Die Iden des März

Wenn Cäsar und Brutus auf Twitter gewesen wären, hätte man keine Dolche gebraucht.

Harry Bergmann
am 15.03.2021

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Gaius Iulius Caesar (Vatican Museum) | Aufgenommen: 5 October 2008 | Wiki Commons

Ich möchte mich nicht größer machen, als ich bin, aber ich weiß wirklich nicht, wie ich das anders ausdrücken soll: Gaius Iulius Cäsar und ich haben etwas gemeinsam. Den 15. März.

Natürlich ist sein 15. März viel bedeutungsvoller, als meiner. Andererseits verklärt sich auch vieles in 2064 Jahren. Gut, sein Vertrauen in einige Menschen wurde arg enttäuscht, aber passiert uns das nicht täglich? Ich will auch nicht sagen, dass es an der Tagesordnung war erstochen zu werden – und schon gar nicht mit 23 Dolchstößen -, aber so einmalig, wie die Leute heute tun, war das damals auch wieder nicht. Während mein 15. März, auch wenn er nur vor einem Jahr war und ihm damit die geschichtliche Dimension fehlt, schon etwas Besonderes war.

Ich spreche nicht von der Pandemie. Die ist zwar etwas Besonderes und sicher geschichtlich relevant, aber die teile ich mit der ganzen Welt.

Es ist auch nicht der Beginn des ersten Lockdowns, denn den teile ich mit ganz Österreich. Auch nicht einer der ersten Gänsemärsche im Bundeskanzleramt, der dazu führte, dass man heute beim Wort „Pressekonferenz“ ein unkontrollierbares, nervöses Zucken bekommt. Nein, es hat schon was mit Cäsar zu tun und beginnt mit V. V wie Verderben. Es war mein erster Tag auf Twitter. Der 15.März 2020.

Nehmen wir für einen Moment an Cäsar und Brutus wären auf Twitter gewesen. Es hätte natürlich nicht Twitter geheißen, sondern vielleicht irgendwas wie Strizzi. Stridere heißt zwitschern, sagt zumindest der alte Stowasser. Ich bin so froh, Sie als Leserin oder Leser zu haben, denn Sie haben die, allen humanistisch gebildeten Menschen eigene tolerantia, mein stümperhaftes Latein einfach zu übergehen. Also wären die beiden Strizziranten gewesen, dann hätte die Tat von Brutus vielleicht ein ganz anderes Motiv gehabt, Neid. Brutus hätte Cäsar, die wesentlich höhere Anzahl von Strizzi-Gefolgsleuten nicht vergönnt. Ob dieses Gefühl der Strizzi-Unterlegenheit den guten Brutus tatsächlich so aggressiv gemacht hätte, ist nicht unbedingt anzunehmen, aber auch nicht völlig auszuschließen. Denn Strizzi kann schon aggressiv machen. Sagen wir so: wenn jemand der Aggressivität nicht ganz abhold ist, dann könnte Strizzi schon ein gefährlicher Verstärker sein. Was es auf jeden Fall verstärkt, ist leider nicht den Zusammenhalt der Gesellschaft, sondern die Spaltung derselben. Deshalb hätten sich schon die alten Römer gewundert, warum es ein „Soziales Medium“ genannt wird.

Sei es, wie es sei, Cäsar wäre sicher ein gefinkelter Strizzirant gewesen. Er hätte das Medium genutzt, um die Republik auszuhebeln. Er wäre über die Ausländer nicht nur im Ausland hergefallen, sondern vor allem im Inland. Er hätte die Justiz in Geiselhaft genommen. Er hätte einige Senatoren, die ihm nicht gepasst haben, auf die Eselsmilchseife von Cleopatra steigen lassen. Und das alles mit 141 Zeichen (Strizzi hatte noch 141 Zeichen) Er hätte das riesige Reich mit nächtlichen Strizzis gelenkt, wäre aber vielleicht in die geistige Umnachtung gefallen, wie es einem anderen Diktator, Trumpus, viele Jahre später wiederfahren ist.

Brutus wiederum hätte unter Umständen mit diesen 141 Zeichen, die drohende Diktatur verhindern können und hätte nicht zum Dolch greifen müssen. Sie sehen Strizzi, oder Twitter oder all die andere Sozialen Medien sind nicht per se gut oder schlecht. Wir sind es.

Und wie sieht meine Bilanz nach 365 Tagen Twitter aus? Ich folge 360 Menschen und rund 2600 Menschen folgen mir. Ich verhehle nicht, dass 360/3600 hübscher ausschauen würde, aber für einen Anfänger ist es angeblich okay und ich darf als Triangel im Orchesterraum der selbsternannten Medien sitzen. Aber da fängt es schon an. Will man ein nachdenkliches, sich selbst und die Welt hinterfragendes Qualitätsmedium sein, oder schmetternder Boulevard? Eng damit verbunden ist die Frage der Reichweite. Natürlich kann man mit fetzigen Lines schnell die Reichweiten-Zahlen, die Follower, hinaufjagen. Dabei kommt einem auch das Miniatur-Format entgegen. Was will man mit den paar läppischen Zeichen schon viel nachdenken und hinterfragen? Deshalb gewinnt auch meistens der Boulevard.

Ich glaube sagen zu dürfen, dass ich mittlerweile die Text-Miniaturen – rein literarisch gesehen – schon halbwegs gut beherrsche. Aber in der letzten Woche habe ich gelernt, oder musste ich lernen, dass man auf Twitter gar nichts beherrscht. Twitter beherrscht einen. In dem Moment, in dem der Tweet draußen ist, führt er ein Eigenleben und schwirrt in Lichtgeschwindigkeit herum. Wer liest ihn? Mit welcher Haltung und Absicht wird er gelesen? In welche Gruppen wird er weitergeleitet? Was passiert dort mit ihm? Es ist wie „stille Post“, die Botschaft verändert sich von Station zu Station. Am Ende geht es gar nicht mehr um den ursprünglichen Tweet, sondern um die hunderten Tweets dazwischen. Und es ist auch keine „stille Post“. Die Post wird immer lauter und lauter.

Die Antworten und Kommentare sollten nicht nur gelesen, sondern verstanden werden. Sind sie ehrlich oder nicht? Sind sie gerade heraus oder doch ein bisschen krumm? Die großen Twitter-Fische kümmert das natürlich alles nicht. Sie gleiten majestätisch durch uns, den Sardinenschwarm. Aber wir Fischerln müssen schon schauen, wo wir bleiben. Und dass wir wirklich das bleiben, was wir sind.

Ovid hätte mit meiner letzten Woche eine echte Freud‘ gehabt. Meine unfreiwillige Metarmorphose ging von tatsächlich Mitte links bis angeblich ganz rechts. Vom friedlichen Antifaschisten zum vergewaltigten Steigbügelhalter der Faschisten. Vom Juden zum Freund der Antisemiten und wieder zurück. Lesen Sie mehr darüber im nächsten Falter.

Ihr Harry Bergmann

PS.: Jetzt, wo meine Nähe zu Cäsar lückenlos nachgewiesen ist, hätte ich natürlich auch gerne einen Salat, der nach mir benannt ist.


Dr. Harry Bergmann, kein Studienabbrecher, aber in der Werbung dennoch Autodidakt. Seit 2 Jahren nicht mehr in der Werbung, aber schon wieder Autodidakt. Diesmal beim Schreiben. Lebt in Wien und in Israel, außer es ist gerade in einem der beiden Länder ein Lockdown.

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