Schreib mal wieder

Wenn Kurz Kurz schreibt und sich Benjamin Blümelchen an Benjamin Blümelchen erinnert

Harry Bergmann
am 19.02.2021

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Foto: Álvaro Serrano | Unsplash

„Es gibt Dinge, die man nicht schreibt!“ sagt Napoleon und Marie von Ebner-Eschenbach antwortet ihm: „Auch nicht geschriebene Briefe kommen manchmal an.“ Von solchen, nicht geschriebenen, Briefen will ich heute erzählen.

Liebe Martina,

ich bin im Moment nicht im Besitz meines Smartphones und meines privaten Laptops. Ich erspare Dir und mir die lange Geschichte, wie es dazu kam.

Dies nur zur Erklärung, warum Du heute diesen handgeschriebenen Brief von mir in Händen hältst. Verzeih die vertrauliche Anrede, sollten wir gar nicht per Du, sondern immer noch per Sie sein. Wie vieles andere ist mir das gegenwärtig leider nicht rezent. Soweit ich mich erinnern kann sind wir uns schon einmal in einer großen Runde in dem Unternehmen, dessen Name ich hier nicht erwähnen möchte (ich sage nur Novosibirsk, zwinker, zwinker) begegnet. Dieses Aufeinandertreffen von Dir, als Aufsichtsrätin und mir, als Aufsichtsorgan muss einen großen Eindruck auf mich gemacht haben, denn ich erinnere mich sehr selten an Begebenheiten dieser Art.

Ich vergesse übrigens in letzter Zeit fast alles. Die Geschichte, als ich drei Nullen vergessen habe, wirst Du vielleicht gelesen haben. Auch diese 86 Gedächtnislücken – waren es überhaupt 86? – geisterten eine Zeitlang durch jene Medien, die uns nicht gut gesinnt sind. Das sind natürlich nur verschwindend wenige Medien, aber lästig ist es allemal. Dir kann ich es ja verraten, liebe Martina, es war nicht mein schlechtes Gedächtnis. Die Hochachtung vor diesem parlamentarischen Ausschuss und seinen verdienten Teilnehmern war derart groß, dass ich vor lauter Nervosität einen Art Filmriss hatte. Ich weiß noch, wie sehr ich mich darauf gefreut hatte, den Abgeordneten, aber auch dem Vorsitzenden, bei der immens schwierigen Wahrheitsfindung zu helfen und plötzlich wurde mir Türkis vor den Augen.

Unlängst wurde dieses Trauma – im negativen Sinne – noch übertroffen. Ich habe einfach vergessen, zum Friseur zu gehen. Wie gut, dass Sebastian, Du kennst Ihn ja und weißt wie mitfühlend er ist, mir nach einigen Wochen einen Spiegel vorgehalten hat. Der Friseur ist mir um den Hals gefallen und brachte vor lauter Dankbarkeit, dass ich seinen Salon mit fester Hand durch diese schwere Krise geführt habe, fast kein Wort heraus. Zumindest kam es mir so vor, denn er war – mit soviel Schaum vor dem Mund – wirklich schwer zu verstehen. Ich musste seine Hände, die sich in Euphorie in meinen Hals verkrallt hatten, fast mit Gewalt auseinanderdrücken. In solchen Momenten weiß man, warum man Spitzenpolitiker und nicht Bürgermeister von Wien geworden ist.

Aber jetzt zu Dir, liebe Martina. Es tut mir aufrichtig leid, dass Du wegen der Angelegenheit mit Deiner Ex-Firma Unannehmlichkeiten hattest. Ich hoffe, Du erlaubst mir eine launige Anspielung auf das Unternehmen Deines Schwiegervaters: ich könnte wetten, dass die Ermittlungen schon bald meine Unschuld unter Beweis stellen werden. Ich habe volles Vertrauen in die Justiz, dass sie weiß oder bald wissen wird, was sie zu tun hat. Deine eidesstattliche Erklärung, dass Du, Martina Kurz, tatsächlich Martina Kurz bist, wird den Weg zur Wahrheit entscheidend abkürzen und tausende Euros an Steuergeld einsparen.

Aber jetzt genug von der Politik und erlaube mir noch ein paar ganz persönliche Anmerkungen. Ich verstehe, welch große Belastung es für Dich gewesen sein muss, von Deinem Schwiegervater immer nur mit „Kurz“ angesprochen zu werden, während er gleichzeitig darauf bestanden hat, von Dir als „Herr Professor“ tituliert zu werden. Auch ich habe in meiner Jugend oft unter meinem Nachnamen gelitten. Schon in der Volksschule fanden es die Mitschüler besonders „lustig“, mich Benjamin Blümelchen zu nennen. Wie lächerlich es ist, mich mit dem König des animalischen Gedächtnisses gleichzusetzen, werden diese, mittlerweile sicher zu biederen Steuerzahlern Gewordenen, jetzt wohl eingesehen haben.

Bevor ich zum Ende komme, darf ich Dir von Sebastian herzliche Grüße ausrichten. Er wollte Dir selbst einen Brief schreiben, aber Du wirst verstehen, dass das im Moment eher nicht opportun ist, denn das Briefgeheimnis ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Er bestand darauf, dass ich wortgenau das wiedergebe, was ihm am leidgeprüften Herzen liegt. Schandmäuler nennen das Message Control, denn sie erkennen nicht, dass er keinen Millimeter von der reinen Leere abweichen möchte.

Liebe Frau Martina Kurz, hätte er begonnen, da ich mit Ihnen verwechselt wurde, bedeutet das natürlich auch, dass Sie mit mir verwechselt worden sind. Das tut mir angesichts meiner in letzter Zeit zutage getretenen Managementschwächen und der sinkenden Zustimmungswerte, besonders leid. Womit ich in keinster Weise andeuten möchte, dass das eventuell mit dieser Verwechslung zusammenhängen könnte. Entschuldigen Sie meine etwas komplizierte Ausdrucksweise, die ich mir in den intensiven Briefwechseln mit meinem Vize angeeignet habe.

Ich möchte mich im Namen der Gerechtigkeit, die weit über dieser WGKSVS Staatsanwaltschaft steht, für Ihre stattliche eidesstattliche Erklärung bedanken.

Lassen Sie bitte Ihren Schwiegervater sehr herzlich von mir grüßen und sagen Sie ihm, wie sehr ich es bedauere, ihn nie kennengelernt zu haben.

Liebe Grüße von Kurz zu Kurz.

Diesem Gruß möchte auch ich mich anschließen.

Alles Gute, Deine Türkise Socke.


Dr. Harry Bergmann, kein Studienabbrecher, aber in der Werbung dennoch Autodidakt. Seit 2 Jahren nicht mehr in der Werbung, aber schon wieder Autodidakt. Diesmal beim Schreiben. Lebt in Wien und in Israel, außer es ist gerade in einem der beiden Länder ein Lockdown.

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