Es gibt keine Demo in der Demo

Wenn man weiß, dass Nazis in einer Demo mitgehen, dann akzeptiert man sie. Und das wollten wir doch nie wieder.

Harry Bergmann
am 23.11.2021

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Foto: Daniel Ullrich | Threedots | Wiki Commons | CC BY-SA 3.0,

Ich bin wieder einmal auf einem Hinflug, der diesmal wirklich ein Rückflug nach Tel Aviv ist.

Ja, man könnte mich einen Lockdown-Deserteur nennen. Stimmt aber nur teilweise. Deserteur stimmt, Lockdown nicht. Ich bin nämlich in Wahrheit ein Quarantäne-Deserteur. Das ist einfach erklärt: Österreich ist aus israelischer Sicht nicht rot, sondern noch orange. Orange bedeutet für mich, keine 14-tägige Quarantäne bei der Einreise nach Israel. Und Quarantäne in Israel ist Quarantäne. Nix Beine vertreten oder – zwinker, zwinker – in die Arbeit fahren oder – zwinker, zwinker – Amtsweg.

Im Heiligen Land schaltet die Corona-Ampel irgendwie anders oder langsamer oder hat nicht mitgekriegt, dass es sowohl Bibi als auch Basti nicht mehr gibt, die sich das vielleicht alles am Telefon ausgemacht hätten.

„Du, Bibi, sei so lieb, kannst uns noch ein paar Tage auf Orange lassen? Ich habe gerade eine Umfrage über die Qualität meines Corona-Managements laufen und will nicht schon wieder die Zahlen türken. Türkisieren, ha, ha, ha. Und außerdem: Du weißt ja, wie ich Rot hasse. Apropos Rot: stell Dir vor, die rote Pam glaubt doch wirklich, dass ich sie eines Tages zur Vizekanzlerin machen werde. Ha, ha, ha, da wird ja noch eher der Schallenberg mein Nachfolger und ich setz mich ins Parlament. Ha, ha, ha. Aber weißt was, weil wir’s grad so lustig haben, setz uns doch gleich auf Grün. Da freut sich der grüne Kogler einen Haxn aus und kriegt nicht mit, dass ich den Mücki vor seinen Augen noch fertiger mach‘, als den Anschober. Ha, ha, ha, das mit dem Schallenberg ist echt gut, gell?“

Bibi schweigt ausnahmsweise, weil er aus eigener Erfahrung weiß, dass das in jeglicher Hinsicht nicht gut enden wird. Seit die Pandemie wütet, ist Israel nämlich immer ein paar Monate vor Österreich. Wien war übrigens am letzten Samstag nicht nur ein paar Monate zurück, sondern ziemlich genau 83 Jahre.

Ich war mit dem Fahrrad unterwegs, was bei den Temperaturen an sich schon nicht die Beste aller Ideen war. Noch schlechter war nur die Idee, mit dem Rad den Ring überqueren zu wollen. Denn dort marschierten Zehntausende „Wie-nenne-ich-sie-jetzt-am-besten?“. Aber da war auch dieser nette Polizist, der mir den Rat gab „Steigen Sie lieber ab und versuchen Sie das Rad rüberzuschieben. Aber bitte seien Sie vorsichtig.“ Ich war vorsichtig und entschuldigte mich artig bei allen Querdenkern, die jetzt für ein paar Sekunden als Masse von Quergehern in mein Leben getreten waren.

Jetzt muss ich mich aber kurz selbst unterbrechen, um Ihnen einen hebräischen Begriff zu erklären. Magen David, der Davidstern. Der Davidstern besteht aus zwei blauen, ineinander verwobenen gleichseitigen Dreiecken, einem nach oben zeigenden und einem nach unten. Einer der vielen Deutungen des Davidsterns ist die Darstellung der Beziehung zwischen Gott und den Menschen. Das nach unten weisende Dreieck sagt, dass der Mensch sein Leben von Gott erhalten hat und das nach oben weisende besagt, dass der Mensch am Ende wieder zu Gott zurückkehren wird. Sie haben den blauen Davidstern sicher schon einmal als Nationalsymbol auf der israelischen Fahne gesehen. Nun, diesen Davidstern gibt es auch in gelber Ausführung. Er wurde von den Nazis erfunden, um Juden zu kennzeichnen. Wie sich etwas später in der Geschichte herausstellte, diente diese Kennzeichnung dazu, sofort zu erkennen, wer vergast werden sollte und wer nicht. Daher bekam er von den Nazis auch diesen wunderbar empathischen Begriff „Judenstern“.

Als ich an diesem kalten November-Nachmittag mein Rad durch die Menge schob (es war übrigens am Schottentor – ich habe nämlich gelernt, dass ich immer genau sagen muss, wann und wo ich etwas auf einer Demo gesehen habe) sah ich sie: die gelbe Version des Davidsterns. Da nichts darauf hindeutete, dass der Träger des Sterns jüdischer Abstammung war, konnte es sich eigentlich nur um ein Versehen oder eine Verhöhnung handeln. Ich würde auf Zweiteres tippen.

Die APA hat meine Beobachtung bestätigt. Dass die APA in ihrem Bericht den Begriff „Judenstern“ ohne Anführungszeichen verwendete, könnte unter Umständen damit erklärt werden, dass die Träger des gelben Sterns auf der Demo ihn als Judenstern verstanden wissen wollten. Ich halte es aber eher für unsagbar.

Es passierten übrigens eine Reihe „netter Reminiszenzen“ an diesem Nachmittag. Wie ich in einem Tweet las, wurden im zweiten Bezirk jüdische Personen mit „Wo sind die Gaskammern, wenn man sie braucht?“ angepöbelt.

Ich komme zum Punkt. Es muss endlich Schluss damit sein, zu betonen, dass nicht alle Teilnehmer einer Corona-Demo Nazis sind. Das ist jedem halbwegs vernünftigen Menschen klar. Aber wenn man auf einer Demo mitgeht, dann muss man auch wissen, wer sonst noch mitgeht. Und wenn man weiß, dass Nazis mitgehen, dann hat man es akzeptiert.

Es ist ganz einfach: es gibt keine Demo in der Demo. Es gibt nur eine Demo. Und da geht man oder man geht nicht.

Der Unterschied zu den „Judensternen“ der Dreißigerjahre? 2021 konnte ich am nächsten Tag in ein Flugzeug steigen und nach Israel fliegen. Und ganz ehrlich gesagt: Ich hätte sogar wesentlich mehr als 14 Tage Quarantäne dafür in Kauf genommen.

Meint

Ihr Harry Bergmann


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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