Über Juden, Witze, Geschmack, Ohrfeigen und die Pest

Ein abschließendes Wort zum "Best of Böse"-Cover und der Rolle von Satire

Harry Bergmann
am 30.12.2021

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Das echte 'Best of Böse'-Cover (links) und jenes, das die Gemüter erhitzte (rechts)

Ich wollte Ihnen erst wieder 2022 schreiben, aber ich bin zwei Dingen begegnet – besser gesagt, sie sind mir begegnet – die so sehr 2021 sind, dass ich sie auch noch 2021 erzählen möchte.

Mit großer Aufmerksamkeit habe ich die Diskussionen über den „Best of Böse“-Cover verfolgt. Am interessantesten, amüsantesten und entlarvendsten fand ich die Amplituden dieses Kulturstreits. Und da vor allem, wer diejenigen waren, die sich am lautesten empörten. „Haltet den Dieb!“ reloaded.

Die Welt hat nicht darauf gewartet, dass auch ich noch meine Meinung abgebe, was Satire ist und was sie darf. Aber ich würde trotzdem noch gern bei der Satire bzw. beim „Deckmantel Satire“ bleiben.

Auf Platz 55 des Rankings von „Best of Böse“ findet sich die Kabarettistin Lisa Eckhart. Die Begründung der Jury: Ihre schlechten Judenwitze und das begleitende Bedauern, dass man das „heute ja nicht mehr sagen darf.“

Kostprobe gefällig?

„Am meisten enttäuscht es von den Juden, da haben wir immer gegen den Vorwurf gewettert, denen ginge es nur ums Geld, und jetzt plötzlich kommt raus, denen geht’s wirklich nicht ums Geld, denen geht’s um die Weiber, und deshalb brauchen sie das Geld. Was tun, wenn die Unantastbaren beginnen, andere anzutasten? Die heilige Kuh hat BSE.“ Furchtbar lustig, finden Sie nicht auch?

Weil das alles unter dem Deckmantel der Satire und dem Spiegel, der dem Publikum angeblich vorgehalten wird, läuft, sei nochmals der Historiker Michael Wolffson erwähnt: „Die Form von Lisa Eckharts ist so dicht am antisemitischen Original, dass man den doppelten Boden vergeblich sucht.“

Als ich „schlechte Judenwitze“ las, ahnte ich schon, welche Diskussion mich einholen würde. Ich musste nicht lange darauf warten, da poppte schon die Frage auf Twitter auf: „Was ist das Gegenteil eines schlechten Judenwitzes?“ Der Gefragte, ein wunderbarer Journalist und lieber Freund von mir, dem ich vor längerer Zeit schon versprechen musste, seinen Namen in meiner Kolumne nicht zu erwähnen, verlängerte volley die Frage zu mir (für einen absoluten Fußball-Ahnungslosen wie ihn eine erwähnenswerte Leistung).

Na gut, jetzt hatte ich ihn also auf, den Judenwitz-Scherm. An sich wäre die Antwort ja einfach: „Das Gegenteil eines schlechten Judenwitzes, ist … ein guter Witz.“ Aber dann käme postwendend die nächste Frage (oft genug nicht ohne Hintergedanken gestellt): „Ist das nicht eine Frage des Geschmacks?“ Nein, lieber unbekannter Fragesteller oder liebe unbekannte Fragestellerin, es hat weder was mit der Verschiedenheit von Geschmäckern noch von Ohrfeigen zu tun, obwohl ich den Vergleich zwischen Geschmack und Ohrfeige nie wirklich verstanden habe. Im Zweifel hat Diskriminierung mehr mit Ohrfeigen zu tun. Und genau darum, nämlich um Diskriminierung und um die Bedienung von Vorurteilen, geht es bei Burgenländerwitzen, Ostfriesenwitzen und nicht zuletzt bei Judenwitzen.

An Vorurteilen fehlt es – ich bleibe einmal auf dem für mich etwas sichereren Terrain des Judentums – nicht. Die Geldgier, die Übervorteilung, das Es-Sich-Irgendwie-Immer-Richten (insbesondere die 6 Millionen, die es sich im Holocaust so toll gerichtet haben), der Zusammenhalt zum Nachteil derer, die nicht dazugehören und – nicht zu vergessen – von den schon im „Stürmer“ so schön beschriebenen äußeren Merkmalen.

Was den Judenwitz so explosiv macht, ist der dahinter lauernde Antisemitismus. Das soll bei Gott nicht heißen, dass jeder, der einen schlechten Judenwitz erzählt ein Antisemit ist, aber die Vorurteile, die sowohl dem Witz als auch dem Rassismus zugrunde liegen, sind nicht selten die gleichen. So erklärt sich auch der Unterschied zwischen einem Judenwitz und einem jüdischen Witz, der augenzwinkernd mit den Eigenheiten des jüdischen Zusammenlebens spielt.

Jetzt wird mir aber der Boden unter den Füßen langsam zu heiß und ich steige lieber auf die Ostfriesen um. Wenn ein Ostfriese einen Ostfriesenwitz erzählt, dann ist das Selbstironie, von der wir alle nicht genug haben können. Und wenn ein Ostfriese einem anderen Ostfriesen einen Ostfriesenwitz erzählt, ist es noch besser. Denn erstens muss es ein guter Witz sein, denn der andere Ostfriese kennt ja schon alle Ostfriesenwitze und zweitens fördert es das Zusammengehörigkeitsgefühl, wenn man über gemeinsame Schwächen lachen kann.

Und was hat das alles mit der Pest zu tun, die sich in die Headline geschwindelt hat? Viel.

In Zeiten der Pest – jede Alternative zum Wort Pandemie ist mir recht – geht es immer wieder genau um dieses Gegensatzpaar „Diskriminierung“ und „Zusammengehörigkeit“. Wohin man schaut sind Abgrenzung, Ausgrenzung, Spott, Hohn, Aggression, ja Hass gegenüber den Anderen. Das alles hat die Pest nicht erfunden, sie hat nur das immer schon Vorhandene ans Tageslicht gezerrt und für alle weit sichtbar gemacht. In den Sonntagsreden wird zwar immer noch eine Zusammengehörigkeit beschworen, die es aber längst nicht mehr gibt. Wohin uns das führt? Na, wohin wird es uns schon führen, wäre eine passende, rhetorische Gegenfrage in einem jüdischen Witz.

An das Prinzip der Gegenfrage musste ich gestern denken, als ich mit Freunden in dem kleinen Städtchen Martina Franca in Apulien spazieren ging. Ich sah eine junges Paar. Er mit Maske, die ja mittlerweile auch im Freien vorgeschrieben ist und sie auch mit Maske, aber in der Hand haltend. Ich habe den Beginn der Unterhaltung nicht mitbekommen, aber es ging offensichtlich darum, ob sie die Maske auch aufsetzen soll.

Er: „Perché no?“

Sie: „Perché si?“

Er: „Perché no?“

Wenn sich das Ganze nicht auf Italienisch abgespielt hätte, dann hätte es ebenso gut der Beginn eines jüdischen Witzes sein können.

Einen wunderbaren Beginn von 2022

Wünscht Ihnen,

Ihr Harry Bergmann

Übrigens: die Vernunft des „Perché no?“ hat gesiegt. Sie hat die Maske aufgesetzt.


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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