„Na, was hamma denn da?!“

Harry Bergmann fliegt von Israel zurück nach Österreich – und er ist grantig

Harry Bergmann
am 25.05.2021

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Demonstration in Wien | Foto: APA/Georg Hochmuth

Ich bin wieder am Hinflug oder Rückflug nach Wien. Von Loge 18 zu Loge 17, die ich ja jetzt wieder besuchen darf. Ich gebe zu, lieber wäre mir der Besuch des Schanigartens, aber ich habe einen gewissen Respekt vor dem Temperaturunterschied meiner beiden Heimaten.

Sie kennen sicher dieses Gefühl, wenn man schon fast hier, aber eigentlich immer noch dort ist. Obwohl man ja durch die Digitalisierung gleichzeitig hier und dort ist. Aber nur virtuell. Und virtuell ist eben immer noch nicht analog. „Das sollte einer, der auf falter.at schreibt, vielleicht nicht unbedingt so formulieren“, höre ich Sie sagen.

Ich weiß ziemlich genau, was mich in Wien erwartet, aber ich weiß nicht, wie es sich anfühlen wird. Wenn ich in Wien geblieben wäre, dann wüsste ich genauso gut, welche Rakete der Hamas wo eingeschlagen hat – höchstwahrscheinlich sogar besser -, aber ich wüsste nicht, wie es sich anfühlt. Wie es sich anfühlt, im Luftschutzkeller zu sitzen, aufgeregt noch aufgeregtere Sirenen zu hören, den Aufprall zweier Raketen ständig mit dem Einschlag einer Rakete zu verwechseln. Wie sich Krieg anfühlt. Wie sich Frieden anfühlt. Denn wenn immer Frieden ist, dann verliert man leicht das Gefühl dafür.

Wie wird sich Wien anfühlen? Sicher nicht so grantig, wie zu dem Zeitpunkt, als ich weggefahren bin. Als alles noch zu war, als sich die Politik in ihre eigenen Wadeln festgebissen hatte, als sich ein neuer Gesundheitsminister mit Verve in die Sportbock geworfen hatte und allein dafür schon als Messias gefeiert wurde, als die 7-Tage-Inzidenz genauso hoch blieb, wie das Barometer tief, als die rote Stadt den Blues hatte.

Ich bin neugierig. Vielleicht könnte ich es einmal mit der gespielten Wiener Überraschung zu ergründen versuchen: „Na, was hamma denn da?“. Blöderweise habe ich nie genau verstanden, wie man diesen Satz zu deuten hat. Er zeugt ja nicht gerade von ehrlichem Interesse. Aber was zeugt beim echten Wiener schon von ehrlichem Interesse? Es schwingt eher so eine Überheblichkeit mit und der vollständige Satz lautet wohl so: „Wos hobts es da fir an Pallawatsch beinand, es Hascherln, es? Guat, dass i jetzt do bin.“

Es gibt im Übrigen tatsächlich einen riesigen Pallawatsch, an dem sich leider gar nichts ändern wird, ob ich jetzt „do bin“ oder nicht.

Die Welt ist antisemitischer geworden.

Die Welt ist in dem einen Monat, den ich unbezahlten Antisemitismus-Urlaub in Israel genommen habe, noch antisemitischer geworden. Darin besteht leider gar kein Zweifel. Das Zusammenspiel von Demo-Parolen, Judenhass-Tweets, Mitläufer-Retweets, Kotz-Postings, Nachplapper-Whatsapps, ungenierten Nazi-Kommentaren, menschenverachtenden Transparenten, progromartigen Übergriffen, ist nicht nur genauso antisemitisch, wie die Raketen aus Gaza, sondern in Wirklichkeit noch viel schlimmer, weil global, weil nicht eingrenzbar und weil am Ende genauso tödlich.

Das ständige Apartheid-Geschrei, die Demokratie-Diktatur-Umkehr, die Unmöglichkeit – bei dieser Kakophonie – einen offenen und ehrlichen Diskurs zu führen, das wird alles dermaßen unerträglich, dass man – als Jude – am liebsten in eine andere Welt emigrieren möchte. Oder eben nach Israel. Dort rennt man aber entweder in eine Hamas-Rakete, oder wenn man versucht, nach Norden auszuweichen, in eine Hisbollah-Rakete.

Wenn jemand unbedingt gegen Israel demonstrieren will, dann soll sie oder er auch die Möglichkeit haben, es zu tun. Ich würde halt nur gern den Demonstranten ein paar – zugegebenermaßen polemische – Fragen stellen dürfen. Keine Angst, es wird nicht dazu kommen. Man kann zu diesem Thema im Moment keinen einzigen Satz in Ruhe aussprechen, ohne von rechts oder links, von Gutmensch bis Wutmensch, eine übergebraten zu bekommen.

Wenn Sie so mit Ihren „Free Palestine from Israel“- Transparenten durch die Städte ziehen, wissen Sie eigentlich überhaupt, wo Gaza genau liegt?

Wenn Sie so mit Ihren „Free Palestine from Israel“-Transparenten durch die Städte ziehen, wissen Sie, dass es einen Unterschied zwischen Gaza und den West Banks gibt und interessiert Sie der überhaupt?

Wenn Sie so mit Ihren „Free Palestine from Israel“–Transparenten durch die Städte ziehen, wissen Sie, dass Israel 2005 vollständig aus Gaza abgezogen ist, die israelische Armee hunderte jüdische Siedler zwangsweise evakuiert hat und es dort eine Selbstverwaltung gibt?

Wenn Sie so mit Ihren „Free Palestine from Israel“-Transparenten durch die Städte ziehen und die furchtbaren Lebensbedingungen der Bewohner – sicher zu Recht – beklagen, wissen Sie, dass Gaza eine Grenze zu Ägypten hat, die hermetisch geschlossen ist?

Wenn Sie so mit Ihren „Free Palestine from Israel“-Transparenten durch die Städte ziehen, könnten Sie dann bitte die Hamas fragen, warum sie Israel mit 4000 Raketen angegriffen hat, obwohl es keinerlei Aggression von Israel gegeben hat?

Wenn die Demonstranten in diesen und anderen Fragen völlig sattelfest wären und dennoch oder gerade deshalb zu ihrer Position stehen, dann könnte man ja sowas wie ein Gespräch beginnen und auch deren Fragen beantworten, von denen viele absolut ihre Berechtigung haben werden.

Aber so nicht! So ist es einfach blinder Judenhass, der sich ein rot-schwarz-weiß-grünes palästinensisches Polit-Mascherl umgebunden hat. Es reicht uns! Es reicht uns, für jeden Scheiß, der seit 2000 Jahren auf dieser Welt passiert, schuld zu sein. Es reicht uns, als Blutsauger – in allen Bedeutungen dieses Wortes – dargestellt zu werden. Es reicht uns eine Reichskristallnacht. Und ein Holocaust sowieso.

Am Tag meiner Abreise, beobachtete ich aus meiner Loge 18, wie ein Mann fröhlich pfeifend auf der Straße spazierte. Eine völlig alltägliche Situation: ein israelischer Jude hatte es – aus welchem Grund auch immer – einfach lustig mit sich selbst. Warum fiel mir das überhaupt auf?

Beim Anflug an Wien fiel mir ein, warum. Wann habe ich das letzte Mal einen fröhlich pfeifenden, unbeschwerten, jüdischen Spaziergänger aus der Loge 17 oder aus irgendeiner anderen Loge beobachtet?

Des hamma da. Und net nur da.

Ihr Harry Bergmann


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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