Die Knappen und die Nackten

Sie sind entblößt und lachen dennoch, denn sie wissen, dass ihnen nichts passieren kann. Ein Sittenbild unserer Mächtigen.

Harry Bergmann
am 05.04.2021

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Die Mode war schon einmal phantasievoller als heute, wie dieser Wams beweist. Bild: Wikimedia, Creative Commons 3.0

Vor wenigen Tagen sah ich einen Spendenaufruf für eine Ausstellung über „Fürstliche Garderobe vom 16. bis zum 18. Jahrhundert“. Kleidungsstücke sollen Einblicke in Macht- und Herrschaftsverhältnisse, in Traditionen und Lebensweisen dieser Zeit geben. Eines der wichtigsten Exponate soll das Wams eines Edelknaben sein. Nur leider hat das Wams schon bessere Zeiten gesehen oder der Edelknabe wurde zu fest gewamst, auf jeden Fall muss es – und daher der Spendenaufruf – aufwendig restauriert werden.

Treue Leser dieser Kolumne werden sich vielleicht daran erinnern, dass ich hie und da über ein Wort stolpere, das meine Neugierde weckt und mich dann eine Zeitlang nicht loslässt, bis ich es auf Sie loslasse. Wams ist so ein Wort. Wams mit kleinem „s“, denn WamS mit großem „S“ ist die Welt am Sonntag, und die ist dann doch ein wenig zu konservativ, um meine Neugier zu wecken.

Die spanische Mode im 16. Jahrhundert verhalf dem Wams den Aufstieg von der einfachen Polsterung unter einer Rüstung zur eleganten Oberbekleidung. Die ausgestopfte Melonenhose (sieht aus wie eine heliumgefüllte Boxer-Short), die der spanische Edelmann dazu trug, ist, außerhalb der Karnevalszeit zwar etwas gewöhnungsbedürftig, aber um die Hose geht es ja eh nicht. Eigentlich geht es auch nicht um das Wams, sondern mehr um den Edelknaben. Und da wiederum nicht um den spanischen Edelknaben um 1500 herum, sondern um die Riege von Edelknaben, die unser Land derzeit in Geiselhaft und uns selbst in Atem halten.

Diese Knaben haben offensichtlich die Aufgabe vergessen, ihrem Souverän und nicht ihrem eigenen Fortkommen zu dienen. Der Edelknabe der Vergangenheit musste seinem Souverän, dem Ritter, das Schild in den Kampf nachtragen und es ihm in der Not reichen. Die Edelknaben von heute, die sich selbst zu Rittern geschlagen haben, sollten im Kampf gegen die Pandemie das gleiche tun, auch wenn das Schild kein Schild ist, sondern eine Impfspritze. Aber sie versagen auf ganzer Linie.

Vielleicht sollte man sie lieber Edelknappen nennen. Denn sie sind knapp an Erfahrung, knapp an Empathie, knapp an Ethik, knapp an Einsicht und vor allem knapp an Kompetenz.

Woran es nicht „knappt“ sind Intrigen, Machtspielchen, Ausreden, Lügen, leere Versprechungen, Ablenkungsmanöver und eine unglaubliche Portion an Unverfrorenheit. Ob Machtmissbrauch und Geheimnisverrat auch noch auf die Liste kommen, muss erst bewiesen werden.

Sie schlagen sich mit groß inszeniertem Selbstlob den Wanst so voll, dass er – der Wanst – kaum mehr in ihr enges Wams passt („Wanst im Wams“ … nicht schlecht!). Der Slim Fit-Look ist ihre Mode, ihre Uniform. Er betont die Jugendlichkeit, die Sportlichkeit, die Dynamik. Man sieht von Weitem, wo die alten Zöpfe aufhören und die neuen Zöpfe beginnen. Alle, die nicht so fesch daherkommen, und das sind die meisten, schauen so alt aus, wie unsere Edelknappen in der Politik gar nicht werden können.

Wenn sie so daherstolzieren mit ihren schmal geschnittenen, dunkelblauen Anzügen, den weißen Hemden mit offenen Krägen, den eher spitzen, schwarzen Schuhen, die sie nur manchmal im Parlament ausziehen, um den Blick auf ihre türkisen Socken freizugeben, erinnern sie an „Des Kaisers neue Kleider“. Denn in Wirklichkeit sind sie nackt. Jeder, der sehen kann und sehen will, sieht es.

Seit Wochen werden Machenschaften und die darin verwickelten Personen entblößt. Es ist gar nicht so sehr die Tatsache, dass die Edelknaben angetreten sind, um gerade das abzuschaffen, was sie jetzt in himalayische Höhen treiben. Es ist auch nicht die Chuzpe, dass man das Brisanteste vom Brisanten in Textnachrichten hin- und herschickt, als ob man fragen würde „Wie geht’s denn heute so?“. Und es sind auch nicht die immer wiederkehrenden hohlen Versprechungen über eine rein erfundene Zukunft, weil einem zur Gegenwart nichts einfällt.

Es ist vielmehr dieses beklemmende Gefühl, dass die Blümels, Pilnaceks und Schmids dieser Welt ohne Konsequenzen davonkommen könnten, egal wer was aufdeckt und wie kompromittierend es auch sein mag. Die Edelknaben wissen, dass sie entblößt sind, aber es ist ihnen völlig egal. Sie lachen einfach darüber, denn sie haben eine Menge von alten Haudegen um sich geschart, die Ihnen den Weg freihauen, wenn es wirklich brenzlig wird. Sollte auch das nicht mehr gehen, kann man die Nacktheit nutzen, indem man tief Luft holt, ins Wasser springt und lang genug durchtaucht.

Der wichtigste Edelknabe, der – trotz oder gerade wegen seiner Jugend – von einem großen Teil des Volkes zum neuen König erwählt wurde, sagte vor nicht allzu langer Zeit, er hätte dieses Machtsystem nicht erfunden, aber er kenne auch kein besseres. Er war ausnahmsweise zu bescheiden. Er hat es, zum Vorteil der Höflinge, aber zum Nachteil seines Volkes, stark verbessert.

Zurück zum Ausgangspunkt. Wird es über all das in 500 Jahren eine Ausstellung mit dem Titel „Das nahe Ende der Demokratie“ geben? Werden die Slim-Fit-Anzüge der heutigen Edelknaben die zentralen Exponate sein? Wird es für die Restaurierung der Sakkos eine Spendenaktion geben? Werden die Menschen, über die Mode der Mächtigen, Einblicke in unser heutiges Leben gewinnen? Oder wird einfach gar nichts bleiben von dieser, unserer Zeit? Was meinen Sie?

Ihr Harry Bergmann


Dr. Harry Bergmann, kein Studienabbrecher, aber in der Werbung dennoch Autodidakt. Seit 2 Jahren nicht mehr in der Werbung, aber schon wieder Autodidakt. Diesmal beim Schreiben. Lebt in Wien und in Israel, außer es ist gerade in einem der beiden Länder ein Lockdown.

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