Der Elefant und die rote Vespa

Loge 17 ist die Kolumne von Harry Bergmann. Endlich wird sein Babyelefant - oder Elefantenbaby? - vorgestellt, der ihn im Geiseldrama um Likes und Retweets unterstützt.

Harry Bergmann
am 01.07.2020

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Heute bin ich nicht allein.

Ich habe einen Babyelefanten – oder doch ein Elefantenbaby? – in der Loge 17 zu Gast.

Wenn Sie jetzt glauben, ich hätte den Verstand verloren, dann kann ich das mit absoluter Sicherheit verneinen. Den habe ich nämlich schon vor drei Monaten verloren. Da begann ich zu twittern. Die erste Social-Media-Arena, die ich im zarten Alter von – ich sage nur „an die“ – betreten habe. Ich sage Ihnen, ein emotionaler Roller Coaster der Sonderklasse! Ich hatte immer einen normalen Blutdruck und einen tollen Ruhepuls. Jetzt habe ich Bluthochdruck und weder Ruhe, noch Puls. Daran ist nur dieser Oarsch-Algorithmus – ich sag das halt mal so – schuld, der ganz genau weiß, wie man mich aufregt.

Der Babyelefant – oder das Elefantenbaby? – zu Besuch in der Loge 17.

Eines war schon nach wenigen Tagen und noch weniger Tweets klar. Kein Mensch wird mir jemals folgen. Aus Rache beschloss ich, auch niemandem zu folgen. Als erfahrene Twitterati haben Sie natürlich sofort den kleinen Denkfehler erkannt. Ich hingegen brauchte eine Weile, in der ich vereinsamt durch das Jammertal völliger Missachtung gewandert bin.

Dann beschloss ich – für den Anfang einmal – nur Journalisten zu folgen. Zweiter Denkfehler! Wenn man nicht zufällig den einen oder anderen persönlich kennt, wird man von denen völlig ignoriert. Vor allem von den Männern. Man ist ein Nichts! Weniger als Nichts! Luft! Schreibender Wurm! Bettvorleger!

Ich musste dringend auf mich aufmerksam machen. Da besann ich mich auf das, was ich am besten kann. Ich startete eine Kampagne, die meinen Bekanntheitsgrad drastisch erhöhen sollte. Von 1% auf 2%.

Ich schnappte mir meinen – okay, es ist nicht wirklich meiner, aber er war mehr als 30 Jahre unbeachtet im Kinderzimmer einer meiner Söhne herumgesessen – Babyelefanten, machte eine Fotoserie und ließ ihn über das Corona-Tagesgeschehen sinnieren. Und da gab es einiges zu sinnieren.

WOW! Ich hatte 100, 200, 300, 400, 500 Follower in nur wenigen Wochen. Das Geschäft lief blendend, und das nicht trotz Corona, sondern wegen Corona. Natürlich war ich bald mitten im Geiseldrama um Likes und Retweets und merkte nicht, wie mir langsam alle Relationen des Benehmens, der Korrektheit und der sprachlichen Mäßigung abhanden kamen.

Wenn ich heute so in der Loge 17 sitze und ins Narrenkastl schau, dann wird mir mehr und mehr klar, warum es gerade der Babyelefant sein musste.

Ich gestehe, ich war am Beginn des Lockdowns sehr ängstlich. Der 2-Meter-Abstand-Elefant (ich hatte freiwillig auf zwei Meter erhöht) war mein Beschützer gegen den unsichtbaren Feind – das Virus – aber auch gegen den sichtbaren Feind, nämlich jeden, der mir zu nahe kam.

Conny Bischofberger hat in einer Kolumne diesen Zustand, der irgendwo in der Mitte zwischen Vorsicht und Ängstlichkeit liegt, „mulmig“ genannt.

Das war im März. Jetzt schreiben wir schon Ende Juni. Die Corona-Kurven sind flach wie die Niederlande. Die ZIB 1 muss ihre Zuseher nicht mehr täglich sedieren. Wir vergessen sogar langsam wieder die Namen der Virologen, die ein fixer Bestandteil unserer Familie geworden waren … aber mir ist schon wieder mulmig.

Ich gehöre damit einer kleinen Minderheit an. Da ich schon mein ganzes Leben einer Minderheit angehöre, macht mir das nichts aus. Aber muss diese übertriebene Lockerheit, dieses hysterisch Unbeschwerte der großen, lauten Mehrheit wirklich sein?

Wenn ich nicht die Hand gebe, wenn ich nicht umarme, wenn ich niemanden abbussl, wenn ich größere Menschenansammlungen meide, wenn ich nicht mit dem Taxi fahre, wenn ich mir manchmal sogar die Maske anziehe, muss man mich dann wirklich so herablassend-spöttisch ansehen, als hätte ich mich gerade als Einziger im Club Mediterranée geweigert, beim lustigen Bogenschießen-Turnier mitzumachen?

Ja, ich halte eine große 2. Welle für nicht ausgeschlossen, und wenn sich nicht bald alle am Riemen reißen, sogar für ziemlich wahrscheinlich.

Irgendwie hat mich das Wort mulmig nicht losgelassen. Ich schaute nach und lernte, dass mulmig auch für faulig und morsch steht. Und schon waren meine Gedanken wieder dort, wo ich sie – zumindest für diese Kolumne – nicht haben wollte: bei der leidigen Innenpolitik. Wenn die nicht faulig und morsch ist, dann weiß ich wirklich nicht. Und der Virus ist auch drin: der Allmachtsvirus.

Was glauben die denn, wer sie sind? Diese Westentaschen- Machiavellis, diese Partie von Mitdreißigern , die einen echten Spaß daran haben uns alle vorzuführen. (Sagte ich schon, dass Twitter einen unseligen Einfluss auf mich hat?)

Wenn die jungen Herren in einem parlamentarischen Ausschuss die Antworten verweigern und frech wie Oskar sind, dann verweigern sie UNS ALLEN die Antwort. Und sie zeigen ihre Verachtung der Gesellschaft – ja sogar ihren eigenen Wählern – gegenüber.

Und da soll einem nicht mulmig sein.

Sie fragen sich jetzt vielleicht, wie ich die Kurve zur roten Vespa kriege.

Gar nicht!

Als ich vor ein paar Tagen ins „Büro“ ging, stand unmittelbar vor dem Eingang eine tolle rote Vespa. Dieser Anblick versöhnte mich wieder mit der Welt. Weg war die Mulmigkeit und löste sich in ein sommerliches dolce fa niente auf.

Das nächste Mal schreibe ich dann, was ich Ihnen beim letzten Mal versprochen habe: über die geopolitische Bedeutung der Loge 17 oder über Biden, der unbedingt vor Trump einen Termin in meinem „Büro“ haben möchte oder über etwas wirklich Interessantes.

Ihr Harry Bergmann

***

Harry Bergmann. Früher der Nachname von Demner, Merlicek & Bergmann. Jetzt einfach Bergmann. Weiß nach 4 Jahrzehnten ganz genau, was er alles über Werbung noch immer nicht weiß. Hobby-Schreiber. Da weiß er noch viel weniger und findet das gerade deshalb so spannend. Lebt in Wien und Herzlia/Israel.

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