Dunkle Aufklärung. Über Peter Thiel, den Chef von Sebastian Kurz

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 1003

Armin Thurnher
am 03.05.2023

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Peter Thiel 2022, Foto: Gage Skidmore, Wikipedia

Ein Aufsatz von Marco d’Eramo in Sidecar, dem Newsletter der New Left Review, bringt einige interessante Notizen zu Peter Thiel, dem Arbeitgeber von Sebastian Kurz. Zum Beispiel die, dass Thiel bei Crédit Suisse anfing, ehe er mit Elon Musk Pay Pal gründete. Kann sein, dass ich es überlesen hatte. Eine boshafte Anmerkung d’Eramo betrifft Thiels Status als Finanzgenie. Er hatte zwar die Weitsicht, Mark Zuckerberg zu finanzieren, als dieser Facebook gründete, und investierte 500.000 Dollar in 10,2 Prozent der Facebook-Aktien, was ihm eine Milliarde Dollar brachte.

Jedoch: „Hätte Thiel sich jedoch an der Rekapitalisierung von Facebook beteiligt, anstatt seinen Anteil zu realisieren, würde er jetzt rund 60 Milliarden Dollar besitzen. Dies ist nicht sein einziger Fehler gewesen. Im Jahr 2004 weigerte er sich, in Tesla und YouTube zu investieren (beide von ehemaligen Mitgliedern der PayPal-Mafia gegründet). Als Musk 2006 Mittel für die Entwicklung der Elektroautos von Tesla benötigte, lehnte Thiel das Angebot ab – eine kostspielige Entscheidung, da die Kapitalisierung 2010 die 2-Milliarden-Dollar-Grenze überschritt und 2021 einen Höchststand von 1.061 Milliarden Dollar erreichte, was einem Wachstum von 50.000% entspricht (bis April 2023 war dieser Wert auf 584 Milliarden Dollar gesunken, was aber immer noch einen Anstieg von fast 30.000% bedeutet). Musk führte Thiels Weigerung auf ideologische Gründe zurück: ,Er glaubt nicht so recht an die Sache mit dem Klimawandel’“.

Solche Erfolge stehen Thiels Schützling Kurz noch bevor; wir warten auf die Früchte seiner vielversprechenden Investments in Pflege und Überwachung. Dieses zweite dürfte jedenfalls durch Thiels Firma Palantir inspiriert sein, in der auch die ehemalige SPÖ-Geschäftsführerin Laura Rudas arbeitet. Palantir operiert wie Musks Firma Starlink, eine Tochter von SpaceX, im Ukraine-Krieg, der durchaus als Public-Private Enterprise verstanden werden muss (auf beiden Seiten, wenn wir an die Söldnertruppe von Jewgeni Prigoschin denken).

Geht es schief, kann Kurz sich an seinem Mentor orientieren: „Typisch für Thiel ist, dass er sich und seine Verbündeten oft als Opfer darstellt.“

D’Eramo befasst sich wie alle Thiel-Exegeten mit dessen Gedankenwelt. Die Demokratie und der Fortschritt leiden in Thiels Augen darunter, dass sie auf die Frauen und die Armen ausgeweitet wurden; daher ihr Verfall und ihre angebliche Innovationsschwäche. Die Lösung besteht in einer monopolbegünstigenden Monarchie, da in Thiels Worten „Kapitalismus und Wettbewerb eigentlich Gegensätze sind“. Hier ortet d’Eramo Thiels grundlegenden Widerspruch: „Wie kann sich jemand als Libertärer bezeichnen und gleichzeitig die absolute Monarchie unterstützen? Von wessen Freiheit spricht er? Wie viele Monopole kann die Welt verkraften? Freiheit für einige wenige, Sklaverei für die große Mehrheit, das ist das Ziel.“

Es sei weniger Nietzsche, dem Thiel hier folgt, als vielmehr der Autor des Buches „Der Einzige und sein Eigentum“, Max Stirner, lautet ein interessanter Hinweis d’Eramos: „Auch für Stirner ist die freie Konkurrenz eine Einschränkung der Freiheit, da sie nur durch einen Staat gewährleistet werden kann, der die Knechtschaft erzeugt. Wie kann man gegen die Tyrannei des Staates und für die absolute Monarchie sein: die despotischste, aufdringlichste und willkürlichste Art von Staat? Die Antwort ist Stirners Vorstellung von der absoluten Instrumentalität jeder Position. Der Einzigartige kann sagen, was er will, wenn es ihm nützlich ist. Man hat Thiel Inkonsequenz und Selbstwiderspruch vorgeworfen, aber er setzt diese stirnersche Strategie lediglich in die Praxis um.“

Der Widerspruch zwischen libertärem Anspruch und Befürwortung der Monarchie löst sich auf, wenn man ihn als jenen zynischen Egoismus betrachtet, der er ist. Prinzipienlos folgt er dem einzigen Prinzip des eigenen Vorteils. Thiel, „dieser libertäre Verfechter der absoluten Monarchie, hat auch keine Skrupel, mit Massenüberwachung Geld zu verdienen. Im Jahr 2003 gründete er das Unternehmen Palantir, das sich auf Big-Data-Analysen spezialisiert hat und sofort vom Investmentfonds der CIA, In-Q-Tel, finanziert wurde. Ein Widerspruch? In seinem Buch The Straussian Moment schrieb Thiel kurz nach der Gründung von Palantir: ,Anstelle der Vereinten Nationen, die mit endlosen und ergebnislosen parlamentarischen Debatten gefüllt sind, die an von Idioten erzählte Shakespeare-Märchen erinnern, sollten wir Echelon, die geheime Koordination der Geheimdienste der Welt, als den entscheidenden Weg zu einer wahrhaft globalen Pax Americana betrachten.“ Echelon, fügt d’Eramo hinzu, „ist der intrusivste planetarische Überwachungsmechanismus, der in der Geschichte der Menschheit je entwickelt wurde.“

Die Widersprüche Thiels sind die Widersprüche einer neuen Herrenklasse, deren Eigenschaften sich unsere Herrchen und Dämchen von der türkisen Herrschaftsblase, neuerdings versammelt im ÖAMTC-Haus, durchaus mimetisch anschmiegen. D’Eramo schließt: „Die Verachtung, die Thiel gegenüber dem Rest der Menschheit hegt, muss fast genauso groß sein wie die, die er gegenüber dem weiblichen Geschlecht zu hegen scheint, wenn er glaubt, dass wir Sklaven so masochistisch veranlagt sind, dass wir bereit sind, seine Moral zu akzeptieren. Sollte ihm das gelingen, wäre er der erste politische Aktivist, der sein Publikum nicht durch ein bestimmtes Versprechen, sondern durch die Garantie der Hölle als der einzigen Zukunft, die wir – die Herde – verdienen, für sich gewinnt. Der Name, der für diese neue Erscheinungsform des globalen Kapitalismus geprägt wurde, ist wirklich angemessen: die dunkle Aufklärung. Das Ausschalten der Lichter ist in der Tat das unvermeidliche Ergebnis.“

Das lässt mutatis mutandis auch unseren gewesenen Prinzen des Lichts und des neuen politischen Stils, der absolut weißen Weste und der überragenden rhetorischen Begabung als das erscheinen, was er ist: eine Erscheinung der neuen Gegenreformation. Einen Mann des österreichischen Neobarock.


Im Übrigen bin ich der Meinung, man muss die Wiener Zeitung vor der Regierung retten.


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Was wir aus der Pandemie gelernt haben könnten: Distanz kann nicht schaden, halten Sie Ihre Impfungen up to date, Händewaschen ist nie falsch, benützen Sie Masken, wenn es sich empfiehlt, und bleiben Sie rücksichtsvoll. Ihr Armin Thurnher

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