Mein offener Brief an die weißen Seiten.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 1004

Armin Thurnher
am 04.05.2023

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Ich könnte die Gelegenheit beim Schopf ergreifen und diese Seite weiß lassen, in Imitation des Königseinfalls der österreichischen Medienkünstler und -künstlerinnen von Eva Dichand bis Eugen A. Russ, die mit dieser Intervention gestern auf den Tag der Pressefreiheit aufmerksam machten. In Wahrheit machten sie auf sich selber aufmerksam, denn, wie sie unter dem Titel „Demokratie braucht Meinungsvielfalt“ sagten, setzten sie mit diesem Brief an die Bundesregierung und die Abgeordneten zum Nationalrat „ein gemeinsames Zeichen gegen den drohenden Verlust der Medienvielfalt aufgrund der ORF-Reform.“

Gemeinsamkeit ist fast immer zu begrüßen, vor allem, wenn sie sich der Verteidigung der Vielfalt verschreibt. Gemeinsam gegeneinander, das ist die edelste aller Parolen, der ich auch ich gerne folge. Den Brief hätte ich, wäre ich gefragt worden, also nie unterschrieben, und ich bin froh, dass es auch keiner meiner Partner tat. Des weiteren freue ich mich, dass nicht alle Verleger und Verlegerinnen eingeladen wurden, so fehlen etwa die Fellners oder die Schützens, was dem offenen Brief doch etwas mehr Schwimmfähigkeit verleiht. Allerdings erblicke ich auf dem Papier die Unterschrift des Geschäftsführers der weiland Wiener Zeitung, der nun wirklich kein Verleger ist, wie immer das formalrechtlich aussieht. Herausgeberin und einzige Gesellschafterin der Wiener Zeitung ist die Republik Österreich, 1014 Wien, Ballhausplatz 2 , welche, angestiftet von ebendiesem unterschriftsfreudigen Geschäftsführer, soeben eine Weglegung von monumentaler Besinnungslosigkeit vorgenommen hat. Wie ein Bleigewicht lässt die Unterschrift dieses geschäftsverführten Geschäftsführers den Brief der unverlegenen Verleger nach unten sinken.


Das Motiv der Interventionskünstler besteht laut deren Angaben darin, „rund um die ORF-Reform einem drohenden Meinungsmonopol entgegenzuwirken.“ Die Regierung möge das ORF-Gesetz überarbeiten und „durch einen fairen Interessenausgleich die Medien- und Meinungsvielfalt in Österreich absichern.“ Begründung: es drohe ein „Meinungsmonopl des ORF“. Das ist Unsinn. Das wahre Problem des ORF wird dann in einzelnen Kommentaren von Zeitungen zum Brief angesprochen, die von Chefredakteuren verfasst wurden: der parteipolitische Zugriff auf den ORF muss aufhören, ohne dass die Republik die Kontrolle über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verliert. Ein schwieriges, aber keineswegs unmögliches Unterfangen. Die Machtbesessenheit der ÖVP, die darin jene der ihr vorangegangenen SPÖ noch radikalisiert, mündet in die Machtvergessenheit der FPÖ, die das alles auf die Spitze treiben wird, wenn sie den ORF im Griff hat, den sie ruinieren möchte, solange sie ihn nicht im Griff hat. Dann aber ist es zu spät.


Den unverlegenen Briefstellerinnen aber geht es um etwas anderes. Nicht um Meinungsvielfalt geht es ihnen, diese ist ja kein Wert, solange sie aus einer Vielfalt von Gleichem besteht. Ihnen geht es ums eigene Gerschtl. Hohe Worte wie „Integration“ und „Teilhabe“ fallen da, aber zugleich kümmern sich die Verleger keineswegs um Meinungsfreiheit oder Pressefreiheit. Sie desintegrieren kalt lächeld die Blauen Seiten von orf.at, weil „zu zeitungsähnlich“, und verweigern die Teilhabe an wirklicher Solidarität mit der Wiener Zeitung. Wären sie tatsächlich an Pressefreiheit interessiert, müssten sie nämlich fordern, dass die Kommunikation einer Gesellschaft fair und öffentlich transparent abläuft. Sie müssten zugeben, dass ihr Feind nicht der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist. Dass sie nicht pauschal Wettbewerbsgleichheit zu fordern brauchen, sondern sagen müssten, was mit wem im Wettbewerb steht: die Wahrheit mit der Desinformation, die aufgeklärte transparente Kommunikation mit der werbeverzerrten algorithmisch gesteuerten. Sie müssten darauf bestehen, dass es zur Herstellung einer fairen kommunikativen gesellschaftlichen Struktur eines funktionierenden öffentlich-rechtlichen Rundfunks bedarf. Dass eine öffentlich-rechtliche Wiener Zeitung dabei nicht schaden könnte. Und dass eine Medienförderung nicht darauf abstellen darf, die Wettbewerbsgleichheit für Taschenfüllerinnen herzustellen, sondern zum Ziel haben sollte, gesellschaftlich faire Kommunikation transparent zu definieren und dann zu fördern, wo sie stattfindet. Das schlösse einige der Unterzeichneten mit ein, andere aber eher aus. Und sie müssten fordern, dass eine solche Medienförderung selbstverständlich transparent abläuft, weit aufgestockt über die bestehende, während die intransparente Medienförderung durch Inserate zurückgefahren gehört. Die weiße Titelseite ist also kein Dokument der Aufklärung. Sie ist ein weißes Fähnchen im Wind der Interessensvernebelung.


Im Übrigen bin ich der Meinung, man muss die Wiener Zeitung vor der Regierung retten.


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Was wir aus der Pandemie gelernt haben könnten: Distanz kann nicht schaden, halten Sie Ihre Impfungen up to date, Händewaschen ist nie falsch, benützen Sie Masken, wenn es sich empfiehlt, und bleiben Sie rücksichtsvoll. Ihr Armin Thurnher

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