Meinrad Neunkirchner ist tot

FLORIAN HOLZER | 23.05.2016

Meinrad Neunkirchner war einer der großartigsten Köche, die es in Österreich je gegeben hat. Dieser Satz trifft die Komplexität seines Schaffens natürlich nicht einmal auch nur annähernd, aber so sollte man einen persönlichen Nachruf dennoch beginnen, finde ich. Und Meinrad Neunkirchner war nicht nur einer der großartigsten Köche, die es in Österreich je gegeben hat, er war auch ein herzensguter Mensch, einer, der half, wo er helfen konnte, einer, der Geschichten erzählen konnte, bei denen es schwer war mitzuschreiben, weil man lieber einfach nur zuhörte.

Neunkirchner hatte in den 70er- und 80er-Jahren die ganz großen Stationen absolviert, Witzigmann in der Aubergine, Troisgros, Marc Meneau, Marchesi. Ich hörte zum ersten Mal von ihm, als ich 1989 das „Wien, wie es isst“ übernahm und mir mein Vorgänger Andi Oberndorfer von einem Lokal namens Fuchsenloch in Ottakring erzählte, in dem ein junger Koch dermaßen Gas gab, dass man’s gar nicht glauben wollte. Konnte ich mir mit 22 allerdings nicht leisten, auch als Meinrad Neunkirchner dann bald ins „Vincent“ wechselte und dort bis auf drei Hauben kochte, war das nicht so meine Liga.

Dass eine grandiose Ausbildung und die Fähigkeit, Weltklasse zu kochen, aber nichts mit Abgehobenheit und Arroganz zu tun haben muss, durfte ich dann aber später erfahren. Ich weiß nicht mehr, wann ich den Meinrad so richtig kennen lernte, wahrscheinlich anlässlich eines Interviews zum Thema „Wildkräuter“ war, das ich im damaligen Restaurant „Academie“ irgendwann in den 90ern mit ihm führte. Und da erzählte er dann davon, dass er in seiner Jugend die alten Kräuter-Rezepturen der französischen Mönche gelesen hatte und versuchte, in einen Orden aufgenommen zu werden – um kochen zu lernen. Sein Plan wurde aber durchschaut, die Mönche teilten ihre Geheimnisse nicht mit ihm. Egal, er experimentierte fortan mit Wurzeln, Kräutern, Siruppen, erwähnte Unkraut mit Namen „Fette Henne“, Giersch, Vogelmiere und Spitzwegerich, machte aus Sauerampfer Spinat, aus Huflattich Honig, aus Vogelmiere eine grüne Sauce zum weißen Fisch und aus Klettenwurzeln ein Gemüse. Und so grandios das alles war, das Grandioseste war, ihm dabei zuzuhören, wenn er erzählte, wie er es machte, wie er auf die Idee kam, woher er dieses oder jenes Kräutl beziehe, wie die ersten Fehlschläge aussahen und was er daraus lernte … Da funkelten seine Augen und sein sympathischer, runder Körper bebte und man war da ganz drinnen in dieser Kräutersache …

Der Meinrad war einer der großartigsten Köche, die es in Österreich je gegeben hat und einer der begeistertsten Menschen, die ich je getroffen habe. Und er war sich nie zu gut, auch an ganz normalen Orten für ganz normale Leute zu kochen. Einige Jahre in Stockerau beim Rathauswirt, zum Beispiel, als sich die Gourmet-Sache in Wien für ihn nicht mehr so ausging; oder in einem dubiosen Gürtelbögen-Szene-Lokal namens „Buddha Bar“; oder im Ofenloch in der Kurrentgasse. Am tollsten fand ich ihn in der Spillerner Gastwirtschaft vor zehn Jahren. Dort hatte der junge Bier-Unternehmer Michael Harmer ein familiäres Industrie-Anwesen zur Kleinbrauerei mit edler Wirtshausküche gemacht und der Meinrad Neunkircher fuhr da ein Essen aus, wie man es in einem österreichischen Wirtshaus bis dahin nicht so wirklich gehabt hatte. Mit Sonntagsbraten und Salaten und Mostbratl aus dem Wagen und immer wieder seinen wilden Gemüsen und Kräutern und das war alles so wahnsinnig gut. Und es machte ihm riesigen Spaß, hatte ich den Eindruck.

Er wollte aber halt nie nur an einem Ort sein, der Meinrad. Wollte seit seinem Bruch mit der Gourmet-Küche nie nur Küchenchef sein, weshalb er auch Foodstyling machte, Restaurantkonzepte und noch so allerhand. Eine Unabhängigkeit, die für seine Arbeitgeber, die ihn eigentlich als Küchenchef engagierten, nicht immer leicht war. Das änderte sich dann wieder im Freyenstein, einem renovierten Gasthaus in Gersthof, wo er im Herbst 2008 anfing. Anfing mit einer Küche, die so gut und so begeisternd und so günstig war, dass man jeden Besuch dort als Geschenk empfand. Zwölf Gänge um (damals) knapp 30 Euro, als ein Menü mit Kleinportionen serviert, das man sich nicht aussuchen konnte. Jedem Vollidioten, der herumstänkerte, dass in Wien fad und teuer gekocht werde, konnte man das Freyenstein vor die ignorante Fresse halten.

Vorigen Herbst zog sich Meinrad Neunkirchner aus gesundheitlichen Gründen aus dem Freyenstein zurück, übergab an seinen Sous-Chef, konzipierte im Frühling noch die neo-südtiroler Karte des „Alto“ in Neuwaldegg. In der Nacht von 21. Auf den 22.5. verstarb er im 54. Lebensjahr. Ich habe seine Küche geliebt, ich hab ihn als Mensch unendlich geschätzt, er wird mir sehr fehlen.