Der Sommerschlaf und andere Gründe wach zu bleiben.

Die Bundesregierung hat den Sommer im kollektiven Tiefschlaf verbracht, umso wacher müssen wir sein.

Harry Bergmann
am 27.09.2020

Abonnieren Sie Harry Bergmanns Loge 17:

Warnung: dieser Artikel enthält zum Teil medizinische Inhalte, die aber – aufgrund fehlender Vorkenntnisse des Verfassers – nicht zur Selbstdiagnose geeignet sind. In dringenden Fällen suchen Sie bitte einen Arzt auf.

Wien war immer schon ein Ort, wo Medizingeschichte geschrieben wurde. Dieser Tage war es wieder soweit. Eine Entdeckung auf dem Gebiet der Somnologie (Schlafforschung) konnte mit Stolz der Welt präsentiert werden. Der internationalen Bedeutung entsprechend wurden die neuen Erkenntnisse nicht nur in Medizinerkreisen, sondern sogar im österreichischen Parlament ausführlich besprochen. Die extra dafür angesetzte Plenarsitzung wurde äußerst emotional geführt, was aber weiter nicht verwundert, wenn man weiß, dass der „kollektive Sommerschlaf“ der Regierung auf der Tagesordnung stand.

Beim kollektiven Sommerschlaf geht es, wie auch beim individuellen Sommerschlaf, hauptsächlich um die REM (Rapid Eye Movement)-Phase. In dieser Schlafphase finden nicht nur die Träume statt, sondern auch das Abspeichern von Automatismen. Also zum Beispiel, wo Herr Blümel seinen Laptop ohne zu denken hingelegt hat, weil er ihn immer dort hinlegt.

Aber hier geht es um eine REM-Phase der ganz anderen Art. Es geht um die RegierungsErholungsMonate. Monate, in denen die Regierungs-Schlafmützen einfach so vor sich hingeträumt haben.

Verschlafen. Foto: Frederick Tubiermont | Unsplash

Laut den Ausführungen der wütenden, parlamentarischen Opposition handelt es sich dabei um 3 Monate, nämlich Juli, August und September, die die gesamte Regierungsbank völlig verpennt hat. Ob sich, wie einige meinen, die Regierung diese lange Erholungsphase tatsächlich verdient hat, ist in der Bevölkerung, aber auch unter Somnologen sehr umstritten.

Fairerweise muss man aber auch Fakten, die für die Regierung sprechen, gelten lassen: Die gefühlt hunderten Pressekonferenzen, die dutzenden nach unten nivellierten Gesetze, die peinigenden, Gedächtnisverlust auslösenden Befragungen im Ausschuss, die Abwehr einer militanten Flüchtlingswelle aus Moria, die unter Missachtung der Genfer Konvention 100 unschuldige Kinder als menschliches Schild vor sich hertrieb, die zahlreichen Verfassungsbrüche, die auch sattelfestere Regierungen aus eben diesem Sattel gehoben hätten, die internen Koalitionskämpfe, die Game of Thrones wie eine Neuverfilmung von Mary Poppins aussehen lassen und und und.

Insgesamt liegt wohl eine völlige Falsifizierung des Satzes „Den Seinen, gibt es der Herr im Schlaf“ vor. Bei einigen dieser „Seinen“ lohnt sich eine Einzelbetrachtung.

Nicht ganz wahllos greife ich als ersten den unfassbaren Herrn Faßmann heraus. Er hat zweifellos stark ausgeprägte REM-Phasen, die ihn zum bildungspolitischen Traumtänzer machen. Durch unberechenbares Auf- und Zusperren von Schulen raubt er den Kindern den gesunden Schulschlaf und damit einen reibungslosen Übergang in das pragmatisierte Beamtentum.

Anders liegt der Fall bei Herrn Kofler. Er hatte früher extreme Einschlafschwierigkeiten, die er aber durch den selbst entwickelten Schachtelsatz-Samba erfolgreich bekämpft hat. Er legt sich nieder, summt ein Schachtelsätzchen vor sich hin und lange bevor der Satz beendet ist, also nach rund einer halben Stunde, erschlafft seine Rachenmuskulatur und er beginnt zu schnarchen. Aber Achtung: Herr Kogler neigt oft dazu, den Schlaf nur zu simulieren. Das trifft meistens dann zu, wenn die Grünen gegen alles, was ihnen jemals heilig war, mit der ÖVP mitstimmen.

Herr Anschober ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Schlafwandler. Das heißt, er verlässt, ohne aufzuwachen, das Bett, geht herum und kann auch leichte Tätigkeiten verrichten, wie zum Beispiel das irreparable Verstellen der Corona-Ampel. Auch wenn es so wirkt, als ob er im Schlaf reden würde, hält er Pressekonferenzen immer im wachen Zustand ab.

Ich fasse mich bei Herrn Kurz kurz, weil der von rund 40 Prozent der Bevölkerung ohnehin für einen „ziemlich ausgeschlafenen Typen“ gehalten wird. Kein Wunder, er schläft den Schlaf des Rechten. Untermauert wird das durch sein christlich-soziales Credo „Mein absolut reines Gewissen ist ein geiles Ruhekissen“.

Und wo bleiben bei all dem wir, die wir in diesem Sommer sehr schlecht geschlafen haben? Denn Sorgen und Unsicherheit sind eben kein so „geiles Ruhekissen“. Wenn „die da oben“ plötzlich aus dem Tiefschlaf erwachen und orientierungslos herumtaumeln, dann müssen wir eben wach und wachsam mit uns selbst sein. Wir müssen eine innere Corona-Ampel entwickeln. Wir müssen in uns selbst hineinhorchen und die richtige Farbe fühlen. Und was die Maskenpflicht, die Abstandregelungen, die Hygienevorschriften betrifft, gilt, was für jedes Bundesland gilt: Man darf die Bestimmungen nur verschärfen.

Aber die Wachsamkeit soll sich nicht nur auf Covid-19 beschränken. Wir sind Zeitzeugen eines neuen Egoismus. Vielleicht sind wir nicht nur Zeugen, sondern Mitläufer und Mittäter. Statt Solidarität, Mitgefühl und Altruismus blüht der Geschäftszweig der Ich-AGs. Vielleicht kommt es vom politischen Klima, vielleicht aber auch nicht. „Rette sich, wer kann!“ war immer schon ein stärkerer menschlicher Impuls, als „Rette, wen Du kannst!“.

Die Tage werden kürzer. Es wird kalt. Wir sind alle gefordert unseren Beitrag zu leisten, dass das soziale Klima nicht auch noch kälter und kälter wird. Jede und jeder einzelne könnte am 11. Oktober in Wien damit beginnen und der Partei die Stimme geben, von der sie oder er diesen gesellschaftlichen Klimaschutz am ehesten erwartet. Welche Partei auch immer das sei.

Bleiben Sie wachsam und vergessen Sie nicht, dass uns etwas Großes, Digitales, Corona-taugliches einfallen muss, um unsere Solidarität mit den Flüchtlingskindern zu zeigen. Es muss.

Beim nächsten Mal schreibe ich dann über das Spitalswesen, aber erst sobald ich vom Aufwachzimmer zurück in die Station gebracht worden bin.

Ihr Harry Bergmann


Harry Bergmann. Früher der Nachname von Demner, Merlicek & Bergmann. Jetzt einfach Bergmann. Weiß nach 4 Jahrzehnten ganz genau, was er alles über Werbung noch immer nicht weiß. Hobby-Schreiber. Da weiß er noch viel weniger und findet das gerade deshalb so spannend. Lebt in Wien und Herzlia/Israel.


Abonnieren Sie Harry Bergmanns Loge 17:

Weitere Ausgaben:
Alle Ausgaben der Loge17 finden Sie in der Übersicht.

12 Wochen FALTER um 2,50 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!