Die Zauberlehrlinge

Goethes Ballade über die Wichtigtuerei und den Machtrausch eines Zauberlehrlings ist das perfekte Abbild unserer Regierung und ihres Krisenmanagements

Harry Bergmann
am 16.11.2020

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Unlängst ist mir zufällig der „Zauberlehrling“ von Goethe eingefallen.

Hat der alte Hexenmeister

Sich doch einmal wegbegeben!

Und nun sollen seine Geister

Auch nach meinem Willen leben.

Na ja, „unlängst“ war nicht wirklich unlängst, sondern genau Samstag, 14.November, 16:30 Uhr. Und „zufällig“ war sowas von nicht zufällig, sondern mitten in der schon lange angekündigten Regierungs-Pressekonferenz.

Da standen sie, die vier Zauberlehrlinge. Sinnbilder der Planlosigkeit und des Kontrollverlusts. Man musste gar nicht einmal so genau hinsehen, um ihnen alles von den Gesichtern abzulesen: die Ungläubigkeit über das von Ihnen selbst Gesagte, das Wissen um den großen Anteil eigener Schuld und der letzte Rest an Entschlossenheit diese Schuld auf irgendwen oder irgendwas zu schieben.

Diskurs? Mitnichten! „Die vorgestellten Maßnahmen sind alternativlos, Schluss der Debatte.“ Am liebsten hätte man das Fernsehgerät angeschrien: „Wer hat es denn überhaupt so weit kommen lassen, dass die Maßnahmen jetzt alternativlos sind, wenn sie überhaupt alternativlos sind?“

Ein einzelner Zauberlehrling ist manchmal besser als vier | Illustration: Ferdinand Barth (ca. 1882)

Der Oberlehrling ständig auf der Suche nach der noch so kleinsten Lücke, die es ihm erlaubt, sich bei der Frage nach der Schuld davonzuschleichen. Der Gesundheits-Lehrling, der doch glatt die Stirn hat, vor dem Hintergrund der höchsten Neuinfektions-Zahlen der Welt(!), seine bisherige Arbeit zu loben . Der Vize-Lehrling, der im wahrsten Sinne des Wortes versucht, sich „herauszuwinden“. Der Arme hat nicht nur seine Sprachkontrolle schon vor längerer Zeit verloren, sondern jetzt auch noch die Kontrolle über seine Körpersprache. Der Innendienst-Lehrling diesmal nur in einer Statistenrolle. Sichtlich erleichtert, durch die Corona-Situation ein paar Tage aus der Schusslinie der Terrorbekämpfungs-Pannen zu kommen.

Goethe hat das alles schon vorhergesehen. Vielleicht sogar die Pandemie. Er war ja nicht nur ein großer Dichter, sondern auch ein – zugegeben, nicht so großer – Naturwissenschaftler. Vielleicht hätte er den Ursprung der Pandemie herausgefunden. Eine Pandemie beginnt ja nicht als Pandemie. Diese Pandemie begann als Gerücht, außer in China. Da war sie eine Fledermaus. Oder ein Labor. Wenn sie ein Labor war, dann war sie entweder ein Versehen oder eine Absicht. Wenn eine Pandemie schon so anfängt, dann endet sie meistens nicht gut. Und Goethe war ein Spezialist für Dinge, die nicht gut enden.

Sei es, wie es sei, seine Ballade über die Wichtigtuerei, die Überheblichkeit und den Machtrausch eines Zauberlehrlings, der einem Besen befiehlt Wasser zu holen, ist das perfekte Abbild unserer Regierung und ihres Krisenmanagements.

Und nun komm, du alter Besen!

Nimm die schlechten Lumpenhüllen

Bist schon lange Knecht gewesen:

Nun erfülle meinen Willen!

Wir Knechte erfüllten brav den Willen und die Lehrlinge berühmten sich ihrer Taten. Aber sie haben etwas vergessen: wenn man etwas zusperrt, sollte man es irgendwann wieder aufsperren. Die Lehrlinge hingegen kannten nur die einfache Formel fürs Zusperren. Die Formel für das richtige Aufsperren, die kannten nur Experten. Aber denen hörten sie nicht zu.

Ach, das Wort, worauf am Ende

er das wird, was er gewesen.

Fehler führten zu Fehlern. Menschen stürzten ins Elend. Hilfe bekamen eher die, die die Hilfe gar nicht so nötig hatten. Man rettete sich in die Illusion eines normalen Sommers. Im September begann, was beginnen musste. Die Zahlen begannen zu steigen. Man musste kein Adam Riese sein, um zu sehen, wohin das führt.

Die Regierung aber schaute nur auf die Umfragen und steckte den Kopf in den Sand, den sie uns vorher in die Augen gestreut hatte. Ein Lockdown vor Halloween wäre mutig, aber völlig richtig gewesen. Jetzt bleibt nur mehr die Brechstange.

Wahrlich, brav getroffen!

Seht er ist entzwei!

Wieder nichts von Goethe gelernt! Aus einem Besen wurden nämlich zwei. Und die Verzweiflung und das Chaos wurden nur verdoppelt.

Herr, die Not ist groß!

Die ich rief, die Geister

werd ich nun nicht los.

An dieser Stelle trennen sich leider die Wege von Goethe und uns. Ausgerechnet bei ihm, bei dem alles immer sauschlecht endet, kommt Hilfe in Form eines Experten, der die rettende Formel kennt.

In die Ecke

Besen, Besen!

Seids gewesen.

Was bei uns kommt? Chaos in den Schulen. Ein Heer von Arbeitslosen. Eine tief gespaltene Gesellschaft. Superspreader in den Alpen. Kitzloch wird im Guide Michelin erwähnt (eine großräumige Umfahrung wert). Die Abschaffung der Ampelkommission. Kurz wird wieder beliebtester Politiker Österreichs. Nehammer tritt nicht zurück. Deshalb keine Koalitionskrise. Und mit ziemlicher Sicherheit der 3. Lockdown im Frühjahr.

Eines noch, weil es mir sehr wichtig ist: Die Zauberlehrlinge sind tatsächlich inkompetente Zauberlehrlinge. Aber wir sind keine willenlosen Besen. Wir können nicht alles auf die Politik schieben. Jeder von uns kann und muss selbst etwas tun, etwas beitragen. Und nicht erst, wenn es Verbote gibt. Ich habe Bilder von Menschenmassen auf der Mariahilferstraße vom letzten Samstag gesehen. Abstand, Fremdwort. Maske, Fremdwort.

Leute! Es ist nicht ausdrücklich verboten den Hausverstand von zu Hause mitzunehmen.


Harry Bergmann. Früher Demner, Merlicek und Bergmann. Jetzt einfach Bergmann. Nach 40 Jahren in der Werbung auf der Suche nach etwas Neuem. Ältester Kolumnisten-Lehrling auf falter.at. Geboren in Israel. Mit 3 Jahren nach Österreich und hier gerne geblieben. Witwer einer unvergleichlichen Frau, Vater von 3 wunderbare Söhnen und Schwiegervater einer wunderschönen Schwiegertochter. Lebt in Wien und Herzlia/Israel.


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