Die Sterne und der Samurai

Was uns der japanische Schwertkampf in Zeiten der Krise lehren kann

Harry Bergmann
am 22.03.2021

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Samurai in voller Montur (ca 1860) | Felice Beato | Wiki Commons

Wenn diese Kolumne nicht die erste ist, die Sie von mir lesen, dann werden Ihnen meine zum Teil wirren Gedankensprünge durchaus bekannt vorkommen. Ich hoffe, ich habe diesmal nicht übertrieben, denn schon in der Headline springen die Gedanken irgendwie wild umadum. Wieso Sterne? Wieso Samurai? Und vor allem: wieso Sterne u-n-d Samurai?

Ich hoffe, ich kann mich in den nächsten Zeilen diesbezüglich verständlich machen.

Ich kann, wie vielen andere auch, den Entscheidungen der Politik in Zeiten dieser Krise nicht mehr folgen. Ich leiste Ihnen zwar Folge, aber mehr und mehr mit großer Verärgerung.

Stimmt schon, wir wählen Politiker, damit sie Entscheidungen treffen. Und wenn diese Politiker an der Macht sind, dann haben sie auch die von uns verliehene Entscheidungsgewalt. Die Politiker, die „dummerweise“ gerade nicht an der Macht sind, haben aber auch Gewalt, nämlich die Entscheidungen der Regierenden so lange streng zu hinterfragen, bis sie selbst wieder an die Macht kommen. Ich glaube, das nennt man dann Demokratie.

Das was sich in den letzten Wochen von Rechten und Mitläufern dieser Rechten auf der Straße abspielt, nennt man allerdings mit Sicherheit nicht Demokratie, auch wenn – ausgerechnet aus dieser Ecke – mehr „demokratische Freiheiten“ eingefordert werden

Der letzte Schrei im politischen Diskurs sind die „evidenzbasierten Entscheidungen“. Sie gaukeln unumstößliche Tatsachen vor, damit das gerade Entschiedene absolut richtig und nicht kritisierbar im Raum steht.

„Ihr Cogito-ergo-sums! Wären Eure Entscheidungen so richtig, dann würden sie uns nicht ständig in die Scheiße reiten und dann gäbe es auch nicht den steigenden zivilen Ungehorsam, den Ihr beklagt, und dann würde auch nicht der erbärmliche, nazifizierte, unzivile Ungehorsam, den Ihr nicht mehr in den Griff bekommt, aus allen Drecks-Löchern kriechen.“ Krisen-Tourette, sorry.

Eines ist auf jeden Fall klar, es müssen neue Entscheidungshilfen her. Und wenn es keine neuen gibt, wie wäre es mit den alten, den ganz alten? Wie wäre es mit der Astrologie? Die Horoskope der Babylonier, der Griechen, der Römer, der Araber können auch nicht um soviel ungenauer sein als die Botschaften, die wir aus diversen Kommissionen oder vom Ministerrat bekommen. Früher hatte ja jeder, der „was“ war, seinen eigenen Astrologen. Und jeder, der was Besonderes war, seinen besonderen Astrologen. Berater, auf die man sich verlassen hat. Die McKinseys des Firmaments, quasi.

Alle wichtigen Entscheidungen der Herrscher und Feldherren wurden nach Befragung der Sterne getroffen. Erst der Blick nach oben ermöglichte den Blick nach vorne in die nahe Zukunft.

Ob sich die Gehirnkonstellationen diverser Politiker tatsächlich an den Gestirnkonstellationen orientieren sollen? Ob ein Komet ankündigen wird, dass „die Wöt nimmer lang steht“ oder ein Nationalratspräsident bald geht? Der Knieriem im Lumpazivagabundus ist davon überzeugt. Ich bin da eher skeptisch.

Aber so wie jetzt kann es auch nicht weitergehen. Ich hätte daher einen Vorschlag zu machen. Klingt seltsam, ist es höchstwahrscheinlich auch, aber was haben wir schon zu verlieren? Ich lese gerade ein Buch von Miyamoto Musashi. Er war im ausgehenden 16. Jahrhundert der berühmteste, weil beste Schwertkämpfer. Ein Schwertheiliger. In 60 Duellen auf Leben und Tod unbesiegt, schrieb er dieses Buch über die Kriegskunst. Es geht um nichts anderes, als um Entscheidungen, die in Sekundenbruchteilen getroffen werden müssen, um am Leben zu bleiben.

Natürlich geht das Buch über den konkreten Schwertkampf hinaus und lehrt Disziplin, Ruhe und Gelassenheit im Angesicht von Herausforderungen. Goran nos ho, das Buch der fünf Ringe, soweit mich mein Altjapanisch nicht wieder einmal im Stich lässt. Darin gibt es ein Kapitel „das Buch Leere“, das mir sofort ins Auge sprang, als ich an die Bundesregierung und ihre Entscheidungen dachte. Musashi erklärt nicht nur, wie man zur wahren Leere kommt – das mit der Wahrheit ist natürlich ein Hindernis – sondern wie man sie nutzt.

Er sagt: „Nutze die Leere als Weg und betrachte den Weg als Leere. Die Leere kennt nur Gutes und sie bringt Weisheit und Nutzen“. Na ja, vielleicht doch nichts für die Bundesregierung. Aber vielleicht das: „Lerne die Situation, in der Du Dich befindest, insgesamt zu betrachten…“ Das könnte wohl etwas mit dem Wald und den Bäumen zu tun haben und damit, dass man sich nicht jeden Tag eine neue Taktik überlegt, sondern bei seinen Entscheidungen das langfristiges Ziel nicht aus den Augen verliert. So man überhaupt eines hat.

Noch zwei Gedanken, für die, die sich hoffentlich davon angesprochen fühlen. Zum Kampf gegen die Pandemie: „Wenn der Gegner und Du ineinander verwickelt seid, sodass der Kampf nicht vorankommt, solltest Du als Erster darüber nachdenken, Deine ursprünglichen Absichten aufzugeben und mit neuem Geist an die Sache herantreten. Das wird Dich zum Sieg führen.“

Und zum derzeitigen politischen Klima: „Es gibt verschiedene Motive den Schwertgriff loszulassen. Vielleicht ergibt sich eine Möglichkeit den Kampf ohne Schwert zu gewinnen, oder man möchte sogar den Sieg schwertlos erreichen.“

Wird wohl das Verhalten der Bundesregierung und ihre erratischen Entscheidungen nicht verändern, aber ich konnte zumindest meine Headline erklären.

Ihr Harry Bergmann


Dr. Harry Bergmann, kein Studienabbrecher, aber in der Werbung dennoch Autodidakt. Seit 2 Jahren nicht mehr in der Werbung, aber schon wieder Autodidakt. Diesmal beim Schreiben. Lebt in Wien und in Israel, außer es ist gerade in einem der beiden Länder ein Lockdown.

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