Ochs im Glas, Teil 3: Wir schlachten Carson

FLORIAN HOLZER | 30.05.2014

Wahrscheinlich klingt das alles für Fleischhauerei-Bedienstete und berufsmäßige Schlachter, die jeden Tag all die tausenden Tiere töten, die in weiterer Folge unsere Schnitzel, unsere Surbraten, unsere Leberkäse, unsere Knackwürste, unsere abgehangenen Filetsteaks oder unser Pizzabelag werden, völlig lächerlich. Aber für uns war es das nicht. Es ging darum, das Tier, das wir in den nächsten drei Wochen verkochen wollten, umzubringen. Es ging gewissermaßen darum, den Eid einzulösen, von dem wir seit Jahren hochmoralisch sprechen, nämlich dass man, wenn man Fleisch essen will, eigentlich auch die Eier haben sollte, das Tier selber umzubringen. Und ihm dabei in die Augen zu schauen.

Ich will das jetzt gar nicht übermäßig mit Pathos aufladen, kann ich auch gar nicht, denn einerseits hatten wir ja ein Filmteam mit drei Kameras, einem Ton-Mann, zwei Assistenten und zwei Regisseuren dabei, was stressig war und der Situation damit ein wenig seiner mystischen Dramatik nahm. Und andererseits sorgten wir natürlich dafür, dass den entscheidenden Schuss jemand setzte, der das kann. Der seine Tiere liebt, aber dennoch ihr Schicksal kennt, letztlich ihr Schicksal ist. Jemand, der seit Jahrzehnten Erfahrung hat, tausende Tiere schlachtete, es kurz und schmerzlos macht.

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Heinz machte es kurz und schmerz- und stresslos. Das Bild des zusammenbrechenden Ochsen, in dessen Augen so etwas wie ein ratloses Erstaunen zu sehen war, werde ich trotzdem nie vergessen. In dem Moment war ich mir nicht sicher, ob das Projekt wirklich eine gute Idee war, in den Moment wusste ich nicht, ob ich das Recht habe, eine Tötung anzuordnen, um eine Dokumentation darüber zu drehen. Aber in diesem Moment waren diese Zweifel halt definitiv zu spät. Es war der Augenblick, in dem ich zu Fleisch, das ich in Zukunft essen werde, eine andere Beziehung bekam.

Carson war tot und nun tickte die Uhr. Tötung im Morgengrauen, spätestens eine Stunde nachher muss die Zerlegung passieren, sonst bläht sich der Pansen so stark auf, dass man anders schneiden muss, und das sei nicht so gut, meinte Heinz. Nicht die beste Voraussetzung, wenn man’s mit drei Anfängern und einem Filmteam zu tun hat.

Aber wir blieben zeitlich im grünen Bereich. Der tote Ochs wurde auf den Rücken auf eine Art Wagen gelegt, Heinz trennte die Füße und den Kopf des Tieres ab, mit einem scharfen Messer, konzentriert, sicher und in einer Art und Weise, die mir – so seltsam das jetzt auch klingen mag – nicht grausam vorkam. Er setzte den ersten Schnitt. In der Mitte über Brust und Bauch bis nach hinten. Nur ganz dünn, bis in die Fettschicht. Von da an mussten wir. Das Fell runter schneiden, immer zwischen Haut und dem noch warmen Körper. Irgendwie erschreckend, wie schnell die Empathie schwand und man nur mehr versucht, es einfach so gut wie möglich zu machen.

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Pansen und Darm rauszunehmen, war nicht leicht. Man verknotet dazu die Speiseröhre, kann ich mich erinnern, muss ziehen und zerren, um den sich blähenden Haupt-Magen rauszubekommen, und der Geruch, der dann austritt, ist schwer auszuhalten, ohne dass es einen reckt. Irgendwann sägte ich ein Brustbein, aber die Details verschwinden, muss ich feststellen, lief scheinbar doch nicht ganz ohne Schock ab. Die Innereien birgt man jedenfalls Stück für Stück und hängt sie auf einen so genannten „Christbaum“, ein Gestell mit etwa 32 Haken, vier in jede Richtung.

Irgendwann hängt das geschlachtete Tier dann jedenfalls verkehrt und geöffnet an zwei Haken mitten im Raum. Spätestens in diesem Moment war es für mich nicht mehr der friedlich weidende Angus-Galloway-Ochse namens Carson, sondern Fleisch. Ich schäme mich irgendwie ein bisschen dafür, aber ich kann sagen: Es war eine wichtige Erfahrung.