Das offene Geimpfte

Die Impf-Pressekonferenz lehrt uns: Nach einer kurzen Schwächeperiode ist Österreich jetzt wieder an der Spitze der Welt

Harry Bergmann
am 29.12.2020

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Foto: APA/Hans Punz/APA-Pool

Es ist eine große Szene in der an großen Szenen reichen Geschichte der Regierungspressekonferenzen. Bundeskanzler Sebastian Kurz schaut erhaben und erinnert, mit ausgeprägtem Timbre in der Stimme, alle Österreicherinnen und Österreicher, die in Österreich leben (eine kurze, kaum merkliche Unsicherheit, ob da jetzt nicht das eine oder andere Wort gefehlt hat), dass sie einem historischen Moment beiwohnen. Ausnahmsweise meint er nicht die Pressekonferenz selbst oder seine Ansprache in der Pressekonferenz, sondern den Einmarsch der Impfdosen. Er schaut kurz in seine Unterlagen, damit er die genauen Koordinaten des Grenzübergangs fehlerfrei wiedergeben kann. Generalstabsmäßig ist generalstabsmäßig. „Gestern um 0:07 hat die erste amerikanisch-deutsche Impfdose heil(!) österreichischen Boden erreicht.“

Er wird sich selbstverständlich impfen lassen, ruft er der Fernsehkamera zu, die es dann in die Wohnzimmer der Österreicherinnen und Österreicher weiterruft. Dabei zieht er die Mundwinkel, in die – meiner Meinung nach – falsche Richtung. Nämlich nach unten. Das fällt mir in letzter Zeit immer öfter auf. Er macht dadurch einen leicht greinenden Eindruck, so als ob er gekränkt wäre, dass nicht alle die Tragweite seiner Worte abschätzen können. Aber schon zieht er die Mundwinkel wieder hinauf, denn er spricht über seine Eltern und wie glücklich er ist, dass auch sie sich impfen lassen werden.

Es fällt mir schwer, ihm zu glauben. Ich vermute, dass er schon längst geimpft worden ist. Die Impfdose kam vielleicht sogar vom väterlichen Freund Bibi Netanjahu. Mit lieben Grüßen und der eindringlichen Empfehlung für Neuwahlen im nächsten Jahr.

Ich kann das natürlich alles nicht belegen, aber stellen Sie sich den PR-Super-GAU vor, wenn Kurz positiv getestet worden wäre. So knapp vor dem rettenden Ufer der Impfung.

Das PR-Desaster mit dem kleinen Idioten, dem Babyelefantenkostümherumtrager, hat ihm schon gereicht. Dabei kam die wahre Geschichte ohnehin nicht heraus.

Kogler: „Schau auf mich, schau auf mich! Das ist das Zimmer von Bruno Kreisky, dem roten Sonnenkönig. Der war lange rot, aber jetzt ist er schon lange tot.“

Bub, vulgo Babyelefant: „Plärrrrrr!“

Kurz (versucht die Situation mit einem Kinderreim zu entspannen):“ Nur ein toter Roter, ist ein roter Toter. Äh…….“ (Entspannung misslingt).

Babyelefant, vulgo Bub: „Plärrrrrr!“

Kurz (hat eine Idee): „Schau auf mich, schau auf mich!“ (macht ihm die Elefantenohren, zuerst ohne, dann mit Händen).

Bub sieht rot (das wollten der Türkise und der Grüne eigentlich verhindern) und stößt Kogler, der mit einem Knie kniet (hat er mal bei einem Ritterschlag gesehen) nieder.

Kogler liegt, Kurz zieht die Mundwinkel hinunter, Pressefotograf (jetzt Ex-Pressefotograf) biegt sich vor Lachen. Bub schaut sich in Ruhe das berühmte Bruno Kreisky-Zimmer an.

Zurück zur Pressekonferenz. Kaum hält man eine Steigerung für möglich, da schwenkt die Kamera zu Gesundheitsminister Rudi Anschober. Er schaut erleuchtet und ist „dankbar“, dass auch er die Impfung empfangen wird. Dann spricht er endlich das große Wort gelassen aus: „Die Wende.“

Viele haben in der Zwischenzeit das Wort „Wende“ kommentiert. Ein Sportkommentator (bis heute weiß man nicht, wie er in das Ressort Innenpolitik geraten ist) zum Beispiel so: „Natürlich meinte er (Anschober) die Wende beim Segeln. Eine Kursänderung bei Gegenwind.“ Das leuchtet auch unsportlichen Kollegen ein. Dass Anschober seit Monaten im Gegenwind navigiert, ist ja wirklich kein Geheimnis. „Was für ein primitiver Unfug!“ kontert ein Historiker „Es geht eindeutig um den 9.November 1989, den Mauerfall. Die Menschen (Copyright: PRW) waren in einem unmenschlichen System eingemauert. Als die Mauer fiel, stürmten sie in die Freiheit. Die Symbolik ist doch eindeutig. Der Lockdown, das ist die Mauer. Die Impfung, das ist die Freiheit. Die deutsche Einheit, das ist unsere wunderbare türkise Zukunft.“ Und schließlich sagte auch noch der Viagra-gestärkte CEO von Pfizer Österreich, wie sehr er sich freut, zu dieser positiven Wendung beigetragen zu haben. „Pfizer rettet Leben, ob im noch ungezeugten oder bereits gezeugtem Stadium.“

Diese Pressekonferenz hat gezeigt, dass wir nach einer kurzen Schwächeperiode, in der uns ein paar hundert Österreicherinnen und Österreicher, mutwilllig, unter der Hand weggestorben sind, wieder in der absoluten Spitze Europas – ach was, der ganzen Welt – mitspielen.

Nur Kleingeister, geistige Flachwurzler und subversive Menschen mit flachen Lernkurven, wie ich, wagen einzuwerfen, dass vielleicht zu wenig Impfdosen bestellt oder geliefert worden sind, dass woanders bereits hunderte, ja tausende geimpft worden sind, wie alle meine Freunde in Israel zum Beispiel („na dann fahr obe zu deine Freind , di braucht eh kaner do“), dass keiner weiß, ob und wann er drankommt. Das Übliche halt.

Gut, dass ich noch nicht geimpft bin, sonst würde mir selbiges, nämlich „des Gimpfte“ wieder aufgehen.

Prosit Neujahr.

Ihr Harry Bergmann

Dr. Harry Bergmann, kein Studienabbrecher, aber in der Werbung dennoch Autodidakt. Seit 2 Jahren nicht mehr in der Werbung, aber schon wieder Autodidakt. Diesmal beim Schreiben. Lebt in Wien und in Israel, außer es ist gerade in einem der beiden Länder ein Lockdown.


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