Der Zauberer, das Kaninchen und der falsche Hut

Gutes Corona-Management ist kein Garant für einen späteren Machterhalt. Ein schlechtes schon gar nicht.

Harry Bergmann
am 05.05.2021

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Foto: APA/BUNDESKANZLERAMT/DRAGAN TATIC

Es ist eigentlich eh ganz einfach, aber dennoch ziemlich verwirrend. Wenn bei uns in Österreich Sonntag ist, dann ist bei uns in Israel natürlich auch Sonntag. Aber eigentlich ist der Sonntag hier ein Montag, weil der Samstag ein Sonntag ist. Und warum sollte das ein Problem sein? Na ja, für Sie ohnehin nicht, Sie sind ja nicht hier. Für mich auch nur manchmal. Zum Beispiel, wenn es um den Tag des Herrn geht. Wenn ich in Österreich bin, dann ist der Tag meines Herrn der gleiche wie hier in Israel, nämlich der Samstag, obwohl der Tag des Herrn in Österreich ja der Sonntag ist. Okay, das Problem, ein Teil einer nicht wirklich synchron laufenden, religiösen Minderheit zu sein, das mich mein ganzes Leben verfolgt hat – bis ich das Problem „umarmt“ und das Besondere des Anderssein für mich entdeckt habe –, werden wir hier nicht lösen. Aber gestern war Dienstag und dennoch Tag des Herrn. Des Herrn Netanjahu, des Herrn Bennet, des Herrn Lapid und des Herrn Rivlin.

Israelische Innenpolitik interessiert Sie nicht rasend? Das verstehe ich. Aber einerseits erspart es Ihnen meine Verbalausflüge gegen die österreichische Regierung, die ein mittlerweile Sowas-Von-Ex-Freund von mir, als „wöchentliches Auskotzen“ bezeichnet hat, und andererseits ist die israelische Innenpolitik immer auch Außenpolitik, wenn man die Weltpulverfassigkeit des Landes bedenkt.

Natürlich nähere ich mich diesem Thema auf rohen Eiern, denn das Letzte, was ich brauche, ist Applaus von den falschen Rängen. Sie werden sich an den Shitstorm nicht mehr erinnern, den ich mit einer „falschen Wahrnehmung“ bei einer Corona-Demo ausgelöst habe.

Wobei die Angriffe von links mein kleinstes Problem waren, der Applaus von der ganz rechten Ecke allerdings sitzt mir heute noch in den Knochen.

Also wie gesagt, gestern war Dienstag und um Mitternacht lief die Frist von Premierminister Benjamin Netanjahu aus, dem Präsidenten, Reuven Rivlin, eine handlungsfähige Koalition zu präsentieren. Er tat es nicht. Dem Zauberer sind die Kaninchen ausgegangen, die er unzählige Male, in letzter Sekunde, aus seinem Hut gezaubert hat. Am Montag noch hat er einen neuen Trick versucht, nämlich das Kaninchen aus einem fremden Hut zu zaubern, den von Naftali Bennet.

Er hat dem Mann, der nur 7 Sitze im Parlament hat und, wie es so schön heißt, das Zünglein an der Waage ist, angeboten, mit ihm in einem Turnus Premierminister zu werden. Es stellte sich heraus, dass es der falsche Hut war, denn Bennet, der ebenfalls aus dem rechten Lager kommt, sagte nein.

Bennet kennt wohl meine Lieblingsfabel, die vom Frosch und vom Skorpion. Wenn ich Sie schon mit der israelischen Innenpolitik quäle, dann kann ich Ihnen genauso gut eine Fabel erzählen, die Sie schon hundertmal gehört haben.

Der Skorpion möchte auf die andere Seite des Flusses, kann aber nicht schwimmen. Also fragt er einen Frosch (hebräisch: Zefardea), der am Ufer sitzt, ob er ihn Huckepack zur anderen Seite bringen würde. „Nein“ sagt der Zefardea und begründet es auch: „Du wirst mich auf halber Strecke stechen und ich werde sterben.“ „Was für ein Blödsinn“, sagt der Skorpion, „dann sterbe ich ja auch.“ Dem Zefardea leuchtet das ein und schon macht sich das seltsame Paar auf den nassen Weg. In der Mitte des Flusses sticht der Skorpion zu. „Warum hast Du das getan?“, fragt der Zefardea sterbend. „Weil ich ein Skorpion bin.“

Bennet will nicht der Frosch sein, nicht zuletzt deshalb, weil ihm die andere Seite, angeführt von Jair Lapid – dem man nachsagt, dass er alles, aber kein Skorpion ist – das gleiche Angebot gemacht hat.

„Wie kann ein Rechter Premierminister eines linken Blocks werden?“ Gute Frage.

Erstens ist der linke Block insgesamt gar kein so linker Block, er wurde nur von Netanjahu immer in dieses Eck gestellt. Gelernt ist gelernt, genauso hat Trump aus den Demokraten Sozialisten gemacht.

Zweitens sind links und rechts hier nicht unbedingt sozialpolitisch zu sehen, außer vielleicht im Umgang mit der Orthodoxie, vielmehr – wie alles in Israel – sicherheits- und verteidigungspolitisch, und da geht es auch um den Umgang mit den Arabern.

Drittens hat sich hier das Rote Meer geteilt. Noch Fragen?

Jetzt hat aber an diesem außerordentlichen Tag des Herrn, am gestrigen Dienstag, besagter Herr Bennet laut darüber nachgedacht, ob er überhaupt Premierminister werden will. Daraufhin haben sich im Café Mocca, dort wo meine Loge 18 ist, sofort zwei Gruppen gebildet. Die eine hat weise gelächelt, weil sie weiß, dass Bennet nur den Preis hinaufschrauben will. Die andere hat sich lautstark die Haare gerauft. Im Café Mocca rauft man sich meistens lautstark die Haare. Orient eben.

Die Fabel geht diesmal, aller Voraussicht nach, gut aus und der Frosch wird, dennoch oder gerade deshalb, zum Froschkönig ernannt werden. Ich habe nie behauptet, dass es bei uns in Israel weniger seltsam zugeht, als bei uns in Österreich.

Ich vernachlässige heute meinen Job, Ihnen aus der pandemischen Zukunft zu berichten. Bleiben wir bei der Politik. Ein gutes Corona-Management ist also kein Garant für einen späteren Machterhalt. Ein schlechtes demgemäß schon gar nicht. Was das für den selbsternannten österreichischen Adoptivsohn Netanjahus bedeutet, mag sich dieser selbst durch den Kopf gehen lassen.

Der letzte Besuch beim Adoptivvater, dem sich der Nachwuchspolitiker mit glatter Haut und schönen Haaren verschrieben hat, muss jedenfalls für den Frugalen eine echte Pein gewesen sein. Da hat ihm nämlich der israelische Verwandte hinter vorgehaltener Hand zugeraunt, dass er den dreifachen Preis für die Pfizer-Dosen hingeblattlt und noch ein paar sensible Daten seiner Bürger nachgeworfen hat.

Aber vielleicht war es auch ganz anders: „Lieber Benjamin, wenn Du mich so liebhast, wie ich Dich, dann kannst Du mir vielleicht eine Frage beantworten. Aber weißt eh, ich frage nicht für mich, sondern für einen Freund. Wie macht man das mit der Justiz? Weißt eh, wie ich das meine, du Lieber und Kluger.“

Ihr Harry Bergmann


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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