Das Problem des wiederauferstandenen Kommunismus, und andere Wiedergänger.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 999

Armin Thurnher
am 27.04.2023

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Ihre Geschichte scheint manchen Menschen eine problemlose Abfolge linearer Ereignisse zu sein, erleichtert durch müheloses Vergessen entlang des Weges. Stößt der zeitgenössische Mensch auf Abbiegungen, Verschwiegenes und Verdrängtes, wird er grantig. Um genau zu sein, stößt er bei anderen auf solches, wird er grantig. Bei uns selber schaffen wir es mühelos, uns mittels diverser Verdrängungsexzesse und Beschönigungsrituale gegen uns selbst und unsere Geschichte zu immunisieren.

Die Beschwörungen ganzer Horden von Schriftstellern, die sich diesem Problem gestellt haben, nützen da gar nichts. „Speak, Memory“, mit diesem fast flehentlichen Ausruf überschrieb Vladimir Nabokov seine Erinnerungen. Er brachte damit zum Ausdruck, dass jeder, der versucht, seinem Gedächtnis zuzuhören, weiß, wie sehr es einen narrt oder auch, wo es sprechen sollte, verbissen die Klappe hält. Das Gedächtnis ist der April des Menschen, tut was es will. Nicht der einzige April, versteht sich. Bald kommt der Mai, der Mozart unter den Monaten (Erich Kästner).

April: Ich zum Beispiel war der fixen Meinung, ich hätte als Student eine amerikanische Freundin hier in Europa kennengelernt, sei mit ihr und ihren Kolleginnen Skifahren gewesen, und sie habe daher gewusst, dass ich Skifahren kann, und mich dem Skischulleiter in ihrem Heimatort in den Catskills empfohlen. Als ich sie vor zwei Jahren wiedertraf, unterhielten wir uns über alte Zeiten, und es kam heraus, dass sie erst nach meinem USA-Jahr überhaupt in Europa gewesen war, mich also aus ganz anderen Gründen empfohlen hatte.

So ist das mit der privaten persönlichen Erinnerung. Mit der politischen Erinnerung steht es noch schlechter, denn es geht in unseren Breiten kaum je darum, wie Walter Benjamin es ausdrückte, am Bild der geknechteten Vorfahren und nicht an jenem der befreiten Enkel seinen Widerstand aufzurichten. Das trifft auf jene Länder zu, in die Sklaven verschleppt wurden; an diesem himmelschreienden Unrecht kauen die USA und werden noch lange zu kauen haben.

Bei uns aber dient die Vergangenheit hauptsächlich dazu, sich vor der eigenen zu ducken und jene anderer abzuqualifizieren. Oft mit guten Gründen. Nachfolgeparteien aller Arten müssen mit diesem Problem leben. Um nicht mit dem Kommunismus anzufangen: die SPÖ hat ein Problem mit Sozialismus, sie traut sich ihre eigene Vergangenheit mit dem Roten Wien nicht zu. Stattdessen schmiegen sich ihre Führungskader dem historisch siegreichen Klassenfeind an, dem Kapitalismus; aber nicht etwa dem gemeinen produzierenden Kapitalismus, dem ja niemand entgeht, weil er das System unserer Epoche war, sondern wenn schon, dann gleich dem Finanzkapitalismus.

Die ÖVP hat übrigens das gleiche Problem. Die Partei der Bauern, der Kleinbürger, der kleinen und mittleren Gewerbetreibenden und Unternehmer hat eine abgetretene Spitze, die sich samt und sonders in Investoren und Spekulationsregionen abgesetzt hat, ehe ihr staunendes Publikum bis drei zählen konnte.

Beide Parteien verdrängen diese Bewegungen. Zugleich hindert ihre Verdrängung beide daran, ihr Programm zu erneuern, weil sich die Führungsschichten beider so weit von den Interessen jener abgewandt haben, die sie zu vertreten vorgeben, dass es auch die gemerkt haben. Das Rezept, dem ganzen durch Medienkontrolle beizukommen, verfängt zwar noch, aber halt auch nicht mehr wie zu Kurzens und Faymanns Zeiten, da sich der Medienkonsum geändert hat und die Medienkorruption ins Gerede gekommen ist.

Ganz anders stellen sich die geschichtlichen Probleme bei den Kommunisten und den Freiheitlichen dar. Übereifrig zählen Journalistenkollegen die Gräuel des Stalinismus auf, sobald ein neuzeitlicher Kommunist oder eine Kommunistin es wagen, ihr Haupt über die parlamentarische Zugangshürde zu erheben. Diese Meister des Kurzzeitgedächtnisses rufen voll Eifer „Niemals vergessen!“, selbst im Angesicht eines Spitzenkandidaten, der sich klar von der stalinistischen Vergangenheit der KPÖ distanziert.

Bei der freiheitlichen Partei vermisse ich solche Klarheit, sowohl auf Seiten der Partei als auch auf Seiten der Kommentare. Dabei sind hier die Kontinuitäten herzlicher, man singt die alten Lieder,  hängt zugleich, etwas moderner, digitalen Neonazi-Neigungsgruppen an und pflegt Waffensammlungen. Während Vergleichbares bei den Kommunisten nicht einmal aus der Steiermark bekannt ist, wo es den einen oder anderen schrulligen Einzelfall gibt, den die Parteispitze nicht übers Herz bringt auszuschließen. Ein Ulrichsberg oder ein Akademikerball für solche Einzelfälle!

Den Kommunismus und den Sozialismus neu zu begründen ist ein interessantes Unternehmen, wobei man sich an die Maxime von Franz Schuh halte: Ich glaube, dass der Marxismus recht hat, aber ich kenne Marxisten, die Arschlöcher sind. Im Interesse dieses Unternehmens sind klare Distanzierungen von üblen Vergangenheiten zu fordern; aber man sollte es anerkennen, wenn diese geleistet werden. Und man sollte nicht müde werden, sie auch bei einer extremen, „deutschtümelnden“ Rechten einzufordern, ungeachtet dessen, dass Landeshauptfrauen, Bundeskanzler und ihre journalistischen Fanclubs in Reih und Glied den Kopf in den historischen Sand stecken und zierlich moralisierend mit den Füßen strampeln. Und nein, das ist nicht die Forderung, Rechts gegen Links aufzurechnen, sondern sie zu unterscheiden.

(Mit Widerspruch ist zu rechnen; mit Fortsetzung sicher ebenso).


Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung retten.


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Was wir aus der Pandemie gelernt haben könnten: Distanz kann nicht schaden, halten Sie Ihre Impfungen up to date, Händewaschen ist nie falsch, benützen Sie Masken, wenn es sich empfiehlt, und bleiben Sie rücksichtsvoll. Ihr Armin Thurnher

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