe ich strebsam die Impfquote von New York (73 Prozent) mit der Impfquote von Österreich (72 Prozent) verglichen. Da kommt sogar einer wie ich zur Erkenntnis, dass die Omikron-Welle bei uns auch so ablaufen könnte, wie in New York. Schnell steil hinauf und bald schon wieder steil bergab. Für „steil bergab“ gibt es bei uns ohnehin eine ganze Reihe von ausgewiesenen Spezialisten.

Ich selbst bin ja mehr auf dem Vierte-Impfung-Trip. In meiner anderen Heimat Israel sind schon 600.000 Leute zum vierten Mal geimpft. Ich sollte der guten Ordnung halber vielleicht sagen: ich w-a-r auf dem Vierte-Impfung-Trip. Diesmal kam mir nicht Krugman in die Quere, sondern eine gewisse Gili Regev-Yochai. Sie ist zwar keine Nobelpreisträgerin, aber immerhin eine der führenden Forscherinnen im Sheba Medical Center in Israel. Das Sheba Medical Center hat eine groß angelegte Studie über den vierten Booster gemacht. Regev-Yochai findet allerdings die Ergebnisse der vierten Impfung nicht so überzeugend wie erwartet. Jetzt weiß ich natürlich nicht, was die gute Gili überzeugt und was nicht, aber mir hat sie die vierte Impfung ordentlich verleidet und schreiben kann ich jetzt auch nicht mehr darüber. Ach, wie gern hätte ich das verdatterte Gesicht von Krugman gesehen, wenn er auf falter.at meine Expertise über den vierten Shot gelesen hätte. Ich hätte ihm wahrscheinlich auch noch eine Grafik entgegengeschleudert.

Also ich lass es einfach mit Corona, bleibe aber in Israel und schreibe über die israelische Innenpolitik. Das interessiert Sie zwar nicht allzu sehr, aber ich kenne mich zumindest ein bisschen besser aus als im pandemischen Labyrinth.

Fangen wir einmal bei Avichai Mandelblit an. Der ist Generalstaatsanwalt, aber nur mehr bis zum 1. Februar im Amt. Das interessiert vielleicht nicht allzu viele Menschen, aber mit Sicherheit interessiert es einen: Benjamin Netanjahu. Ja, Sie lesen schon richtig. Sie dachten vielleicht, dass Sie von ihm, Trump und Kurz nie mehr etwas hören würden. Falsch gedacht. Ich fürchte in allen drei Fällen das Gegenteil.

Mandelblit hat Netanjahu einen Deal vorgeschlagen. Wenn sich Netanjahu vor dem 1. Februar einer etwas nebulosen Straftat (moralische Verwerflichkeit) schuldig bekennt – berichtet der Nahost-Thinktank „mena-watch“ – wäre die Staatsanwaltschaft zu einem Vergleich bereit. Moralische Verwerflichkeit hat aber ihren Preis. Netanjahu wäre für sieben Jahre von jedem öffentlichen Amt ausgeschlossen. Aus, Maus, Politik.

Na wäre das nicht auch ein Deal für Donald und Sebastian?

Netanjahu hat natürlich noch nicht zugestimmt. Er sucht noch das Loch im Zaun, um wieder einmal dem Ungemach zu entkommen. Politik wäre nicht Politik, wenn ein Querschläger dieses Deals nicht auch Unschuldige treffen könnte. In diesem Fall die mühsam zusammengezimmerte Koalition, die dann auseinanderbrechen könnte, weil der gemeinsame Feind verloren geht und die Netanjahu-Partei ohne Netanjahu plötzlich wieder koalitionsfähig für alle rechtsgerichteten Parteien werden könnte.

Während ich das so schreibe und ganz stolz über meine Kompetenz bin, in einem Bereich, den niemand interessiert, fällt mir siedend heiß ein, dass Krugman mir wieder die Show stehlen könnte. Bei meinem Glück hat er etwas unglaublich Interessantes über Netanjahu in der New York Times geschrieben oder hat ihm bei einem Empfang die Hand gegeben oder ihn sogar – ach, Du Schreck – in Wirtschaftsfragen beraten.

Und ich stehe beim nächsten Mal wieder da und habe keine Ahnung, was ich schreiben kann, ohne mich zu blamieren.

Mehr und mehr missfällt mir dieser Krugman, und das hat mit Paranoia nichts zu tun. Gar nichts.

Ihr Harry Bergmann


Während andere gute Vorsätze für 2022 fassen, ändert Harry Bergmann einfach seine Bio. 2022 wird sein Jahr. Er wird sich überreden lassen, weitere Kolumnen zu schreiben. Er wird endlich sein erstes und letztes Buch zu Ende schreiben und es wird ein Bestseller werden. Er wird wieder seine Marketing-Beratungstätigkeit aufnehmen und Agenturen und Kunden werden Schlange-Stehen. Und wenn das alles nicht passiert, dann wird eben 2023 sein Jahr.

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