Der Pöbel pöbelt und der Trödler trödelt

Wenn man vom Bundeskanzler eine SMS-Nachricht “Bitte Vollgas geben” erhält, sollte man sich vergewissern, dass sie nicht der Straßenverkehrsordnung widerspricht.

Harry Bergmann
am 04.06.2021

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Foto: Frederic Legrand | COMEO | Shutterstock

„Du musst das Parkett der Verfänglichkeit verlassen“ sagt mein PR-Berater, der immer ein bisserl geschwollen daherredet. Er ist gar kein richtiger PR-Berater. Erstens brauche ich keinen und zweitens kann ich mir einen wirklich guten nicht leisten. Es ist der PR-Berater in mir selbst, der mich ständig damit nervt, wie ich „da draußen ankomme“.

Im Moment macht er sich gerade Sorgen, dass meine Follower-, Abonnenten- und Leserzahlen in den Keller rasseln, wenn ich nicht aufhöre ständig über Israel zu schreiben und Leute, die sich selbst für unbescholten halten, als Antisemiten zu bezeichnen, obwohl die sich für Antizionisten halten und gar nicht wissen, dass Antizionismus bedeutet, dem Jüdischen Staat Israel das Existenzrecht zu verweigern und daher eben Antisemiten sind.

„Aber das Thema interessiert mich und es gibt auch viele – oder zumindest einige – die mir sagen, dass sie das gleiche empfinden und froh sind, dass das mal einer ausspricht“, versuche ich das Selbstgespräch noch in meine Richtung zu drehen.

Und ich setze sogar nach: „Ich erkläre auch ständig, dass man die Politik der letzten 12 Jahre Netanjahus verurteilen kann und ich mich dieser Kritik sogar anschließe, aber Terror ist Terror ist Terror.“

„Nein“ sagt der PR-Schnösel cool „mach mal eine kurze Pause und schreib irgendwas anderes oder mach endlich mit Deinem Buch weiter, da kommen genug Antisemiten vor.“

„Soll ich vielleicht als 2.326ter über die Chatprotokolle schreiben?“

„Ja, warum nicht? Da wird Dir doch irgendeine blöde Geschichte dazu einfallen.“

„Okay, irgendeine blöde Geschichte einfallen…“ murmle ich resignierend.

Kürzlich wurde ich von der Polizei aufgehalten. „Sie wissen, warum wir Sie aufgehalten haben!?“ „Ist das eine Frage oder eine Feststellung?“, fragte ich noch kurz vor der Abmahnung und fügte sogar hinzu „In beiden Fällen muss ich leider mit einem Nein antworten.“

Der Exekutivbeamte drehte sich seiner Exekutivbeamtenkollegin zu und raunte ihr, hinter vorgehaltener Hand, etwas zu. Wenn Sie Tennisfan sind, wie zum Beispiel mein Chef Armin Thurnher, der mich übrigens noch immer in Kurzarbeit hält und daher nur 15% von Null bezahlt, dann kennen Sie die Szene, wenn die beiden Spieler eines Doppels hinter vorgehaltener Hand, genauer genommen hinter vorgehaltenem Tennisball, die Taktik des nächsten Punkts besprechen. Es war nicht ganz, wie beim Tennis, denn beim Tennis hüpft der Zugeraunte, elastisch wie ein Flummy, auf seine Position im Feld zurück, um das zu tun, was sie sich gerade ausgemacht haben. Die Exekutivbeamtenkollegin – gemischtes Doppel also – bewegte sich aber eher provokativ trödelnd aus meinem Gesichtsfeld. Keine Ahnung, was die beiden sich da ausgemacht haben.

„Ich frage Sie zum letzten Mal: wissen Sie warum wir Sie angehalten haben?“ Jetzt war es endlich klar. Es war eine Frage. Und da der Kieberer – pardon, der Polizist – die Geduld mit mir verlor, beantwortete er sie auch gleich selbst. „Sie haben die zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr, als das Doppelte überschritten.“

„Schluss mit lustig“, dachte ich, als ich aus dem Augenwinkel bemerkte, dass die Exekutivbeamtenkollegin, offensichtlich eine Azubi – ihr zuständiger Minister würde sagen: Exxekutifpeamtenazzzubi und Azzzubinnnen“ – die Radarpistole auf mich gerichtet hielt.

Ich behielt aber einen kühlen Kopf und sagte: „Der Herr Bundeskanzler hat eine SMS-Nachricht mit dem Text BITTE VOLLGAS GEBEN geschickt.“ Der Mann wusste sofort, um welche SMS es sich handelt und bekreuzigte sich. Das wiederum war mir peinlich, weil ich fürchtete, seine religiösen Gefühle verletzt zu haben.

„Entschuldigen Sie bitte, aber ich gehöre zum Pöbel – wie Herr Schmid, Thomas Schmid, meint – und das bedeutet nicht nur, dass ich manchmal, auf Kurzstreckenflügen wie der Pöbel reise, nämlich Economy, sondern dass ich mich des Öfteren auch pöbelhaft danebenbenehme.

„Fahrzeugpapiere!“. Der Mann schaltete auf amtsstur. Ich gab ihm zuerst den rosa Lappen, den ich seit gut und gerne 40 Jahren, als meinen Führerschein, mit mir herumschleppe.

„Bist Du g’scheit. Da kann man ja net amol den Namen richtig lesen. Haben Sie einen anderen Ausweis, der Ihre Identität bestätigt?“ Das stürzte mich in eine veritable Identitätskrise. Ich hatte zwar meinen Pass mit, aber es war nur ein ganz normaler österreichischer Reisepass. Der Polizist ist doch sicher obrigkeitshörig, und wenn ich jetzt einen Diplomatenpass hätte, würde er Haltung annehmen und ich könnte meinem furchtbaren Schicksal entgehen.

Da fiel mir Sektionschef Pilnacek ein und ich ärgerte mich. Nicht über Pilnacek selbst, der hat sich ja schon aussektionscheft, aber darüber, dass ich nicht mit ihm bekannt bin. Wäre ich das oder wäre ich ein türkiser Parteifunktionär (eines unmöglicher als das andere), dann hätte er mich sicher vorgewarnt, dass das hier passieren würde und ich wäre zuhause geblieben oder mit einem geborgten Kinderwagen um meinen Häuserblock gegangen.

Ich hätte Pilnacek genau jetzt ein SMS geschickt: „Die blöde Urschel bedroht mich mit der Radarpistole!“ oder „Ich stürze mich heute in die Donau, und Sie sind schuld, weil ich Sie nicht kenne.“

„Also gut, Herr Doktor Bergmann, da mach ma folgendes. Erstens wird gegen Sie, wegen Schnellfahrens und Verunglimpfung einer hochgestellten Persönlichkeit, Anzeige erstattet und zweitens werden wir Ihre Dissertation überprüfen lassen.“

„Wieso Verunglimpfung einer hochgestellten Persönlichkeit?“, jammerte ich ihn an, weil ich glaubte, dass er sich selbst damit gemeint hatte. Er stand ja aufrecht hoch über mir, der ich in dem niedrigen Sitz meines Autos versunken war.

„Sie haben den Herrn Bundeskanzler verunglimpft und ich liebe meinen Kanzler.“

„Das ist nicht Dein Ernst“ meldete sich mein PR-Berater in mir.

„Ja, aber Du hast doch gesagt, dass ich was über die Chats schreiben soll.“

„Schon, aber nicht diesen Tineff, da verlierst Du ja noch die letzten Leser. Weißt Du was, schreibe lieber was über die Antisemiten.“

Ihr Harry Bergmann

Ach ja, ich wollte den trödelnden Trödler auch noch einbauen. Aber erstens verstehe ich nicht, warum einer, der trödelt, gleichzeitig ein Altwarenhändler ist und zweitens hätte er die Geschichte auch nicht besser gemacht.


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