Die Rohen, die Orangen, die Natürlichen

FLORIAN HOLZER | 19.06.2014

Mein Gott, was haben wir gelacht. Als die ersten Weinbauern Kuhhörner mit Kuhscheiße füllten, sie an irgendwelchen Mondtagen an irgendwelchen Stellen ihres Weingartens eingruben, sie ein Jahr später wieder rausholten und Tee daraus kochten, den sie in ihrem Weingarten versprühten. Es tat im Bauch schon so weh vor lauter Lachen. Und als sie dann damit begannen, ganze Trauben samt Stängel in im Boden vergrabene Groß-Amphoren zu werfen und ein Jahr später nachzuschauen, ob zufällig Wein draus geworden sei. Oder doch eher Essig. Tock, tock, tock. Und als sie dann begannen, auch keinen Schwefel mehr zu verwenden, ihre Weine bitter, oxidiert und verdorben abfüllten, konnten wir sie noch ohne gröbere Bedenken als Spinner abtun.

Die wurden dann aber immer mehr, diese Spinner. Und immer arrivierte, prominente Weinbauern schlossen sich den Spinnern an, bald gab es kaum mehr einen, der nicht schon mindestens eine Amphore im Garten vergraben hatte und in gar nicht wenigen Restaurants wurden diese seltsamen Weine, die so gar nichts mit den Weinen, wie sie bisher waren, zu tun hatten, sogar enthusiastisch ausgeschenkt. Manche erstellten sogar eigene Weinkarten, wo nur so verdorbenes Zeug draufstand, das schmeichelnd als „Orange Wine“ tituliert wurde.

Sind jetzt in der Weinwelt also alle deppert geworden? Nein, im Gegenteil. Klar ist in den vergangenen zehn Jahren nicht jedes Experiment jedes Winzers gut gegangen, aber das war bisher ja wohl immer so (wenn wir uns etwa an die Barrique-Phase erinnern …). Und dass immer mehr Winzer biologisch arbeiten, oder sogar biodynamisch (was zweifellos ein paar esoterisch angehauchte Aspekte hat, aber so what), kann wohl auch kein Fehler sein. Und dass sich jemand, der sich über Jahre ununterbrochen mit der Gesundung des Bodens, Vervielfältigung der Fauna und Flora in und auf der Erde seiner Weingärten beschäftigt, dann versucht, das Wesen dieses gesundenden Bodens auch in den Wein zu bekommen, liegt auch irgendwie auf der Hand.

Soll heißen: Die so genannten „natural wines“, also Weine, bei denen ohne oder mit nur minimalen Dosen von Schwefel gearbeitet wird, bei denen keine Reinzuchthefen, keine Enzyme, keine Nährsalze mehr reinkommen (was im konventionellen Weinbau noch völlig normal ist), deren Trauben aus gesunden, lebendigen, unvergifteten Weingärten kommen (die oft ein bisschen unordentlicher aussehen), bei deren Weinwerdung einfach mit viel Zeit und viel Vertrauen gearbeitet wird, werden immer mehr.

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Vor vier Tagen, am vorletzten Tag der Weinmesse VieVinum, präsentierten sie sich sogar auf einer eigenem Messe, der RAW (www.vienna.rawfair.com) im Palais Pallavicini, einem Ableger der Londoner RAW (www.rawfair.com), die dort in den vergangenen zwei Jahren zum internationalen Treffpunkt all dieser „Natur-Winzer“ geworden ist, wo Erfahrungen ausgetauscht wurden und Fachleute oder Journalisten schnuppern konnten, was in den kommenden Jahren wohl so Trend werden würde.

Die Messe war offenbar ein ziemlicher Erfolg, der stattliche Eintrittspreis von € 35,– hielt hunderte Besucher nicht davon ab, die Weine von 85 „rohen“ Weingütern zu verkosten, von denen viele bei der offiziellen Prüfnummer-Verkostung in Klosterneuburg wohl durchfallen würden. „Natural“ ist offenbar in der Mitte der Weingesellschaft angekommen. Und mittlerweile lacht eigentlich niemand mehr.