Der lernende Schneekönig

Der Schneekönig hat etwas, das in Österreich mehr zählt als politische Schachzüge - er ist ein fescher Kampl, der verlegen lachen kann, wie ein Bub

Harry Bergmann
am 16.12.2021

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Das ist ein Schneekönig, also eigentlich ein Zaunkönig. Foto: HerrMente, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=38274500

Bevor ich mich mit dem Schneekönig mitfreue, wollte ich Ihnen noch schnell eine Wortschöpfung vorstellen, über die ich in einem Artikel in der israelischen Zeitung „Haaretz“ gestolpert bin: Nothingburger.

Tolles Wort, finden Sie nicht auch? Kein Hamburger, kein Cheeseburger, kein Fishburger, eben ein Nothingburger. Darüber hinaus ist diese Art von Burger sehr facettenreich einsetzbar, wie ich hoffe in dieser Kolumne unter Beweis stellen zu können.

Im Haaretz-Artikel ging es um den guten, alten Donald, den Trump und den ebenso guten, alten Bibi, den Netanjahu. Letzterer hatte Joe Biden zu seinem Wahlerfolg gratuliert. Ohnehin nach langem Herauszögern, aber doch. Eine Tatsache, die Trump derart erzürnte, dass er angeblich einen Golfschlag so verpatzte, dass der Ball im nächstgelegenen Teich landete. Mit diesem sportlichen Missgeschick kommt man aber noch nicht in die „Haaretz“. Da braucht es schon mehr. Das ließ aber nicht lange auf sich warten. Auf Netanjahu angesprochen, machte Trump aus seinem Herzen keine Mördergrube und sagte: „Fuck him!“ Nicht im privaten Kreis übrigens, sondern einem bekannten israelischen Journalisten gegenüber.

Ein republikanischer Kongressmann, Trumpianer der Alten Schule, meinte allerdings, dass das F-Wort, im Vergleich zu all den historischen Zugeständnissen, die Trump Israel gegenüber gemacht hatte, eben ein „Nothingburger“ sei.

Ein Nothingburger ist also ein Nichts, eine Bagatelle, eine quantité négligeable. „Das ist kein Nothingburger“ könnte, um nur ein Beispiel zu nennen, das schon etwas abgenudelte und in feinerer Gesellschaft ohnehin nicht anwendbare „Des is ka Lercherlschas net“ ablösen.

Aber jetzt zum Schneekönig, unserem ganz neuen Bundeskanzler. Sie wissen ja, was ein Schneekönig ist, oder? Ich wusste es nämlich nicht und musste nachsehen: „Der Schneekönig heißt eigentlich Zaunkönig und ist ein kleiner Vogel, der über den Winter nicht in den Süden zieht, wie viele andere Singvögel. Deshalb wird er auch Schneekönig genannt. Und weil er trotz Kälte und Schnee durch unsere Gärten hüpft und singt, denkt man, er würde sich freuen.“

Ich habe einige Interviews gesehen, die der ganz neue Bundeskanzler gegeben hat und es war in jedem dieser Gespräche spürbar, dass er sich, wie ein Schneekönig, freut, ganz oben auf der Polit-Leiter zu stehen. Was für ein angenehmer Unterschied zu seinem Vorgänger, dem Blockflötenspieler, wie ich ihn gerne nenne, ohne genau zu wissen, warum. Der schlich nämlich deprimiert-deplaziert herum, obwohl er ganz genau wusste, dass er sich bei gutem Wind – ach was, bei irgendeinem Wind – schleichen würde. Als Bundeskanzler ein echter Nothingburger.

In dem Gespräch mit Corinna Milborn und Armin Wolf sagte der Schneekönig etwas sehr Interessantes. Er wolle ein lernender Schneekönig sein. Natürlich weiß man bei einem Politiker, der plötzlich auf „normaler Mensch“ macht, nie genau, was man davon zu halten hat. Aber ich fand es überraschend, dass er es sagte und sympathisch, wie er es sagte. Ich weiß noch, wie ich mir dachte: „Vielleicht ist er tatsächlich diese seltene Gattung des Saulus-Paulus- Schneekönigs.“

Bei aller Harmoniesucht darf man natürlich nicht vergessen, was er als Innenminister alles gemacht hat. Nächtliche Abschiebungen von Kindern – um nur Eines x-beliebig herauszugreifen – sind ja keine Nothingburger nicht. Ausgerechnet er, noch vor Monaten der Aufrüster der Nation, redet jetzt von Abrüstung. Um genauer zu sein: von der Abrüstung der Worte. Er hat sogar mit Elli gesprochen und ihr erklären können, dass das Blut an den Händen von Herbert Kickl gar kein Blut, sondern nur Farbe sei. Wird wieder Paintball gespielt?

Und dann noch etwas: der ganz neue Innenminister ist ein Freund von ihm, sagt er, den er persönlich angerufen hat, um ihn für sein Team zu gewinnen. Karner sein Freund? Das hieße ja dann aber auch, dass unser Schneekönig ein Dollfuß-Museum für einen Nothingburger hält, oder?

Also was stimmt jetzt? Der polternde, harte, knorrige, vokaleverschluckende, aus-einem-r- fünf-rrrrr-machende, Zischlaute von sich gebende Innenminister von damals oder das launige vom Gartenzaun auf den Schneemann hinunterzwitschernde Vogerl?

Ich will auch ein Lernender sein und glaube ihm den Wandel. Zumindest bis zum ersten veröffentlichten Chat mit seinem Freund und Innenminister-Nachfolger, in dem er ihm den Vorsitz über den parlamentarischen Austrofaschismus-Untersuchungsausschuss (irreführenderweise AUA abgekürzt) mit den Worten „Der Sobi kann net scho wieder, mochs Du“ nahelegt.

Jedenfalls ist er mir mit seiner zwischen den Zeilen lesbaren Fehlbarkeit tausendmal lieber als die Türkise Panzerknackerbande mit ihrer rotzfrechen Unfehlbarkeit.

Dennoch hätte ich gern, dass sich diese Regierung in einer vorgezogenen Wahl ihre Legitimation zum Regieren holt. Denn unser ganz neuer Kanzler sitzt auf ausgeborgten 37 Prozent seines Vor-Vorgängers und die Grünen sitzen auf einem Vertrauensvorschuss ihrer Wähler, den sie schon dutzende Male verraten haben. Wenn ich mir den Schneekönig so ansehe, dann könnte das ohnehin gut für ihn ausgehen. Er hat nämlich etwas, das in Österreich viel wichtiger ist als brillante politische Schachzüge. Er ist ein leutseliger, fescher Kampl, der verlegen lachen kann, wie ein Bub.

Und wenn ich mich irren sollte, dann kann ich nur sagen, dass ich eben ein Lernender bin, der noch lange nicht ausgelernt hat.

Sicher ist im Moment ohnehin nur eines: die heranbrausende Omikron-Welle

meint

Ihr Harry Bergmann


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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