Bahnfahrt zu Bach. Spaß mit Chaos.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 1001

Armin Thurnher
am 29.04.2023

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Gestern reiste ich mit der Bahn. Von Retz nach Leipzig. Die Reise hatte eine Vorgeschichte. Ich buchte online, was gut gelang, mit Ausnahme der Platzreservierung auf der Strecke von Meidling nach Erfurt. Erfurt – Leipzig funktionierte klaglos. Ich rief das Bahnservice an, eine halbe Stunde Wartezeit entlohnte mich reichlich für das, was ich dann zu hören bekam: Intercity Express 92 nach Hamburg-Altona, fragte der freundliche Herr am Service-Telefon. Ich bejahte. Tja, sagte er, da kann ich auch nichts buchen. Vielleicht versuchen Sie es bei der Deutschen Bahn. Darauf verzichtete ich und dankte.


Kaum hatte ich den Zug in Retz bestiegen, ausnahmsweise einen mit WLAN, teilt man mir mit, wegen einer Gleisreparatur in Floridsdorf werde der Zug umgeleitet. Wo die Frau, die mich in Retz ängstlich fragte, ob der Zug in Traisengasse halte, was ich voreilig bejaht hatte, geblieben war, konnte ich nicht sehen. Verspätung: 15 Minuten.


Nichts passiert, in Meidling erreichen wir den Anschluss mühelos. Allerdings kam in letzter Sekunde die Durchsage, der Zug lange nicht auf Bahnsteig 5 ein, sondern auf Bahnsteig 6; ein paar ältere Menschen überhörten es. Ich war der Älteste, der es hörte. Ich liebe Durchsagen, die erklingen, während auf dem Nebengeleis ein lärmender Frachtzug durchrauscht.

Der Wagenstandanzeiger stimmte.

Ich, ohne Reservierung, bekam einen Sitzplatz, auf dem stand „gef. Freigeben“. Das heißt ich bekam ihn nicht, ich nahm ihn mir. Bei Wels eine Fliegerbombe. Zug hält in Sankt Valentin, noch einmal lange in Linz. Eine Stunde Verspätung, Anschluss in Erfurt garantiert verpasst. Die einzige Reservierung, die geklappt hatte, war Makulatur.


In Passau Durchsage: wer keinen Sitzplatz hat, kann umsteigen in einen anderen Zug, dort gibt es noch genügend Sitzplätze. Kurze Zeit später entschuldigt sich die Schaffnerin: es war eine Fehlinformation, es gibt keinen zweiten Zug. Draußen Regenwetter. Schlehen und Vogelkirschen blecken blühend aus den aufgefrischten Laubwäldern des Donautals.

Noch lachen sie in der ersten Klasse, obwohl Dutzende keinen Sitzplatz haben und auf dem Boden sitzen.

Dann die nächste Durchsage: der Zug kann aufgrund der einstündigen Verspätung (Fliegerbombe) nur bis Nürnberg geführt werden. Die Heiterkeit hält sich in Grenzen, ich hole mir jetzt zur Einstimmung auf mehr deutsches Wesen ein Brötchen.

Zuvor sagt die Schaffnerin für 17:01 einen Anschuss per Lokalzug durch, Bahnsteig sechs Nürnberg. Ich sage ihrer Kollegin, dass meine ÖBB-App etwas anderes weiß, 16:04, und direkt nach Leipzig. Stimmt, sagt die nette Dame, die Kollegin hat den wahrscheinlich nicht angesagt, weil alle Züge so überfüllt sind.

Alle Züge heute sehr stark ausgelastet, ich kann ihnen die Weiterfahrt ab Nürnberg nicht garantieren, sagt die Schaffnerin wie bestellt durch.

Kein Scherz, kommentiert einer, der Humor bleibt trocken im Zug.


Viele, sehr viele Menschen am Gang in der ersten Klasse, kalte Speisen sind aus, vor mir kauft eine den letzten Wrap. Kismet. Wir sind unfreundlich, wir sind bei der Bahn, scherzen Kellnerin und Kellner im sächsischen Tonfall. Solange Sie zu mir freundlich sind, ist mir das egal, sage ich.

Das WiFi im ICE lahmt durchgängig. Gottseidank habe ich meinen Email-Austausch mit Michael Fleischhacker vor Passau beendet. Es ging um Ungleichheit, und ja, auch unsere Ansichten dazu gleichen sich nicht.


Die Reisevorschau auf der ÖBB-App verspricht mir frohgemut, wir würden Erfurt in 1:45 erreichen und uns um 9 Minuten verspäten. Real  war es mehr als eine Stunde, und längst war bekannt, der Zug endet wegen Verspätung in Nürnberg. Aber, aber, die Ansage mit Gleis 6 und 16:04 stimmte. Ich frage eine schwarzbärtige Auskunftsperson in Nürnberg, die trotz überdurchschnittlichen Ansturms ihre gute Laune behält, nach dem Lokalzug. Lokalzug nach Leipzig, lacht der Bart, da kommen Sie morgen früh an. Der 16:04-ICE schaffte es mit ortsüblicher Verspätung, einem knappen halben Stündchen. Dann steht meinem Antrittsbesuch bei der Thomaskirche nichts mehr im Wege. Fahrplan ist der regelmäßige Flor, durch den das Chaos schimmert, sagt Novalis. Ich liebe meine ÖBB. Auf die Buchmesse gehe ich morgen.


Im Übrigen bin ich der Meinung, man muss die Wiener Zeitung vor der Regierung retten.


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Was wir aus der Pandemie gelernt haben könnten: Distanz kann nicht schaden, halten Sie Ihre Impfungen up to date, Händewaschen ist nie falsch, benützen Sie Masken, wenn es sich empfiehlt, und bleiben Sie rücksichtsvoll. Ihr Armin Thurnher

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