Und was ist Ihre Obsession?

Nicht jede Sonntagsfrage fühlt sich an wie Sonntag und andere Gründe, warum wir wählen sollten

Harry Bergmann
am 26.10.2021

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Grafik: APA | Quelle: Peter Hajek/APA/ATV

Ja, es ist sicher obsessiv. Mein ständiges Gejammer, dass ich sobald wie möglich wählen möchte, ist zweifelsfrei obsessiv. Na und? Hat nicht jeder von uns seine Obsessionen? Und geht nicht jeder von uns jemand anderem damit maßlos auf die Nerven? Sie könnten natürlich einwenden, – und ich fürchte, Sie werden das auch gleich tun – dass Sie die Obsessionen von irgendjemand anderem nicht abonniert haben, meine aber schon. Touché!

Ich werde versuchen, mich noch einmal zu erklären:

In den letzten Monaten ist so viel passiert, dass die Mandatsverteilung, so wie sie sich heute im Parlament darstellt, nicht mehr repräsentativ ist. Nicht mehr repräsentativ für das, was heute im Land gedacht und gewollt wird. Und wenn die Mandatsverteilung oder die Sitzverteilung nicht mehr stimmt, dann stimmt auch die Machtverteilung nicht. Und wenn die Machtverteilung nicht stimmt, dann haben wir genau das, was wir im Moment eben haben: die Politik und die Bevölkerung leben nicht unter dem gleichen Himmel.

Je schneller das geändert wird, desto besser. Ich bin in diesen Dingen nicht sehr bewandert, aber ich denke, eine Wahl im späten Frühjahr 2022 müsste doch möglich sein, oder?

Das ist dann eine Art Kassasturz und wir wissen alle, wo wir stehen. Mag sein, dass mir das, was bei der Wahl herauskommt, noch viel weniger schmeckt, als es mir jetzt schmeckt, aber dann ist es halt so oder wie der Herr Bundespräsident dann achselzuckend sagen wird: „So sind wir halt!“

Natürlich habe ich nicht nur lautere, sondern auch lausbübische Motive. Und das lausbübischste Motiv von allen ist: ich will wählen, weil keine Partei will, dass ich wähle.

Ich verstehe ja, dass sie es nicht wollen, aber ich bin wild entschlossen, endlich den Spieß umzudrehen: mein ganzes Leben lang war den Parteien wurscht, was ich will, und jetzt ist mir wurscht, was sie wollen. Und wie auch noch.

Fangen wir mit der ÖVP an. Die wissen ja nicht einmal, ob sie Türkis oder schwarz sind. Und wenn sie wieder schwarz sind, wie sollen sie sich dann nennen? Sie können sich ja schlecht „alte Volkspartei“ nennen. Wer wählt denn so etwas? Und wenn sie Türkis bleiben, wer soll sie dann in die Wahl führen? Kurz etwa? Oder Schallenberg (ha, den schau ich mir im Bierzelt an, mit heißen, roten Ohren und beschlagener Brille). Je früher wir wählen, desto früher müssen die Türkis-Schwarzen vulgo Schwarz-Türkisen Farbe bekennen. Das wollen sie natürlich nicht. Sie wollen alles aussitzen, dann den Parteiobmann bei Nacht und Nebel meucheln – Spezialität des Hauses – dann eine neue bedauernswerte Figur zum Gotts-zweit-Obersten vor Gnaden der Länder und Bünde bestimmen und vor allem darauf warten, dass die Zahlen wieder besser werden. In einer unlängst veröffentlichten Sonntagsfrage, die für die ÖVP eigentlich mehr eine Karfreitagsfrage war, standen sie bei gruseligen 23 Prozent und was noch gruseliger war, faktisch schon Geisterbahn, die Roten hatten auch 23 Prozent. „Momentaufnahme“, sagen die, die sich in der Politik viel besser auskennen, als ich. „Moment mal!“, sagen die Polit-Roten, die hoffen, dass sie von den Polit-Toten wieder auferstanden sein könnten.

Die Roten, ach die Roten! Bevor wir davon reden, warum die SPÖ augenscheinlich auch nicht heiß auf Neuwahlen ist, müssen wir feststellen, wer die SPÖ überhaupt ist. Nein, die SPÖ muss feststellen, wer die SPÖ ist. Und vor allem: wer wer in der SPÖ ist. Ein seltsames Spiel ist da im Gange, und jeder tut so, als würde er gar nicht mitspielen. Da ist einmal PRW. Wollte sie nicht gerade noch Bundeskanzlerin werden, auch wenn der Preis Kickl war (schade: „zum Hofer-Preis“ wäre der viel bessere Kalauer gewesen, als „zum Kickl-Preis“)? Sie kann einem leid tun. Auch die Grünen und die Pinken haben mit dem Kornblumen-Blauen geredet, aber wieder einmal pickt das ganze Ungemach an der bedauernswerten Pam. Vielleicht ist sie gar nicht so bedauernswert und hat einen diabolischen Plan, wie sie das Ungeheuer von Loch Neusiedl im gleichnamigen See ertränkt. Oder der Rathausmann zieht die Strippen. Oder nichts von dem oder alles gleichzeitig. Je früher wir wählen, desto früher wissen wir es.

So schwer mir dieser Satz fällt, aber „bleiben wir doch bei Kickl“. Der gewinnt so oder so, die Frage ist nur, wieviel. Ich finde das alles so unsagbar, dass ich am besten gar nichts sage. Eines nur: je später wir wählen, also je länger das Chaos anhält, desto mehr wird er davon profitieren und dazugewinnen. So ist das Land, Herr Bundespräsident. Da hätten Sie in der Vergangenheit schon ein bisserl strenger sein müssen.

Dass die Grünen nicht wählen wollen, ist klar. Aber ist es wirklich so klar? Gut, die Türkisen zerbröseln Ihnen gerade unter der Hand und sie fühlen sich nach monatelangem Wachkoma voll Tatendrang. Koglers Sätze dauern nur mehr fünf Minuten und Maurer mausert sich von der grauen Maus zur Katze. Sie haben ein paar Projekte auf Schiene gebracht und die Umfragen schauen auch gut aus. Aber darf ich als Betroffener (ich habe Sie nämlich gewählt, um die Blauen loszuwerden) sagen, dass sie meine Stimme verraten haben? Wieder und wieder. Wie mir geht es vielen. Ich weiß nicht, ob ich im Namen dieser Vielen spreche, aber ich will sie so bald wie möglich nicht mehr wählen. Ich bin nämlich angefressen. Rücktritt Kurz hin, Rücktritt Kurz her.

Die Pinken wollen mitregieren. Warum nicht? Ob sie es tun werden oder nicht, hängt aber nicht allein von BMR ab, sondern von den Roten und den Grünen und ob die stark genug sind, um so eine Dreier-Koalition überhaupt möglich zu machen. Würden mich die Pinken fragen, was sie natürlich nicht tun, dann würde ich Ihnen raten, so schnell wie möglich wählen zu lassen. Es laufen jetzt so viele politisch Heimat- und Orientierungslose herum, die auf ein anständiges, transparentes, einfaches Angebot warten.

So, jetzt kennen Sie meine Obsession (und ich noch immer nicht Ihre). Als kleines Wähler-Würschtl hat man eben nur dann eine Stimme, wenn man sie – auf einem Wahlzettel – auch abgeben kann. Ist nicht viel, aber mehr als nix, meint

Ihr Harry Bergmann

Das mit der Obsession ist deshalb auch für einen selbst so ärgerlich, weil man alles andere daneben vergisst. Ich wollte Ihnen doch immer auch etwas über Israel erzählen und jetzt ist diese Kolumne schon so unerträglich lang geworden, dass ich nur mehr eines sagen kann: hier will auch niemand wählen. Nach vier Wahlen innerhalb von zwei Jahre allerdings kein Wunder.


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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