Das heilige Essen am Abend

FLORIAN HOLZER | 24.12.2016

Bei unseren Nachbarn gab’s immer Brötchen mit Lachsersatz und Kaviarersatz. Wir hatten immer viel Besseres, Aufwändigeres, Tolleres, aber erinnern kann ich mich trotzdem an die Lachsersatzbrötchen der Nachbarn. Nicht zuletzt, weil sie die immer hatten. Und das ist wohl der ursprüngliche und eigentliche Reiz des Weihnachtsessens – je länger die Tradition fortgeführt wird, desto besser ist sie.

Und sei es Würstel. Ur viele Leute essen zu Weihnachten nämlich Würstel, der Lappe ohne R. zum Beispiel, oder Petra H. oder Nina M., weil es bei den Schwiegereltern seit drei Generationen so gemacht wird. Oder kehren heuer zum Würstel zurück (okay, ob das viele machen, weiß ich nicht, aber zumindest Sebastian F. macht das). Mit Sauerkraut oder als Suppe, weil der 24. Irgendwie ja eigentlich noch Fasttag sei, meinen die einen, weil sie bis Mittag hart arbeiten müssen und am Abend dann für nichts anderes mehr Luft hätten, die anderen.

Kalte Platte und Aufschnitt stehen in meiner nicht repräsentativen (aber erstaunlich hochgradig beantworteten) Facebook-Umfrage auch ganz hoch im Kurs, weil der Aufwand gering sei und man eh schon genug Stress habe, heißt es da dann meistens, oder weil man gerade zu Weihnachten mal nicht kochen will. Und außerdem: Wann sollte man sonst die „Purzelwurst“ essen, diese hell-dunkel gemusterte Extrawurst, ja, die gibt es auch mit einem Tannenbaum-Motiv. Bei Katha S. steht die heuer sogar wirklich auf der Agenda, toll. „Kalte Platte“ gab es bei uns übrigens auch recht häufig, also zumindest in der Phase, als ich mit Freunden weihnachtliches open house machte und ich weder eine Ahnung hatte, wie viele kommen würden, noch genügend Geschirr für die, die dann tatsächlich kamen. Die war dann komischerweise immer eher schwedisch gehalten, also mit Dill-Sill, Gravad Lachs und Selleriesalat. Warum eigentlich schwedisch? Keine Ahnung, vielleicht weil der Weihnachtsmann vom Norden kommt …

Und dann natürlich gebratener Vogel. Martina R. gibt an, heuer gefülltes Brathuhn mit Apfel und Speck, mit Cidre angegossen zu machen, dazu handgeschnitztes Rotkraut und Erdäpfelpüree mit Erdnussbutter. Alle Achtung. Bei Rotraut Sch. wiederum ist es heuer gefülltes Orangenhuhn mit Safran-Berberitzen-Risotto, weil sie unbedingt was beinahe Persisches wollte, sagt sie, weil Huhn in allen Varianten immer schon Tradition sei, sagt Martina R. Ich hatte die vergangenen zwei Jahre auch Huhn zu Heilig Abend, „Natur-Kapaun“ vom letzten Sulmtaler-Züchter in Fantsch bei St. Andrä-Höch, ein fantastisches, riesiges, köstliches Tier, für das ich mir extra einen Römertopf besorgte, der seither irgendwo steht. Weihnachtsgans gibt es am 25. bei Martina M., dennoch scheint der Beratvogel – nachdem das Martinigansl mittlerweile ja recht exzessiv gefeiert wird – nicht mehr ganz vorne zu liegen (okay, Gareth S. ist da die Regel bestätigende Ausnahme, der hat sowohl Gans als auch Ente und Honigschinken auch noch …).

Fondue wurde immerhin dreimal genannt, bei Mariella S, Klara K. und Robert S., weil es leicht vorzubereiten sei und im übrigen immer schon so war.

Und dann natürlich der Karpfen. Der ist ein besonders interessanter Fall, weil dieser großartige Fisch ja fast überhaupt nur mehr zu Weihnachten gegessen wird. Da dann mit allen Schikanen, also lebendig mit nach Hause, in der Badewanne und selber killen (eher selten), oder zumindest vor den Augen am Markt töten lassen (für Kinder auch traumatisch genug). Der Karpfen ist wahrscheinlich das absurdeste Weihnachtsessen überhaupt. Keine Ahnung, ob der (mittlerweile längst nicht mehr fette, längst nicht mehr nach Schlamm schmeckende/“lettelnde“) Fisch irgendwem wirklich schmeckt, aber man isst ihn halt – wegen der Tradition. „Und weil es ihn sonst nie gibt und es an diesem Abend nichts anderes geben kann“, meint der stadtbekannte Gourmet Alexander R. Was das Weihnachtsessen-Phänomen ziemlich genau beschreibt.

Was es bei mir heuer gibt? Ich weiß es noch nicht genau. Gratinierte Austern und Erdäpfel mit Rahm und Saiblingskaviar sehr wahrscheinlich, ein kleines Wildgulasch wahrscheinlich auch und dann einen schönen Fisch, mal sehen, was ich bekomme. Ungefähr das, was ich eh jedes Jahr mache (wenn ich keinen Kapaun habe …). Weil es immer schon so war.