Schwedische Gardinen

Grasser war der Leadsänger der ersten Polit-Boy-Group in Österreich. Heute spielt schon die zweite Generation auf

Harry Bergmann
am 07.12.2020

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Meine Psychotherapeutin sagt, dass ich in letzter Zeit etwas „durchlässig“ geworden bin. Sie meint das durchaus besorgt. Ich lasse zu viele negative Vibes an mich heran und in mich herein. Kein Wunder, denke ich mir, wo doch so viele negative Vibes um mich herum sind. Was soll schon in Zeiten einer Pandemie um einen herum sein? Gleichzeitig, so denke ich weiter, hat doch alles Schlechte angeblich auch was Gutes. Also bemühe ich mich, meiner „Durchlässigkeit“ auch was Positives abzuluchsen.

Ich weiß nicht, wie es um die „Durchlässigkeit“ von Karl-Heinz Grasser bestellt ist, kann mir allerdings schwer vorstellen, dass er den Urteilsspruch mit anderen als entsetzten Gefühlen in sich aufgenommen hat. Er stand schon ziemlich Dorian Gray-isch vor der Kamera. Fast schon Dorian Grey-isch. Und würde er einem nicht leidtun, konnte er einem leidtun.

Natürlich wurde jeder Kommentar über das Urteil sofort mit dem Zusatz „nicht rechtskräftig“ versehen. Es mag nicht „rechtskräftig“ sein, aber „signalkräftig“ ist es allemal.

Danke, Frau Marion Hohenecker.

Karl-Heinz Grasser am Tag seiner Urteilsverkündung | Foto: APA/Roland Schlager

Grasser war der Leadsänger der ersten Polit-Boy-Group in Österreich. Mit 31 Jahren, der jüngste Finanzminister, fesch – nach eigener Einschätzung sogar zwischen schön und zu schön – auf den Titelseiten ebenso zuhause, wie in den Klatschspalten. Alle jubelten dem Popstar zu. Das Parkett konnte ihm gar nicht glatt genug sein. Er war der Dancing Star, lange bevor es Dancing Stars gegeben hat. Er wäre vielleicht noch weiter hinaufgekommen, wenn sich nicht Andreas Khol, der dem zumindest verbal die Hand leicht auskommt, quergelegt hätte. Behauptet er zumindest. Jetzt tut ihm Grasser leid, weil ihm „jeder leid tut, der ins Gefängnis muss“.

Freitag am Vormittag war Sperrstund‘. Einsperrstund‘. 8 Jahre für Grasser. Sein nicht rechtskräftiger brother-in-crime, Meischberger, war, wie immer, guter Zweiter mit 7 Jahren.

Dass er das Lokal vor der Sperrstunde fluchtartig verlassen hat, wird ihm keine neuen Freunderln machen. Aber bei der Justiz hat er eh keine.

Und Hochegger, der „Verräter“, der Pfeiferl-Bläser, dem nicht einmal die Ganovenehre geblieben ist, musste mit bescheidenen 6 Jahren Vorlieb nehmen.

Es waren, wenn ich es richtig gezählt habe, 14 Angeklagte. Aber der Hauptangeklagte war nicht Grasser, sondern das „System Grasser“, oder das „System Haider“ oder das „System Schüssel“. Suchen Sie sich in Ruhe eines aus. Hätten Sie es lieber mit Ideologie, oder ohne? Ein System jedenfalls, von dem der junge Mann mit dem Tunnelblick unlängst meinte, er hätte es nicht erfunden, aber er kennt auch kein besseres.

Das System hat das politische Leben Grassers überdauert. Heute spielt schon die zweite Generation der Polit-Boy-Group, die zweite Generation der „Buberl-Partie“, wie es im despektierlichen Volksmund heißt. Auch fesch, vielleicht nicht ganz so schön. Sie haben kaum eigene Songs. Sie spielen Coverversionen der Hits der ersten Buberl-Partie, zum Beispiel „Take what you get“ und „Truth is just a phantasy“.

Wenn dieses System ein Schiff wäre, dann hat es jedenfalls am Freitag eins vor den Bug bekommen. Die Richterin erwähnte die „gleichgültige Haltung der Justiz gegenüber“. Dieser Gleichgültigkeit ist in diesem Jahr – unverfroren und in aller Öffentlichkeit – der Versuch der Aushöhlung und ein beispielloses Sündenbock-Narrativ gefolgt. Die Justiz entscheidet nicht mehr über Schuld, sie ist – wenn es nach der Regierung geht – selbst an allem schuld. Nochmals danke, Frau Marion Hohenecker für Ihr Rückgrat im Gegenwind.

„Jetzt hat‘s earm endlich darwischt!“ wird man jetzt von allen möglichen und unmöglichen Galerien hören. Die Häme bedient sich bei uns oft des Wiener Dialekts. Und leider ist ein ganz finsterer Fleck der österreichischen Seele, dass ein Gefallener nicht am Boden, also E wie Erdgeschoss, sondern eher in U3, wie drittes Untergeschoss, landet. Grasser und die boys sind aber noch gar nicht gelandet. Jetzt gibt’s mal die Berufung. Und die genaue Fallhöhe wird man erst in ein paar Monaten wissen.

Wir sitzen jedenfalls ab morgen nicht mehr hinter schwedischen Gardinen. Als Belohnung, dass Sie geduldigst bis hierher gelesen haben, erzähle ich Ihnen auch noch, wieso es „schwedische Gardinen“ heißt. Früher war der schwedische Stahl der härteste Stahl und wurde deshalb für Gefängnisgitter verwendet.

Morgen Lockdown aus,

auf ins Möbelhaus.

Das Parlament betet. Vorhang zu.

Das nächste Mal erzähle ich Ihnen Interessantes über den dritten Lockdown oder darüber wie der Wintertourismus entdeckt hat, dass man die „Mörderkohle“ (Ganovensprache, siehe oben) ohne Touristen machen kann.

Ihr Harry Bergmann

#Moria: Danke, Doro Blancke. Bitte spenden: AT93 3842 0000 0002 7516

Dr. Harry Bergmann, kein Studienabbrecher, aber in der Werbung dennoch Autodidakt. Seit 2 Jahren nicht mehr in der Werbung, aber schon wieder Autodidakt. Diesmal beim Schreiben. Lebt in Wien und in Israel, außer es ist gerade in einem der beiden Länder ein Lockdown.


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