Über das Impfpflichterl und den Hang zur Verkleinerung

Oder: Was wusste Hebbel schon über Covid-Impfungen?

Harry Bergmann
am 18.01.2022

Abonnieren Sie Harry Bergmanns Loge 17:

Die Südseite des Wilden Kaisers mit Ackerlspitze und Maukspitze. Foto: Blutgretchen / CC BY-SA 3.0

Ich bin ein Banause. Wenn es dazu überhaupt noch irgendeines Beweises bedarf, dann vielleicht diesen: ich verstehe kaum etwas, was Friedrich Hebbel geschrieben hat. Er und alle hochgebildeten Leserinnen und Leser meiner Kolumne (höchstwahrscheinlich ein Widerspruch in sich) mögen mir verzeihen. Unter all seinen vielen Sätzen, die ich nicht verstehe, verstehe ich einen ganz besonders nicht: „Österreich ist eine kleine Welt, in der die große ihre Probe hält.“

Meint er, der Deutsche, dass Österreich eine Art Vorreiterrolle hat? Worin? Korruption? Untersuchungsausschüsse? Chats unter der Gürtellinie? Corona-Management? Neo-Nazis? Pfitschigogerl? Keine Ahnung.

Oder ist Österreich eine Art Testlabor für die Welt, wie etwa Israel bei den Impfungen? Eher nicht. Was wusste Hebbel schon über Covid-Impfungen.

Oder meint er, dass Österreich nie über den Probestatus, über die „kleine Probebühne“ hinauskommt? Wenn es ernst wird, wenn es darauf ankommt, dann bekommt Österreich weiche Knie. Schon wahrscheinlicher.

Ich halte mich lieber an den Teil des Satzes, den ich verstehe, dass nämlich Österreich eine kleine Welt ist. Aber die Kleinheit genügt Frau und Herrn Österreicher nicht. Alles, was sich für eine weitere Verkleinerung eignet, wird weiter verkleinert. Bis zur bedeutungslosen Herzigkeit minimiert. Nehmen wir zum Beispiel einen handfesten Betrug. Der wird schnell zum Legerl. Wohl in der Hoffnung, dass das auch das Strafausmaß vermindert. Oder die junge, Türkise Truppe, die ein ganzes Land in politische Geiselhaft genommen hat. Das ist dann eine Buberl-Partie.

In Österreich werden sogar festgelegte Maßeinheiten minimiert: „Gemma no auf a Vierterl?“

Was ist das genau? Eine Einladung auf etwas weniger als ein Viertel? Krügerl, Seiterl, … beim Alkohol geht es nicht nur um die Verkleinerung der Wahrnehmung, sondern offensichtlich auch darum den heftigen Zuspruch zu einer beachtlichen Promille-Zahl zu bagatellisieren.

Oder dient das alles nur zur Verniedlichung, zur Verharmlosung? Wenn – er fällt mir in letzter Zeit immer öfter ein – der Innenminister Karner das Subjekt seiner Hochachtung „Dollfusserl“ nennen würde, dann wäre nicht nur der Bestand des Museums gesichert, sondern sogar das große, scharfe „ß“ auf ein kleines, harmloses „ss“ zurückgestutzt.

Der Österreicher liebt Information, die ihm in verdaubaren Häppchen serviert wird. Fingerfood für den Verstand, für das bessere Verstehen, für das höhere Verständnis. Jüngstes Beispiel: die Impfpflicht. Oder das, was als Impfpflicht begonnen hat und jetzt als Impfpflichterl der Öffentlichkeit präsentiert wird. Zuerst entlassen wir die Jungen aus der Pflicht. Sind das nicht die mit der höchsten Inzidenz? Dann kontrollieren wir natürlich, aber nicht gleich. Dann strafen wir auch, aber nicht zu hoch. Und schon haben wir den Pelz der Ungeimpften gewaschen, ohne sie allzu nass gemacht zu haben. Das alles erinnert an den Lockdown für Ungeimpfte. Ein bisserl zahnlos. „Bisserl“ ist übrigens das wichtigste Wort der alpenländischen Unschärfe.

Aber vielleicht ist es auch gut so. Vielleicht war das die einzige Möglichkeit, sich aus der Sackgasse herauszumanövrieren. Es ist müßig, darüber zu debattieren, was uns in die Sackgasse hineingeführt hat. Wir wissen es alle und wir kennen auch die Namen. Das Virus war es jedenfalls nicht allein. Es hatte und hat Komplizen in hohen und höchsten Positionen.

Wer eine Impfpflicht sehen will, sieht eine Impfpflicht. Wer keine Impfpflicht sehen will, sieht keine Impfpflicht. Wenn das nicht ein österreichisches Wegerl ist, dann weiß ich nicht, was ein österreichisches Auswegerl ist. Und wer es immer schon sehen wollte, der sieht, wo alle Parteien stehen und wo die FPÖ steht. Und wer es nicht sehen will, der soll seine Maske herunternehmen und demonstrieren gehen.

Apropos sehen: dort, wo ich jetzt bin, sehe ich beim Aufwachen den Wilden Kaiser. Und dort, wo man den Wilden Kaiser sieht, da gilt nicht das Motto „Derfs a bisserl weniger sein?“, sondern „Derfs a bisserl mehr sein?“ Man wird nicht Corona-Hotspot, weil es auf der Alm ka Sünd’ gibt. Ein bisserl mehr feiern, ein bisserl mehr Leute in die Gondeln packen, ein bisserl mehr ungeimpft sein, ein bisserl alles besser wissen als alle anderen und schon stürmt man den Inzidenzgipfel. Und solange Ischgl noch immer als Buh-Dorf (ha, das wäre doch einmal eine Kolumne: Vom Kuh-Dorf zum Buh-Dorf) durch die Medien geistert und Braunau die geringste Impfquote hat, was soll der Gams schon groß passieren.

Da freut sich die Tourismusministerin, da freut sich der Landeshauptmann, da freut sich der Bürgermeister, da freuen sich die Bergbahnen, da freuen sich die Hoteliers und Gastronomen. Wie heißt es so schön? „Omikron kann man nur mehr durchrauschen lassen.“ Oder „Ein Bisserl geht immer.“

Meint

Ihr Harry Bergmann


Während andere gute Vorsätze für 2022 fassen, ändert Harry Bergmann einfach seine Bio. 2022 wird sein Jahr. Er wird sich überreden lassen, weitere Kolumnen zu schreiben. Er wird endlich sein erstes und letztes Buch zu Ende schreiben und es wird ein Bestseller werden. Er wird wieder seine Marketing-Beratungstätigkeit aufnehmen und Agenturen und Kunden werden Schlange-Stehen. Und wenn das alles nicht passiert, dann wird eben 2023 sein Jahr.

Abonnieren Sie Harry Bergmanns Loge 17:

Weitere Ausgaben:
Alle Ausgaben der Loge17 finden Sie in der Übersicht.

12 Wochen FALTER um 2,50 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!