Die Zentrifugalkräfte eines Fehlers

Ihr Autor hat einen Fehler gemacht. Noch dazu auf Twitter. Und das geht nie gut.

Harry Bergmann
am 15.01.2021

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Brett Jordan | Unsplash

Ich habe einen Fehler gemacht. Ich hatte schon wenige Sekunden nachdem ich diesen Fehler gemacht hatte, dieses unangenehme Gefühl in der Magengegend, dass ich einen verdammten Fehler gemacht habe. Ich hätte ihn noch korrigieren können, aber irgendwas hielt mich zurück.

Was war geschehen? Frau Damals-Noch-Arbeitsministerin Aschbacher hatte beschlossen, ihrem akademischen Talent durch einen Doktor-Titel den verdienten Hut aufzusetzen. Da sie immer schon eine glühende Verfechterin des Leistungsprinzips gewesen war, kam für sie ein Dr. hc. nicht in Frage. Man befand sich schließlich seit Ibiza mit HC nicht mehr in Koalition, also warum sollte sie dann ausgerechnet einen nach ihm benannten Titel als Geschenk annehmen. Sie wollte ihre Wortgewalt auf gebundenem Papier sehen. Doch dann kam der armen Studentin der Lockdown dazwischen. Der hatte zwar beruflich positive Auswirkungen, weil ja täglich die Zahl der Arbeitslosen stieg und sie damit – in ihrem Amtsunverständnis – für immer weniger Menschen zuständig war, aber die Angst um die eigene Gesundheit lähmte ihre Schaffenskraft.

Wie dem auch sei, sie schummelte. Sie schummelte nicht nur, sie betrog. Und dumm auch noch, denn die abgeschriebenen, nicht zitierten Textbausteine in ihrer Dissertation passten mit den irrlichternden Eigenfabrikaten überhaupt nicht zusammen. Das fiel ihr wohl deshalb nicht auf, weil sie ähnliches von ihren Auftritten in den Pressekonferenzen gewohnt war.

Wie nicht anders zu erwarten, flog alles auf und sie musste zurücktreten. Über Tage und Tage und Tage folgte eine mediale Hinrichtung der anderen. Alle zurecht, gar kein Zweifel. Aber eines Tages, es war der Tag meines Fehlers, dachte ich, es könnte jetzt auch schon mal gut sein. Ich bekam dieses Bild von „Mord im Orientexpress“ nicht aus dem Kopf, wo einer nach dem anderen in das Bahnabteil des bereits Ermordeten ging und nochmals zustach. Er hatte es wirklich nicht besser verdient, aber irgendwie…na ja.

Ich setzte einen Tweet ab, in dem ich die Schadenfreude als größten Defekt der österreichischen Seele bezeichnete und das ständige Holznachlegen auf den Aschbacher-Scheiterhaufen als mittlerweile „maßlos“ bezeichnete. Der Fehler im Fehler war, dass ich glaubte, in Twitter-Kreisen mittlerweile dafür bekannt zu sein, an den Ministerinnen Aschbacher, Raab und Schramböck kein gutes Haar zu lassen und deshalb – ausnahmsweise – Milde vor Recht ergehen lassen zu können.

Na, mehr habe ich nicht gebraucht. Es wurde aus allen Rohren geschossen. Ich geriet auch unter „friendly fire“. Florian Klenk fand das Wort „maßlos“ maßlos, oder er fand mich maßlos, aber er verwendete zumindest einen Schalldämpfer. Es machte nur plopp als das Projektil meinen Arm durchbohrte. Er wollte wohl verhindern, dass ich weiterschreibe. Ob nur auf Twitter oder auch auf falter.at, das weiß ich leider nicht. Sei es, wie es sei, dieser glatte Durchschuss war geradezu eine Wohltat gegen die laut herumschwirrenden Schrapnelle der anderen. Zumeist auch meuchlings, also unter falschem Namen.

Fehler führt zu Fehler. Ich versuchte durch eine Reihe von beschwichtigenden Tweets, das Wort „maßlos“ zu relativieren. In Wahrheit wollte ich es in irgendeinem tiefen Loch verschwinden lassen. Ich grub aber leider viel zu auffällig. Dafür handelte ich mir – zu Recht – mehrere „Aha, die Maßlosigkeit ist also nur leeres Geschwätz!“ ein.

Es ist ja so: wenn man in eine Lawine kommt, dann muss man versuchen durch Schwimmbewegungen an der Oberfläche zu bleiben. Twitter ist auch eine Lawine, aber eben keine Schneelawine und da ist es ganz schlecht, wenn man ins Schwimmen kommt. Je mehr man schwimmt, desto schneller zieht es einen hinunter.

Aber plötzlich spürte ich wieder Boden unter den Füßen. Einer dieser Heckenschützen (falsche Namen geben immer gute Hecken ab) schoss über das Ziel hinaus. Wegen Menschen wie mir, die alles verniedlichen und vertuschen wollen, gäbe es in diesem Land noch so viele Nazirelikte. Das mir!!

Ich wusste wieder, wo ich zu stehen habe, nämlich zu meinem ursprünglichen Tweet. Das war meine Meinung und die muss ich mir von Twitter auch nicht nehmen lassen. Sie werden jetzt einwenden, dass Aschbacher nicht einmal die Minimalgröße hatte, sich zu entschuldigen. Das stimmt, aber wer hat ihr das eingebläut? Sebastian Kurz. Nur nichts zugeben. Sich für nichts entschuldigen. Sofort einen Schuldigen suchen und ihn ohne Zögern zu benennen. G’lernt is g’lernt.

Diesem Bundeskanzler, der mir mittlerweile eher an die Galle als ans Herz gewachsen ist, habe ich allerdings zu verdanken, dass ich in der Causa Aschbacher einen weiteren Fehler vermieden habe. Ich wollte diese Kolumne „Die Aschbachers“ nennen. Da fielen mir in letzter Sekunde „die Silbersteins“ ein, die Herr Kurz zum Wahlkampfthema gemacht hatte. Nicht „den Silberstein“, sondern „die Silbersteins“.

Da ich ja nun selbst zu diesen Silbersteins gehöre und es höchst merkwürdig finde, dass sich gerade in jenem Wahlkampf zwei Silbersteins an sehr prominente Positionen der ÖVP-Liste haben setzen lassen – einer davon betet auch gerne im Parlament mit – habe ich die Headline geändert und mir damit zumindest den legitimen Vorwurf der Verallgemeinerung erspart.

Ihr Harry Bergmann

PS: Der neue Arbeitsminister dürfte wohl auch kein Arbeitslosenminister sein. Während die Arbeitslosen bei seiner Vorgängerin zumindest die Hoffnung hatten, sich im Kauderwelsch verhört zu haben, dürfte beim passionierten Marathonläufer wohl alles klar sein. Nicht gut. Gar nicht gut.

Dr. Harry Bergmann, kein Studienabbrecher, aber in der Werbung dennoch Autodidakt. Seit 2 Jahren nicht mehr in der Werbung, aber schon wieder Autodidakt. Diesmal beim Schreiben. Lebt in Wien und in Israel, außer es ist gerade in einem der beiden Länder ein Lockdown.


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