Blümel anders

Ein Politiker sollte zwei bis drei Züge vorausdenken können. Ein Staatsanwalt auch.

Harry Bergmann
am 14.02.2021

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Foto: Felix Mittermeier

Die Welt ist kleiner geworden. Die eigenen vier Wände sind der Horizont, der Fernseher ist das Fenster und Netflix die schönste Aussicht. Das muss aber nicht gleichbedeutend damit sein, dass man nicht immer wieder interessante Entdeckungen macht. Ich für meinen Teil habe Schach entdeckt. Entdeckt klingt jetzt vielleicht so, als ob ich angefangen hätte zu spielen. Nein, nein, ich habe mir auf Netflix die Serie „The Queens’s Gambit“ und den Film „Innocent Moves“ angesehen und war begeistert.

Ich kenne natürlich die einzelnen Schachfiguren, weiß wie sie heißen, wie sie aufgestellt und gezogen werden, aber zwei oder gar drei Züge vorauszudenken, wäre für mich vollkommen unmöglich. Sie können zweifelsfrei davon ausgehen, dass Stefan Zweig in der „Schachnovelle“ mit der Figur des Dr. B. nicht mich gemeint hat.

Ich bin ja schon bei Schere, Stein, Papier heillos überfordert. „Er glaubt, dass ich Schere mache und macht also Stein. Er weiß aber, dass ich so denke und macht also Schere, weil ich ja Papier machen werde, um seinen Stein einzuwickeln. Also ist ganz klar, dass ich jetzt Stein mache.“ Im unwahrscheinlichen Fall, dass mein Gegenspieler nach dieser halbstündigen, strategischen Überlegung überhaupt noch Lust hat weiterzuspielen, macht er natürlich Papier und ich habe mit meinem Stein wiedermal krachend verloren. Und das bei einem Spiel mit drei Figuren. Bei Schach stehen aber 32 Figuren am Brett. Ich verstehe absolut nicht, wie man da den Überblick behalten kann.

Jetzt, wo ich dank Netflix ein bisschen in diese Welt hineinschnuppern durfte, kenne ich zwei Varianten des Spiels, die es mir wirklich angetan haben. Das eine ist das Spielen im Kopf. Kein Brett, keine Figuren. Nur die Konzentration und die Vorstellungskraft, wie sich die schwarzen und weißen Figuren bewegen. Und zwar von beiden Spielern.

Und das andere ist Blitzschach. Ich würde lieber „speed chess“ sagen, weil es nicht nach Blitzkrieg klingt, was es aber im Grunde genommen ist. Die Figuren werden so schnell gezogen, dass man glaubt zwei Kinder stellen im Sekundentakt Figuren irgendwohin oder schmeißen völlig willkürlich die Figuren des anderen um. Dazu das nervtötende Schlagen auf die Schachuhr.

Und was hat das alles mit Blümel und dem Korruptionsverdacht zu tun? Eigentlich nichts. Blümel ist weder schwarz noch weiß, sondern türkis und die WKStA sollte farblos sein. Also nicht farblos im Sinne der Unscheinbarkeit, sondern im Sinne der Unabhängigkeit. Das reale Spielfeld, auf dem diese Auseinandersetzung stattfindet, ist viel verschwommener, undefinierter, vager, als die 64 mit dem Lineal gezogenen Quadrate, die ein Schachbrett ergeben.

Und dennoch erinnert mich das, was sich da seit Tagen vor unseren Augen abspielt, irgendwie an die Schachpartien, die ich auf Netflix gesehen habe. Ich kratze also mein ganzes Halbwissen (ganzes Halbwissen!) zusammen und stelle mir eine „speed chess“-Variante vor.

Bitte lesen Sie das so schnell Sie können:

hat er oder hat er nicht und wenn er hat kann man ihm das nachweisen und wenn man es ihm nachweisen kann wer hängt da noch drin

(Sieger WKStA in 27 Zügen)

oder:

hat er oder hat er nicht und wenn man es ihm nicht nachweisen kann dann steht die justiz schön blöd da und auch der kogler und was dann

(Sieger Blümel in 28 Zügen)

Wenn man die Partie aber im Kopf durchspielen will, dann muss man sich zuerst die wichtigsten Figuren vor das geistige Auge holen:

Da wäre zuerst der Läufer, denn schräg läuft die Sache mit den Parteispenden so oder so.

Ob sich die Justiz gefestigt und geradlinig, wie der Turm bewegen wird können, gilt es abzuwarten.

Es wird sicher viele Haken in der Geschichte geben, also muss man den Springer immer im Auge behalten.

Ja und eines darf man auf keinen Fall: die Bauern unterschätzen. Die Türkisen sind ja keine Bauernpartei mehr, daher wird es interessant werden, welche Bauern sie opfern.

Den ersten Zug hat die WKStA mit der Hausdurchsuchung gemacht. Sehr ungewöhnlich, sehr überraschend, sehr offensiv. Blümel hat kaltblütig und selbstsicher gekontert. Er hat sich – das ist jetzt wohl nicht der beste aller Schachbegriffe – „weit aus dem Fenster gelehnt“ und viele Beobachter fragen sich: „Weiß er etwas, das wir nicht wissen?“. Dazwischen waren natürlich auch einige schwächere, sehr durchsichtige Züge. Die Faymann-Ablenkung oder die Kaiser-Variante, die eigentlich schon in der Großmeister-Mottenkiste liegen. Natürlich schauen jetzt alle auf Blümel, aber das ist gut für die WKStA, denn sie kann in Ruhe ihre Strategie durchspielen. Wer diesen Eröffnungszug macht, muss eine Strategie haben oder sagen wir so: sollte besser eine Strategie haben.

Alle hoffen auf eine schnelle Partie. Aber ich glaube nicht, dass das möglich sein wird, dazu sind die beiden Seiten zu ebenbürtig. Blümel ist nicht allein. Hinter ihm steht das mächtige türkise Team und hinter der WKStA steht die gesamte Justiz, um deren Ansehen und Unabhängigkeit es geht. Oder?

Eines sollte es nach Möglichkeit nicht geben, ein Remis. Es wäre zwar typisch österreichisch, aber es verlieren alle dabei.

Ihr Harry Bergmann


Dr. Harry Bergmann, kein Studienabbrecher, aber in der Werbung dennoch Autodidakt. Seit 2 Jahren nicht mehr in der Werbung, aber schon wieder Autodidakt. Diesmal beim Schreiben. Lebt in Wien und in Israel, außer es ist gerade in einem der beiden Länder ein Lockdown.

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