Ein Sommer namens Leo

Im vergangenen Sommer wurden wichtige Vorbereitungsmaßnahmen auf den Herbst verschlafen. Wie wird es heuer?

Harry Bergmann
am 30.06.2021

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Zugegeben: Es gibt Schlimmeres als das Leo | Foto: Shutterstock

Noch sind wir mittendrin. Aber es geht – wie wir aus alljährlicher, schmerzlicher Erfahrung wissen – so schnell, und schon ist er wieder vorbei. Die Rede ist vom Sommer. Von diesem Sommer. Der, den wir uns so sehr verdient haben oder zumindest glauben, dass wir ihn uns so sehr verdient haben.

Ziemlich dunkle Monate liegen hinter uns. Ein winziges Virus und seine Mutanten- Freunde haben unser Leben, das wirklich schon kompliziert genug war, noch komplizierter gemacht. Home working, home schooling, home aufdienervengoing, home klaustrophobing. Dazu die Wetterlage, die Weltlage und die Lage der Nation. Wenn das nicht reicht, dann weiß ich auch nicht.

Ich würde diesen Sommer gerne Leo nennen. Nach Leopold II. Er hatte nämlich angeordnet, dass Kriminelle, die sich in eine Kirche retten können, von der Polizei nicht verhaftet werden dürfen.

Natürlich will ich damit nicht sagen, dass wir alle Kriminelle sind. Als Kinder waren wir es schon gar nicht. Aber dennoch kennen wir das „Leo“ schon von klein auf. Damals, als wir uns beim Fangerl-Spielen mit letzter Not dorthin gerettet hatten. Im Leo waren wir sicher, zumindest für den Moment.

Jeder Mensch braucht von Zeit zu Zeit sein Leo. Der eine für das, die andere für jenes. Ich will jetzt nicht dramatischer klingen, als unbedingt notwendig, aber wir sind schließlich alle auf der Flucht. Irgendetwas oder irgendjemand rennt uns immer nach.

Und dann gibt es eben auch die kollektiven Leos. Wie den Sommer eben. Eine Zeit, in der das generelle Hyperventilieren eingestellt wird und die Gesellschaft wieder zu Atem kommen kann. Wir nehmen uns aus dem Spiel raus, genießen Sonne, Strand, Berge, Seen und die wirklich privaten, weil Auge-in-Auge-Chats mit Freunden.

Wir vergessen aber allzu gern und allzu schnell, dass das alles auch wieder ein Ende haben muss. Denn „draußen“ geht das Spiel weiter. Oder, um im anderen Bild zu bleiben: der Dieb kann ja nicht ewig in der Kirche hocken.

Nehmen wir zum Beispiel Leo 2020, also letzten Sommer. Wir hatten gerade den einzig wirklich strengen Lockdown hinter uns, den, den wir später den „ersten Lockdown“ genannt haben. Alles war vergessen: der Babyelefant, der damals nur einen Meter lang war, die Masken, die Plastikhandschuhe, das Haut herunterrubbelnde Händewaschen, ja wir hatten sogar schon ein Zehntel der Klopapierrollen, die wir gehortet hatten, aufgebraucht. Wir genossen das „dolce far niente“, das süße Nichtstun.

Unglücklicherweise vergaßen aber auch andere die Welt um sich herum. Nämlich die, die wir gewählt haben, damit sie sich um das Allgemeinwohl kümmern oder zumindest schauen, dass die staatlichen Aufgaben erfüllt werden.

Ich sollte vielleicht etwas türkiser formulieren: die Welt um sich herum vergessen die nie! Im Gegenteil, sie beschäftigten sich – in immer autokratischeren, konzentrisch enger werdenden Kreisen – nur mehr mit sich selbst und mit dem Vermarkten heißer Luft, wenn sie sich nicht gerade entschlagen. Jedenfalls schwänzten sie 2020 ihren Job oder sogar das, was sie sich in die eigenen Job Description hereingeschrieben hatten. Ausreichend Impfdosen zu organisieren, wäre – um nur ein Beispiel zu nennen – vielleicht ein ganz passabler Anfang gewesen. Sie haben es verpennt. Sie haben es einfach verpennt. Von der Prinzessin Turandot und ihrem Befehl „nessun dorma“ haben sie wohl noch nie was gehört. Dabei haben sie doch ständig Freikarten in die Oper.

Die Rechnung dafür bezahlten selbstverständlich nicht sie selbst, sondern die anderen – also wir – was sich seit einer gefühlten Ewigkeit wie ein Naturgesetz ausnimmt.

Und jetzt? Im Leo 2021? „Dasselbe in Grün“ würde man am liebsten sagen, wenn die Farbe Grün nicht von der gleichnamigen Partei so desavouiert worden wäre, dass man lieber „dasselbe in blassblau“ sagen würde wollen, was wiederum wegen der Kornblumen-Partei noch viel weniger geht. Aber Sie wissen schon, was ich meine. Im Leo 2021 wird das Gleiche passieren, wie im Leo 2020. Nämlich nichts.

Und im nächsten Winter werden wir ungefähr wieder dort sein, wo wir schon einmal, zweimal, dreimal waren. Minus der Geimpften, plus denen, die vergeblich auf die dritte Impfung warten. Wetten?

Die türkisen Jung-Penner sind nämlich wieder einmal mit sich selbst – also definitiv nicht mit uns – beschäftigt. Eigentlich schon, seitdem sich die beiden ex-blauen Penner einen verbalen Masturbationsabend in Ibiza gegönnt haben. Der eine der  beiden Ex ist überhaupt ein Sommer-Pechpilz. Einmal fackelt er seine Karriere ab und das andere Mal sein Schiff.

Die türkisen Buben, die seit Wochen krachen wie die Kaisersemmeln, haben das Riesenglück, dass die Einzigen, die ihnen koalitions-arithmetisch gefährlich werden könnten, so grottenschlecht unterwegs sind, dass es einem ehemaligen Immer-Wieder-Wähler, die Zornesröte (der letzte traurige Rest von Rot) ins Gesicht treibt. Die Grottenschlechten haben sich übrigens vor ein paar Tagen getroffen und beschlossen, noch grottenschlechter zu werden und den einzigen dünnen Ast, auf dem sie gerade noch wackelig sitzen, abzuknicken. Sägen ist gar nicht mehr notwendig. Und die Abgeknickte ruft im Fallen: „Mit der Kurz-ÖVP nie und nimmer.“ Da freut sich natürlich der Nachfolger in spe, wer immer das auch sein mag, denn dann kann er sagen: „Ich danke meiner Vorgängerin, aber jetzt braucht es einen mutigen Schritt. Ein radikaler Kurswechsel in das Experiment einer großen Koalition ist so notwendig, wie noch nie zuvor. Und wir werden uns diesem Auftrag – von wem immer er auch gekommen sein mag – nicht entziehen. Die Politik hat den kleinen Mann und die kleine Frau aus den Augen verloren, aber wir werden sie wiederfinden. Es muss endlich Schluss sein mit den Worthülsen und wer mich kennt weiß, dass ich weder ein Hosen- noch ein Hülsen-Scheißer bin.“

So ein Leo ist auch nicht mehr das, was es einmal war, meint

Ihr Harry Bergmann


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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