Aus meiner Nähe betrachtet

Über Indiana Jones-mäßige Innenminister und die Erleichterung nach der Wien-Wahl

Harry Bergmann
am 14.10.2020

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Der Herausgeber einer österreichischen Tageszeitung, den ich hoffentlich einen guten Freund nennen darf, wollte mir bei einem Mittagessen ausreden, dass ich mich als Kolumnist versuche. Es war gut gemeint. Er wollte mich, der ich schon seit ein paar Jahren in einer schwierigen Lebensphase bin, vor zu viel Druck bewahren. Druck, überhaupt etwas zusammenzubringen und dann auch noch termingerecht zusammenzubringen.

Er sagte: „Es gibt viel zu viele, die glauben, Kolumnen schreiben zu müssen über etwas, das schon von allen anderen geschrieben wurde, nur von ihnen selbst noch nicht.“ Das saß. „Na, dann eben nicht“, dachte ich. Der Gedanke fiel mir schon deshalb leicht, weil ich ja gar keine Ambitionen in diese Richtung hatte. Warum sollte ich jetzt Kolumnist werden wollen? Ich gebe zu, ich hatte meinem Freund vor unserem Treffen zwei Artikel geschickt, die ich in der Zeit veröffentlichen durfte, aber wirklich nur, weil ich stolz darauf war und mich seine Meinung dazu interessierte. Okay, ich wollte mir halt auch ein bisschen Lob abholen.

Das ist mir schon als Kind so gegangen: wenn meine Eltern erklärt haben, dass ich dieses oder jenes auf gar keinen Fall tun soll, wurde es erst richtig interessant. Sorry, liebe Leserin und lieber Leser, sie müssen das jetzt ausbaden. Ich beschloss – genau umgekehrt – nur über etwas zu schreiben, worüber alle schon geschrieben haben. Es geht mir nämlich nicht um das, was ist, sondern darum, wie ich das, was ist, empfinde. Vielleicht gibt es da draußen ein paar, die auch so empfinden, wie ich? Vielleicht gibt es da draußen ein paar, die das gleiche für unanständig, unmoralisch, ungerecht halten, wie ich? Vielleicht aber auch welche, die über die gleichen Sachen lachen können, wie ich?

Ich war in grauen Vorzeiten Werbetexter. Also ich wusste schon in etwa, wie man Worte zusammenfügt. Aber in der Werbung ist man so eine Art Ghostwriter. Der Kunde, weiß – ehrlich gesagt auch nicht immer – was er sagen will, aber er braucht jemanden, der es so sagt, dass die Leute darauf aufmerksam werden. Aber jetzt war ich plötzlich mein eigener Auftraggeber.

Ich begann klein. Mit maximal 141 Zeichen. Auf Twitter.

Ich betrachtete es als „literarische“ Herausforderung, in diesem Miniformat etwas zu sagen, das aber auch anspruchsvoll gesagt war. Zumindest so gut ich konnte.

Das ist 7 Monate eigentlich ganz gut und reibungslos gegangen. Bis vor ein paar Tagen.

Karl Nehammer braucht nur die Hemdsärmel hochzukrempeln und schon wird er zu Indiana Innenminister Jones | Foto: APA/ Georg Hochmuth

Da sah ich eines dieser grauenhaften Bilder aus Moria, das die ganze Ungeheuerlichkeit des Lagers zeigte. Mir kam wieder die Erbärmlichkeit der Regierung hoch, 100 unschuldigen Kindern die Hilfe zu verweigern. Zuerst wollte man sie nicht in Österreich aufnehmen, dann faselte man etwas über „Hilfe vor Ort“, die heute noch nicht vor Ort ist, oder sogar nie dort sein wird. Der einzige Ort von Bedeutung für unseren empathischen Herrn Innenminister – kann mir jemand erklären, warum Innenminister immer vom gleichen Schlag sind? – war die Platzierung seines Fotos in den Medien, wie er Indiana Jones-mäßig die heilsbringende Fracht eskortierte.

Ich twitterte das Foto und schrieb „Sehr geehrter Herr Außenminister, Sie meinten, man müsse das große Bild sehen. Das ist das große Bild.“ Sicherheitshalber twitterte ich nochmals das Foto und forderte alle auf, beide Tweets als Zeichen des Protests zu retweeten. Innerhalb von 24 Stunden hatte ich rund 1.500 Retweets.

Aber dann passierte etwas Seltsames, für mich völlig Überraschendes. Plötzlich tauchte ein Tweet auf, der höhnisch bemerkte, dass das Foto aus dem Jahr 2017 stamme und ich gefälligst besser recherchieren solle. Ich recherchieren? Wieso recherchieren? Ich will nicht recherchieren. Ich will doch nur auf das Unrecht aufmerksam machen.

Bevor ich wusste, wie mir geschieht, war ich in meinem ersten kleinen Shitstorm. Alle Versuche zu erklären, dass es um die Aktualität des Themas und nicht um die Aktualität des Fotos geht, scheiterten kläglich. Mein geschickter Befreiungsversuch, dass ein aktuelleres Foto doch noch viel schlimmer und erschreckender wäre, erzürnte die Twitter-Meute wie ein Blutstropfen einen Schwarm von Piranhas. „Die glauben alle, du bist ein Journalist“ ging mir durch den Kopf, „und noch dazu einer der übelsten, manipulativen Sorte.“ Schon lange nicht so stolz auf mich gewesen.

Ah, jetzt habe ich vor lauter Eigenlob ganz vergessen, über meine Retterin zu schreiben. „Nehmen sie doch dieses Foto, es ist vor ein paar Tagen aufgenommen worden“, sagte ein wunderbarer Tweet von einer Sister in Arms. Ich war aus dem Gröbsten heraußen, was man von den Ärmsten der Armen, die weiß Gott wie lange noch in der Zeltstadt hausen müssen, leider nicht sagen kann.

Sehen Sie, so geht es mir. Ich verliere mich in einem mäandernden Gedankenfluss, vergesse die Zeit – nämlich Ihre – und habe noch gar nicht angefangen, das zu schreiben, worüber im Moment alle schreiben. Die Wien-Wahl.

Aber keine Angst, ich fasse mich kurz. Ich bin erleichtert. Erleichtert, dass es Strache – trotz einer quotengeilen Medienpräsenz – nicht geschafft hat. Erleichtert, dass der widerliche Kurs der Türkisen in den letzten Wochen zum Boomerang wurde. Erleichtert, dass ich das pomadisierte Haar des Herrn Nepp – in dem sich der verbissene Zahntechniker HC so schön gespiegelt hat – zumindest nicht mehr täglich sehen muss. Erleichtert, dass ich auf dem Traktor von Frau Hebein nicht mitfahren muss, wenn sie so zick-zack fährt, wie sie redet. Erleichtert, dass Herr Wiederkehr besser abgeschnitten hat, als ich, aber auch sein ständig verlegenes Lächeln es ihm selbst zugetraut haben. Erleichtert, dass Galileo Galilei durch den strahlenden Herrn Bürgermeister bestätigt wurde, dass sich nämlich die Erde und alle Planeten um die Sonne drehen und nicht umgekehrt.

Erleichtert, dass ich nicht auch noch darüber schreiben muss, nur um zu beweisen, dass man auch ganz anders darüber schreiben kann, als alle, die schon vorher darüber geschrieben haben.

Ihr Harry Bergmann


Harry Bergmann. Früher der Nachname von Demner, Merlicek & Bergmann. Jetzt einfach Bergmann. Weiß nach 4 Jahrzehnten ganz genau, was er alles über Werbung noch immer nicht weiß. Hobby-Schreiber. Da weiß er noch viel weniger und findet das gerade deshalb so spannend. Lebt in Wien und Herzlia/Israel.


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