Der lange Schatten von Sparta

Wer Strache hat, braucht keinen Trump mehr und andere Gründe, warum Österreichische Innenpolitik spannend ist

Harry Bergmann
am 20.08.2020

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Das wird Ihnen vielleicht bekannt vorkommen: Sie lesen etwas und stolpern über ein Wort. Stolpern zeichnet, so denke ich, das richtige Bild. Man liest in einer zügigen Vorwärtsbewegung und plötzlich bleibt man an einem Wort hängen und stolpert in einer gefährlichen Vorlage durch den nächsten Satz. Man findet wieder die Balance oder auch nicht, auf jeden Fall aber schaut man neugierig zurück, was denn der Grund für die Unterbrechung des Leseflusses gewesen ist.

Das passierte mir neulich beim Lesen der Charakterisierung einer Person, die als „klein von Statur, aber groß in Lakonie“ beschrieben wurde. Lakonie!

Ein genauso seltenes, wie wunderbar klingendes Wort. Da stolpert man gerne. Lakonie steht für Kürze und Einfachheit des Ausdrucks, für Wortkargheit, aber auch für die Präzision des Gesagten oder Geschriebenen. Von Lakonie kam ich dann irgendwie auf den Landstrich Lakonien und von dort war es nicht mehr weit zur Hauptstadt Lakoniens, Sparta.

Die Spartaner mussten also nicht nur ziemlich rauhe, sondern auch wortkarge Zeitgenossen gewesen sein.

Auch dem www ist zu entnehmen: „Die Spartaner waren gar nicht so nett“. Muss also stimmen. Foto: Ticinese/Wikipedia, CC BY-SA 3.0

Daran musste ich denken, als mir ein Freund – ziemlich lakonisch – mitteilte, dass ich zwar manchmal ganz nett schreibe, aber halt immer nur über österreichische Innenpolitik, die ihn nicht interessiere. Stephanie Krisper hätte noch lakonischer gesagt: Österreichische Innenpolitik geht ihm am Oasch.

An mir ist leider kein spartanischer Kämpfer verloren gegangen. Ich hätte meinem, in diesem Moment bereits eher Ex-Freund, knallhart in die Parade fahren müssen.

„Erstens habe ich schon über Anderes als Innenpolitik geschrieben und zweitens kann ich in der Loge 17 nicht Dinge beobachten, die 1000e Kilometer entfernt sind.“

Was aber mach ich? Ich stolper´ über seine Kritik und wie ich psychisch hingestreckt am Boden liege, denke ich: „Vielleicht hat er ja recht? Es gibt auf der Welt doch viel wichtigeres, als Kurz, Nehammer, Doskozil, Raab und Aschbacher sowieso.“

Die US-Wahl zum Beispiel. Den täglichen Wahnsinn von Trump. Da wird das Kleinwalsertal sofort auf seine wahre Größe reduziert.

Wir, die wir „rund“ – geographisch dehnbarer Begriff – um die Loge 17 angesiedelt sind, erleben Trump als aufgeblasenen, rüppelhaften, ungebildeten, cholerischen, frauenfeindlichen, narzisstischen, notorischen Lügner. Ist er auch.

Aber wir wählen dort nicht. Und wir verstehen die große Wut von Abermillionen Arbeitern und Angestellten auf die Eliten nicht. Wir wundern uns heute noch, dass Hillary Clinton verloren hat. Die Ironie an der Sache ist, dass Trump selbst ein Teil dieser Eliten ist. Aber Wut macht eben blind.

Eh klar, dass der US Wahlkampf interessanter ist, als der Wiener Wahlkampf.

Eh klar, dass es spannender ist, ob der russische Geheimdienst die Wahlen manipuliert, als die Frage, ob HC auf 55 Quadratmeter seinen Hauptwohnsitz hat oder nicht. Eh klar, dass es aufregender ist, wie Trump es schafft im Weißen Haus zu bleiben. Indem er entweder tatsächlich gewinnt oder trotzdem gewinnt, obwohl er verloren hat.

Andererseits haben die keinen Strache. Hätte ein amerikanischer Vizepräsident einer russischen Oligarchentochter, auch wenn sie keine Oligarchentochter war, Staatseigentum der USA zum Ausverkaufspreis angeboten, würde er sofort wegen Hochverrats angeklagt und zu 3.333 Jahren verurteilt worden sein. Gibt es in Österreich eigentlich das Delikt Hochverrat nicht?

Sei es, wie es sei. Jeder muss wissen, wo sein Platz ist. Und meiner ist im großen Saal die letzte Loge links am Fenster. Loge 17. Dort sehe ich, was ich sehe. Dort höre ich, was ich höre. Dort lese ich, was ich lese. Dort schreib ich das alles auf.

Dort bin ich auch über das schöne Wort Lakonie gestolpert. Gerade in dem Moment als ein Piccolo – Sagt man noch Piccolo? Darf man überhaupt noch Piccolo sagen? – also ein Lehrling mit einem vollen Tablett gestolpert ist. Rumms, lagen mehrere Eier im zerbrochenen Glas am Boden, Butterbrote auf der Butterseite und Melangen, die sich mit der hausgemachten Marillenmarmelade melangierten. Ein Stillleben, das nicht besser den Zustand der österreichischen Innenpolitik darstellen könnte.

Aber zurück nach Lakonien. Ich las nämlich weiter und weiter. Vor allem über den Aufstieg und den Fall von Sparta. Über die politische Kultur dieser Zeit. Über politische Systeme und wie sie sich gegenseitig ablösten. Ich lernte, dass das Verfassungskreislauf genannt wird. Demokratie, Autokratie, Monarchie und wieder zurück. Und, wie kann es anders sein, stolperte ich wieder über eines dieser drei Worte, nämlich Autokratie.

Ich las sicherheitshalber nach: „Als Autokratie wird eine Herrschaftsform bezeichnet, in der eine Einzelperson oder Personengruppe unkontrolliert politische Macht ausübt und sich keinen verfassungsmäßigen Beschränkungen unterwirft.“

Aber das wird Ihnen noch viel besser gefallen, selbst wenn Sie vor Corona Türkis gewählt haben: „Autokratie ist eine durch den Machtträger aus eigener Vollkommenheit legitimierte Herrschaft.“

Na, und das erst: „Der Autokratie wird zumeist die Demokratie als Ideal gegenübergestellt. Ein System, in dem mehrere unabhängige Machtträger an der Ausübung der politischen Macht beteiligt sind und sich wechselseitig kontrollieren.“ Ibiza-Untersuchungsausschuss … hahahaha, der ist gut!!

Der Auslöser dieses Verfassungskreislaufs ist immer Dekadenz, also der Verfall der politischen Sitten.

Und jetzt frage ich Sie, gibt es was interessanteres, als sich mit der österreichischen Innenpolitik zu beschäftigen?

Warum soll ich mich mit der Aushöhlung der Justiz, der Verhöhnung staatlicher Institutionen, der Missachtung des Parlaments, dem wiederholten Verfassungsbruch, der Korruption und den Allmachtsallüren in aller Herren Länder beschäftigen, wenn ich es aus der Loge 17 mit freiem Auge sehen kann?

„Österreich ist eine kleine Welt, in der die große Ihre Probe hält.“ (Hebbel)

Könnten Sie das bitte meinem Freund ausrichten.

Das nächste Mal schreibe ich dann endlich was Amüsantes und vielleicht sogar was wirklich Interessantes…

Ihr Harry Bergmann.


Harry Bergmann. Früher der Nachname von Demner, Merlicek & Bergmann. Jetzt einfach Bergmann. Weiß nach 4 Jahrzehnten ganz genau, was er alles über Werbung noch immer nicht weiß. Hobby-Schreiber. Da weiß er noch viel weniger und findet das gerade deshalb so spannend. Lebt in Wien und Herzlia/Israel.

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