Der Whistleblower, der sich „nichts pfeift“

Ein junger Mann bietet sich als Zeuge an, um seinen Freund zu retten. Plötzlich gerät er in die Mühlen der Justiz. Eine Geschichte über Korruption, Glückspiel und Rache

Harry Bergmann
am 24.02.2021

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Intro Law and Order | Screenshot Youtube

Wäre der Literat Peter Altenberg dieser Tage frühmorgens aus seinem Haus gekommen und hätte den jungen Mann auf der Straße getroffen, hätte er ihn wohl gefragt: „Auch Zeuge?“. Und der junge Mann hätte nicht ganz wahrheitsgetreu – er ist der Wahrheit zwar treu, aber nicht ganz – geantwortet: „Ja, aber entschuldigen Sie mich bitte, ich habe es sehr eilig.“

„Sagen Sie einmal, können Sie nicht endlich über etwas anderes als über die österreichische Innenpolitik, schreiben?“ höre ich Sie mit steigernder Ungeduld sagen. Ich muss sie aber noch einmal, noch dieses eine Mal, um Nachsicht bitten. Es geht jetzt einfach nicht. Jetzt, wo dieser wichtige Zeuge aufgetaucht ist, der die absolute Unschuld des Hauptverdächtigen der Nation unter Beweis stellen will und wird. Noch ist es nicht ganz so weit. Er hat noch keinen Termin. Denn die, in seinen Augen, korrupte Staatsanwaltschaft, die eigentlich die Korruptions-Staatsanwaltschaft ist, hat es nicht so eilig. Oder sagen wir so: je eiliger er es hat, desto weniger eilig haben es die Staatsanwälte. Auch irgendwie zu verstehen, denn der Zeuge hat sie in aller Öffentlichkeit schlecht gemacht. Weniger zu verstehen ist, warum er ausgerechnet dort seine Aussage machen will, wo er alle für ausgemachte Falotten hält.

In einem Brief – frei nach dem Motto „Jedes Schrifterl ist ein Gifterl“ – an eben diese Falotten hat er sich beschwert, dass man seinem Freund und Kollegen ganz gemeine Dinge an den Kopf wirft. Er ist ja noch jung und unerfahren und kennt offensichtlich nicht den Unterschied zwischen Vorwurf und Verdacht. Vielleicht stellt er sich auch den Vorgang der Zeugenaussage eher kindlich vor: er kommt greinend in einen Raum, in dem sich schon andere, die schwer auf ihn angefressen sind, befinden und beschwert sich mit tränenerstickter Stimme, wie schlecht die auf ihn Angefressenen seinen Freund behandelt hätten. Es kommt zum Streit, vielleicht sogar zu einem Raufhandel, und der heimlich eingeschleuste Pressefotograf macht in der richtigen Zehntelsekunde das Foto, das am nächsten Tag mit der Schlagzeile „Fast noch minderjähriger Zeuge von der Justiz misshandelt!“ auf allen Titelseiten erscheint.

An anderer Stelle des Briefes zeichnet sich aber schon ab, wohin es mit seiner Persönlichkeit gehen wird, wenn er erst einmal erwachsen ist. Es gibt – ich glaube im Steirischen – das Wort „g’feanzt“, welches es ziemlich gut trifft. Warum sage ich das? Jetzt mal abgesehen davon, dass man das bei fast allen meiner Sätze fragen kann, erkennt man ein Muster seiner geplanten Aussage. Er will beweisen, dass vieles in den Akten nicht stimmt. Das Bemerkenswerte daran ist, dass das, was angeblich nicht stimmt, gar nicht in den Akten steht. Ich sag ja, g`feanzt.

Das und die „fehlerhaften Fakten“ (sic) hat er einem Ami, der geglaubt hat, besonders great zu sein, abgeschaut. Er würde diesen Ami aber gern noch übertrumpfen. Sollte er einmal ganz ganz oben sein, würde er keine Wahl mehr verlieren.

Wie aber hat all das begonnen? Er hat nach bestandener Matura ein Strategiespiel geschenkt bekommen. Ein analoges Spiel. Die digitale Version davon wollte er eh nicht, denn erstens hat sein Freund und Spielkamerad, der Hauptverdächtige der Nation, keinen Laptop (und man braucht einfach zwei Geräte) und zweitens hätte er immer Angst gehabt, dass es ihm jemand wegschreddert. Jedenfalls war er von dem Spiel so fasziniert, dass er sich mit gar nichts anderem mehr beschäftigen wollte, vor allem nicht mit Studieren. Er wurde immer besser und besser. Seine Lieblingsstrategie war das „Aushöhlen von Innen“. Es würde jetzt zu weit führen, diesen Spielzug zu erläutern, aber er funktionierte immer und überall wie ein Art Generalschlüssel, der alle Türen öffnet. Er begann, das Spiel auch im wirklichen Leben anzuwenden. Zuerst in seiner Partei, die er mit den Wasserfarben, die er seit der Volksschule verwendete umfärbte und, als niemand unter dieser grässlichen Farbe Anführer sein wollte, sich selbst zum Anführer machte. G’feanzt.

Jetzt wird er das gleiche mit der Justiz machen, denkt er. Er wird sich als vermeintlicher Whistleblower, der den Staatsanwälten verraten will, wie alles wirklich gelaufen ist, in die Justiz einschleichen, und wenn er einmal drinnen ist, zeigen, dass das ganze System derart verrottet ist, dass alles reformiert werden muss. In der Zwischenzeit werden aber die Ermittlungen der WKStA gegen den Verdächtigen der Nation eingestellt, weil die WKStA leider als allererste wegreformiert werden musste. Echt g’feanzt.

Wer soll Ihn aufhalten? Die Justizministerin ist schwanger und hat das Amt interimistisch ihrem Wahlonkel überlassen. Der ist kein Problem, weil er ständig mit ganz anderen Dingen beschäftigt ist, wie zum Beispiel mit dem Suchen eines Zeitworts für einen vor fünfzehn Minuten begonnenen Satz. Den parteiunabhängigen Bundesstaatsanwalt gibt es noch nicht und wird es noch lange nicht geben. Da funktioniert eher das Kaufhaus Österreich.

Und wenn das alles, wider Erwarten, nicht klappen sollte, kann er ja immer noch in den Aufsichtsrat eines großen Glückspielunternehmens wechseln. Dazu muss er nur seinen Vornamen ändern. G’feanzt.

Ihr Harry Bergmann


Dr. Harry Bergmann, kein Studienabbrecher, aber in der Werbung dennoch Autodidakt. Seit 2 Jahren nicht mehr in der Werbung, aber schon wieder Autodidakt. Diesmal beim Schreiben. Lebt in Wien und in Israel, außer es ist gerade in einem der beiden Länder ein Lockdown.

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