Der falsche Film

Zuerst geht man mit. Dann läuft man mit. Und dann war man gar nicht dabei.

Harry Bergmann
am 03.02.2021

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Manchmal habe ich echt krause Assoziationen. Als ich wegen des Corona-„Spaziergangs“ am Ring fast eine Stunde im Stau festsaß, fiel mir der Kostüm-Film „Der Mann in der eisernen Maske“ mit Leonardo di Caprio ein. Da war Leonardo di Caprio zwar noch nicht d-e-r Leonardo di Caprio, aber er war immerhin Leonardo di Caprio.

Er hatte eine Doppelrolle. Er spielte Zwillingsbrüder. Die hatten sich nicht besonders lieb. Deshalb ließ der eine Zwillingsbruder den anderen Zwillingsbruder ins Verließ sperren und ihm obendrein auch noch eine eiserne Maske über den Kopf ziehen. Am Ende drehte dann der Eingesperrte, also der mit der eisernen Maske, den Spieß um und der andere wurde in die Maske gepfercht. Alles sehr kompliziert, weil ja dauernd Leonardo di Caprio, der sich in diesem Film besonders ähnlich sah, die Maske aufhatte.

Mich dürfen Sie jetzt nicht fragen, was das Eine mit dem Anderen zu tun hat. Ich habe nicht die geringste Ahnung.

Ah, ich weiß schon. Es ging natürlich nicht um Leonardo di Caprio, sondern um den Titel des Films. Die „Spaziergänger“ tun ja alle so, als wären sie seit Monaten mit einer unerträglichen eisernen Maske in ein Verließ eingesperrt.

Natürlich sind unser aller Nerven schon etwas durchgescheuert. Vor allem jetzt, wo das rettende Ufer der Impfung schon so nahe scheint, die liebe Regierung aber die Rettungsboote nicht bestellt hat und der britische Gegenwind immer stärker wird. Aber ehrlich – durchgescheuert hin, durchgescheuert her – wer ist so bescheuert, von Kickl eingeladen, mit Neonazis, Rechtsextremen und Verschwörungsideologen am Sonntag am Ring spazieren zu gehen? Ich weiß schon, man soll die Demonstranten nicht in einen Topf werfen, aber in welchen Topf soll man sie denn werfen? Wie soll ich mir den Normalo, der bei sowas mitmacht, vorstellen?

Und schon wieder ist sie da. Die skurrile Assoziation. Ich stelle mir vor, dass ich aus dem zugestauten Auto aussteige, mir einen halbwegs normal aussehenden Demonstranten aussuche und mit ihm ein Gespräch anfange.

– Entschuldigen Sie, darf ich sie fragen, warum Sie da mitmachen?

– Ich halte es nicht mehr aus.

– Was genau halten Sie nicht aus?

– Den Verlust der Freiheit. Die haben mir die Freiheit gestohlen, diese……..(Selbstzensur)

– Wir müssen alle auf ein Stück Freiheit verzichten, sonst kommen wir da nie aus dem Schlamassel heraus.

– Ja, aber ich krieg keine Luft.

– Sie sollten aufhören zu rauchen.

– Nein, wegen der Maske.

– Ja, sie sollten aufhören unter der Maske zu rauchen.

– Das ist mein demokratisches Recht.

– Stimmt, aber halten sie hier alle, mit denen sie demonstrieren, für aufrechte Demokraten? Zum Beispiel der da vorne mit dem eintätowierten Hakenkreuz.

– Den kenne ich nicht.

– Eben, warum gehen Sie dann mit ihm am Sonntag spazieren.

So fängt es immer an. Man geht mit. Vielleicht gedankenlos oder aus völlig harmlosen Gründen, aber man geht mit. Die krakeelenden Rattenfänger an der Spitze müssen nicht nach hinten sehen, sie wissen, dass die Menge hinter ihnen immer größer wird. Der Nährboden ist auch immer der gleiche: Gräben in der Gesellschaft, soziale Ungerechtigkeit, Arbeitslosigkeit, mangelnde Bildung, die Angst vor dem Fremden und den Fremden und die einfachen Antworten auf alles. Das vermeintliche Ziel ist das Finden der Schuldigen. Man braucht die Schuldigen aber nicht zu suchen, denn sie stehen von vornherein fest. Nur die, die mitgehen, wissen es nicht oder noch nicht. Am Anfang wird noch wild durcheinandergeschrien, aber langsam, fast unmerklich, wird das Geschrei zu einem synchronen Chor. Die Begeisterung, Chormitglied zu sein, wird auch immer größer und die Backen werden immer röter. Die Erregung beherrscht den traurigen Rest von Verstand. Es wird nicht mehr mitgegangen, sondern mitgelaufen. So fängt es immer an.

Und deshalb, meine lieben Leserinnen und Leser, müssen wir uns mit aller Kraft dagegen wehren. Das ist noch wichtiger, als geimpft zu werden. Und deshalb muss die Politik dafür sorgen, dass es keine Gräben in der Gesellschaft gibt, dass es keine soziale Ungerechtigkeit gibt. Sie muss den Menschen die Angst vor dem Fremden und den Fremden nehmen, statt sie zu schüren. Inwieweit das unsere Regierung tut, überlasse ich heute Ihrem Urteil. Ich werde dennoch nicht müde werden, einmal in der Woche Rundumschläge auszuteilen. Meine Reichweite und mein Einfluss mögen zu klein sein, damit die Schläge Wirkung zeigen. Aber wer weiß?

Und jetzt fällt mir im letzten Moment ein, welche Assoziation zu den von Neo-Nazis unterwanderten Demos viel richtiger gewesen wäre als Leonardo di Caprio: Romy Schneider in „Die Spaziergängerin von Sans-Souci“.

Ihr Harry Bergmann


Dr. Harry Bergmann, kein Studienabbrecher, aber in der Werbung dennoch Autodidakt. Seit 2 Jahren nicht mehr in der Werbung, aber schon wieder Autodidakt. Diesmal beim Schreiben. Lebt in Wien und in Israel, außer es ist gerade in einem der beiden Länder ein Lockdown.

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