Wir wissen immer noch nicht, wie wir die Ausbreitung von Covid am besten bremsen können.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 997

Armin Thurnher
am 25.04.2023

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Zum Einstieg in den angesagten Versöhnungsmumpitz bietet Epidemiologe Robert Zangerle Fakten und stellt klar: der zunehmende Aberglaube, die Maßnahmen seien schädlicher gewesen als das Virus, sind reiner Blödsinn und durch zahlreiche Studien widerlegt. Sonst aber gilt es zu differenzieren und cool zu bleiben – wie immer. A. T.

»Corona soll aufgearbeitet werden. Ohne, mit oder gegen wissenschaftliche Erkenntnisse, bleibt derzeit noch Gegenstand von astrologischen Beurteilungen. Jedenfalls müssen schwere Fehler im Pandemiemanagement und, wo opportun, deren Verantwortliche ausgemacht werden, schließlich ist das große Ziel die Versöhnung. Anfang April erschien der sehr lesenswerte Bericht des Rechnungshofes zur Coronapandemie „COVID–19|Rechnungshof.Mehr.Wert, der zahlreiche Schwächen in der Bewältigung der Coronakrise aufzählte (darüber in der übernächsten Kolumne). Im Nu verbreitete sich die Kunde von diesem Bericht, wobei die Meldungen den Inhalt meist nicht so genau nahmen. Auch die ZiB2 orientierte sich an dieser österreichischen Gepflogenheit und relativierte gleich in der Eröffnungsfrage im Interview den Rechnungshofbericht, in dem der Moderator darauf hinwies, dass offenbar ziemlich alle Regierungen weltweit auf diese Pandemie schlecht vorbereitet gewesen seien. Mit der nächsten Frage war man schon medias res „was waren denn im Rückblick gesehen, die wichtigsten medizinischen Fehlentscheidungen“? Der Inhalt des Rechnungshofberichtes? Nicht so wichtig. Sich bei „Medizinischen Lehren“ aus der Pandemie auf vermeintliche Maßnahmenfehler zu konzentrieren, hat wenig mit Evaluation zu tun, mehr mit Schädigung präventiver Schutzmaßnahmen.

Zu Beginn des Jahres 2020 fürchtete sich der größte Teil der Welt. Angesichts eines neuartigen, tödlichen Pandemievirus, mit dem die meisten von uns zu Lebzeiten nicht gerechnet hatten, und angesichts des Sterbens in Wuhan und in der Lombardei schalteten die meisten Länder weltweit auf Schutzmodus aka „Lockdown“. Was ist ein „Lockdown“? Nirgends existiert eine klare oder allgemein akzeptierte Definition. Der Begriff taucht weder in nationalen noch internationalen Richtlinien auf. Man findet ihn auch nicht in den Richtlinien der WHO. Die Bezeichnungen „Lockdown“ und „Shutdown“ haben ihren Ursprung im amerikanischen Sprachgebrauch. Lockdown bezeichnet dabei eine polizeiliche Anordnung an Personen, ihren derzeitigen Aufenthaltsort nicht zu verlassen. Die internationale Presse prägte diesen Begriff, als die Provinz Hubei in China ab dem 23. Januar 2020 unter Quarantäne gestellt wurde. Lockdown verbreitete sich seitdem als sprachliches Surrogat für den formal korrekten Begriff der „Massenquarantäne“.

Das Leibniz-Institut für deutsche Sprache hat den Lockdown-Zeitraum definiert als: „Zeitraum, in dem fast alle wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aktivitäten auf politische Anordnung hin stillgelegt sind (z. B. zum Infektionsschutz)“. Jede dieser Aktivitäten existiert jedoch in einem Spektrum, das von „drakonisch“ an einem Ende (Provinz Hubei in China, Italien, Spanien) bis „nachsichtig“ (Schweiz) am anderen Ende reicht. Im schweizerischen Sprachgebrauch wurde die von der Regierung empfohlene Schutzmaßnahme, möglichst „zu Hause zu bleiben“ in den Medien als Lockdown bezeichnet, obwohl in der Schweiz nie Ausgangsbeschränkungen verfügt wurden. Selbst wenn man den Begriff Lockdown vermeiden wollte, so hat das auch die österreichische Bundesregierung verunmöglicht, weil sie ihr Bündel an sogenannten „nicht-pharmazeutischen Interventionen“ (NPI) im November 2020 als „2. Lockdown“ bezeichnet hat; somit ist der Begriff „Lockdown“ quasi amtlich geworden.

Inzwischen gibt es genügend Belege, dass die NPIs im Frühjahr 2020 die Ausbreitung des Virus eindämmten. Eine der global am meisten zitierten Übersichtsarbeiten  mit einer frühen (noch 2020) Bewertung der Wirksamkeit der weltweit von den Regierungen gesetzten Maßnahmen gegen Covid stammt vom Complexity Science Hub Vienna (CSH) der Medizinischen Universität Wien, korrespondierender Autor Peter Klimek. In der damaligen Situation einer Bevölkerung ohne Immunität und in Ermangelung eines Impfstoffs konnte das neue Coronavirus nur durch geeignete Kombinationen von NPIs gestoppt werden, die auf den Kontext des jeweiligen Landes und auf den aktuellen Status der Virusausbreitung zugeschnitten waren. In einer solchen Situation war keine einzelne Maßnahme geeignet, den effektiven Reproduktionsfaktor Rt (Reff) auf unter 1 zu drücken. NPIs mussten in der optimalen Kombination ergriffen werden, um eine maximale Wirksamkeit gegen die Ausbreitung von SARS-CoV-2 zu erzielen.

Die Methodik dieser Arbeit ist sehr anspruchsvoll und überforderte den Seuchenkolumnisten doch ein wenig. Die folgende Abbildung zeigt die kombinierten 95 %-Konfidenzintervalle der Änderung des effektiven Reproduktionsfaktors Rt (Delta – Δ – Rt) für die wirksamsten Interventionen (auf 29 gekürzt) aus verschiedenen Ländern oder US-Staaten (79!). Rechts findet man neben der Z-Scores Skala für die Wirksamkeit der Maßnahmen eine sogenannte Heatmap (je dunkler die Rottöne, desto wirksamer), ermittelt jeweils mit vier verschiedenen statistischen Methoden. Grau bedeutet keine signifikant positive Wirkung. Die NPIs sind nach der Anzahl der Methoden geordnet, die sich über ihre Auswirkungen einig sind, von oben (signifikant bei allen Methoden) bis unten (unwirksam bei allen Analysen).

Die Heatmap der vier Methoden (CC, LASSO, RF, TF) zeigt ein sehr uneinheitliches Bild, einige Methoden sind anfällig für eine Überschätzung der Auswirkungen einer NPI, während andere Methoden den Beitrag einer NPI unterschätzen. Die Bewertung der Wirksamkeit von NPIs ist statistisch sehr schwierig, weil die Maßnahmen in der Regel gleichzeitig umgesetzt wurden aber ihre Auswirkungen von der jeweiligen Reihenfolge abhängen könnten. Die Arbeitsgruppe um Peter Klimek zeigte in dieser Arbeit, dass im Frühjahr 2020 die Schließung und Einschränkung von Orten, an denen sich Menschen in kleinerer oder größerer Zahl über einen längeren Zeitraum aufhalten (Geschäfte, Bars, Schulen usw.) zu den wirksamsten Maßnahmen zählt. Sie haben jedoch auch mehrere sehr wirksame Maßnahmen gefunden, die weniger einschneidend waren. Dazu gehören Beschränkungen an den Landesgrenzen (nur zu Beginn einer Pandemie!), staatliche Unterstützung für gefährdete Bevölkerungsgruppen und Strategien zur Risikokommunikation.

Eine Studie untersuchte den Wirkungsgrad der Corona-Maßnahmen der Schweiz zu Beginn der Pandemie anhand von Erbgut-Analysen der Sars-CoV-2-Viren  (hier kann man es um 2 Franken Entgelt allgemeinverständlicher nachlesen). Insgesamt schaute sich das Team um Tanja Stadler von der ETH Zürich 11 300 vollständige Genome von 2020 aus der Schweiz an. Um zu belegen, dass die Grenzschließungen, sowie das Bündel von NPIs („Schweizer Lockdown“) und das Contact Tracing weitere Lockdown-Maßnahmen zu Beginn der Pandemie tatsächlich die Ausbreitung des Virus zu bremsen, dafür braucht es keine aufwendigen Genom-Analysen. Da reicht ein Blick auf die damalige Entwicklung der Fallzahlen. Trotzdem ist die aktuelle Studie interessant und relevant, denn sie kann den Effekt von Maßnahmen zumindest grob quantifizieren, wie im Folgenden dargelegt:

Grenzschließungen: Am 13. März wurde die Grenze zu Italien geschlossen, drei Tage später waren auch die Grenzen mit allen anderen Nachbarländern zu. Einzig Personen, die im Ausland lebten und in der Schweiz arbeiteten, durften weiterhin einreisen. Die Studie verglich die Genome der Schweizer Viren mit solchen aus dem angrenzenden und weiteren Ausland. Wenn ein Virusgenom aus der Schweiz identisch (oder fast identisch) war mit einem im Ausland gefundenen, dann wurde dieses Virus höchstwahrscheinlich in die Schweiz importiert. Nach den Berechnungen der Autoren konnte die Zahl der in die Schweiz importierten Viren um rund 94 Prozent reduziert werden.

Einschub: Sinn und Zweck der Grenzschließungen generell war also nicht, das Virus völlig draußen zu halten, sondern die Verbreitung des Virus zu verlangsamen, um so, zusammen mit den anderen Maßnahmen, die Fallzahlen schnell nach unten zu bringen. Ein Effekt, der ganz zu Beginn einer Pandemie wirksam ist, keinesfalls später, wenn die Viren bereits weit verbreitet sind. Das hat man auch beim Auftreten von neuen Varianten versucht, hat das aber handwerklich schlecht gelöst und obendrein war man von der Verbreitung her meist zu spät dran (Beispiel: Alpha und Beta Variante in Tirol). Und noch später in der Pandemie war die Sperre von Flügen aus Südafrika eine bösartige „bestrafende“ Maßnahmen mit enormen Schäden für den gerade anlaufenden aber dann zusammengebrochenen Tourismus. Das Gegenteil hätte passieren müssen: Unterstützung derjenigen, die Daten transparent verbreiten.

Gebündelte NPIs („Schweizer Lockdown“): Die Schließung von Schulen, Läden, Frisiersalons, Restaurants etc. haben die Verbreitung des Virus zusätzlich verlangsamt, belegt mit den Daten zu den importierten Viren. Jedes aus dem Ausland in die Schweiz gelangende Virus bildet erst mal eine Anhäufung – einen Cluster – von Übertragungen. Die meisten dieser Cluster verschwinden aber nach einer gewissen Zeit. Die Cluster während des Schweizer Lockdowns waren jedoch kurzlebiger, und zwar um die Hälfte, als vor und nach dem Lockdown. Eine elegante Untermauerung der Wirksamkeit dieser gebündelten NPIs.

Contact Tracing: Interessant, im Sommer 2020, als die Fallzahlen noch tief waren, verlangsamte sich die Übertragungsrate der Viren in bekannten Übertragungsketten um etwa 50 Prozent. Im Herbst, als die Fallzahlen rasch anstiegen, verschwand dieser Effekt wieder. Die Studienautoren erklärten das so, dass nämlich bei niedrigen Fallzahlen die Nachverfolgung von Kontakten ein effizientes Mittel zur Reduktion der Übertragungen sein kann. Jedoch bei schnell ansteigenden Zahlen wie im Herbst 2020 war die Nachverfolgung überfordert. Einen hieb- und stichfesten Beweis, dass tatsächlich das funktionierende Contact-Tracing für die Verlangsamung der Übertragungsrate im Sommer verantwortlich war, konnte die Studie nicht erbringen, weil man mit Genomstudien fast immer nur zeitliche, aber nicht wirkliche kausale Zusammenhänge herstellen kann.

Einschub: Bei niedrigen Fallzahlen kann also die Nachverfolgung von Kontakten ein effizientes Mittel zur Reduktion von Übertragungen sein. Beim Contact Tracing ging es um schnelle Isolation von Infizierten und um Quarantäne von Exponierten. Bei SARS-CoV-2, das bereits vor dem Auftreten von Symptomen von der infizierten Person übertragen werden kann, war hier sehr rasches Vorgehen eine Grundvoraussetzung, um zumindest teilweise wirksam sein zu können. Die Überforderung des Contact Tracing bei höheren Fallzahlen in Österreich ist gut belegt. Vorarlberg hat das früh zugegeben, bereits im September 2020 war in den Berichten der AGES zu sehen, dass nur die Hälfte der Ansteckungen aufgeklärt werden konnten, bevor dieser Anteil im Oktober noch kleiner wurde. Man hätte also mit den eigenen Daten vom Ministerium und von der AGES aus rechtzeitig vor der 2. Welle warnen können. Hat die Regierung zu spät gehandelt? Nein, es kam zu gut an, dass sie alles laufen ließ.

Wieso hier dem getauten Schnee vergangener Jahre nachspüren? Weil die schärfsten Kritiker der staatlichen Interventionen sogar so weit gehen, zu sagen, dass die „Heilung schlimmer war als die Krankheit“, d. h. sie glauben, dass die NPIs mehr Menschen töteten als Covid selbst. Diese Meinung apert leider zunehmend aus. Zahlreiche Untersuchungen haben keinerlei Beweise für diese Behauptung erbracht, sondern – im Gegenteil – gefunden, dass es tödlicher gewesen wäre, das Virus unkontrolliert durch die Bevölkerung wüten zu lassen, als die zweifellos durch die strengsten, sehr restriktiven NPIs angerichteten Schäden waren. Mit anderen, vielleicht einfacheren Worten, ein Maßnahmen-loses „Durchrauschenlassen“ hätte viel mehr Tote verursacht, als die NPIs/Lockdowns tatsächlich verursacht haben. So wurden beispielsweise längere Ausgehbeschränkungen mit einer Zunahme von schädlichem Alkoholkonsum und häuslicher Gewalt in Verbindung gebracht. Es gibt jedoch nur wenig Forschung zu den Kompromissen, d. h. zum Verständnis des Verhältnisses zwischen den Schäden einer unkontrollierten Virusübertragung und denen der NPIs. Und es kann auch sehr schwierig sein, die Auswirkungen der Pandemie selbst von den Schäden der NPIs zu unterscheiden. Es besteht zum Beispiel kein Zweifel daran, dass lange Schulschließungen die psychische Gesundheit von Kindern beeinträchtigen, aber das gilt auch für den Verlust eines Elternteils oder einer anderen Bezugsperson durch Covid. Pauschalierend könnte man sagen, dass benachteiligte Menschen sowohl von der Pandemie, als auch von den NPIs härter getroffen wurden und dass die Balance zwischen den beiden Größen für diese Gruppen oft unausgewogen war.

Und was passierte seither? Die Forschung zu den NPI, insbesondere zur Beurteilung der isolierten Wirkung einer einzelnen NPI stockten, sodass wichtige Fragen noch immer nicht beantwortet werden können: Welche staatlichen Maßnahmen hatten die größte und welche die geringste Wirkung? Wie wirkten sich die Abfolge und der Zeitpunkt dieser NPIs auf ihre Wirksamkeit aus? Wir wissen immer noch nicht, wie wir die Ausbreitung von Covid am besten bremsen können. Ist alles andere als ein Argument gegen gesunde Luft!

Bei allen NPIs ist das Bild nicht immer eindeutig, wenn man sich mit den Forschungsergebnissen beschäftigt. Nehmen Sie Masken. Aus grundlegender wissenschaftlicher Sicht funktionieren Masken – sie filtern die Partikel, die wir einatmen. Masken mit hohem Filtrationsgrad, wie FFP2-Masken, funktionieren besser als chirurgische oder Stoffmasken. Masken bieten den Trägern einen gewissen Schutz vor Atemwegserkrankungen und können auch dazu beitragen, die Übertragung von Infektionskrankheiten auf andere zu verringern.

Hätte also theoretisch jeder Mensch auf der Welt einige Wochen lang rund um die Uhr eine hochwertige Maske getragen, wäre die COVID-19-Pandemie, wenn schon nicht beendet, so doch zumindest erheblich verlangsamt worden. Aber in der Praxis war die von uns durchgeführte Maßnahme kein perfektes Ideal des Maskentragens, bei dem jeder in jeder Situation eine gutsitzende FFP2-Maske trug. Während des Ansturms trug nicht jeder eine Maske, nicht jeder trug eine FFP2-Maske, und diejenigen, die eine Maske trugen, trugen sie möglicherweise nicht perfekt (wir alle haben schon Menschen gesehen, die eine Maske mit unbedeckter Nase trugen oder denen die Maske sogar um den Hals hing).

Wenn Forscher das Tragen von Masken unter „realen“ Bedingungen untersucht haben, waren die Auswirkungen geringer als bei Studien, die unter perfekten Bedingungen durchgeführt wurden. Die größte randomisierte Studie, die dazu jemals durchgeführt wurde, und zwar in Bangladesch, untersuchte die Auswirkungen der kostenlosen Verteilung von chirurgischen Masken in Verbindung mit Werbeaktionen in Moscheen, auf Märkten und an anderen öffentlichen Orten. Die Maßnahme führte dazu, dass sich die Verwendung von Masken mehr als verdoppelte (von 13% in Dörfern ohne die Maßnahme auf 42% in Dörfern mit der Maßnahme), während der Rückgang der COVID-19-Fälle nur 9% betrug. Dieser bescheidene Rückgang der Infektionen steht im Einklang mit den Rückgängen, die in anderen, kleineren realen Studien beobachtet wurden.

Als vor 3 Monaten ein aktualisierter, präziser das 5. Update von Systematic Reviews on Physical Interventions to Interrupt or Reduce the Spread of Respiratory Viruses der  Cochrane Collaboration veröffentlicht wurde, hieß es schnell:  „Masken funktionieren nicht“, was eine ungenaue und irreführende Interpretation ist. Für die Formulierung in der Zusammenfassung hat sich Karla Soares-Weiser, Chef-Herausgeberin der Cochrane Library äußerst ungewöhnlicherweise, aber nicht unerwartet, entschuldigt.

An der Diskussion über die Maskenpflicht in Gesundheitseinrichtungen befremdet, wie wenig die Krankenhäuser über ihre eigenen restriktiven Besuchsregelungen, die sie jeweils sehr freihändig verhängten, verlautbaren lassen.

Ländervergleiche: Eine natürliche, wenn auch manchmal unangemessene Neigung in der Pandemie ist der Versuch, eine Rangfolge von Regionen oder Ländern in Bezug auf die verschiedenen Messgrößen der gesundheitlichen Folgen einer Infektion mit SARS-CoV-2 zu bewerten. Bloomberg Opinion hat sieben Länder weltweit anhand der Zahl der überzähligen Todesfälle („Übersterblichkeit“) angeschaut. Diese Kennzahl (tatsächliche Todesfälle minus erwartete Todesfälle pro Zeitraum) wird weithin als objektiverer Indikator für die Covid-Todesfälle angesehen, da sie nicht vom Zugang zu Tests (sehr ungleich) oder von Ermessensentscheidungen abhängt (hat Covid diese Person wirklich getötet oder war es ein Herzinfarkt?). Bloomberg kommt zum Schluss, dass ein globaler Vergleich bestimmte Lehren aus der Pandemie deutlicher werden lässt. Die Zahlen geben die überzähligen Todesfälle (Übersterblichkeit) pro Million während der gesamten Pandemie an:

Vielleicht die wichtigste Lektion von allen: Jede politische Entscheidung ist mit Abwägungen verbunden. Niemand „gewinnt“ eine Pandemie.

Vergleiche sind voller Fallen, weshalb pauschalierende Aussagen nur selten möglich sind. Selbst bei Vergleichen innerhalb Europas gilt es gravierende demografische und sozialpolitische Unterschiede zwischen den Ländern zu berücksichtigen. Beispiele: In den EU-Mitgliedstaaten liegt das Durchschnittsalter zwischen 38,3 Jahren in Zypern und 48 Jahren in Italien (Österreich 43,6), was die relativ junge und relativ alte Bevölkerungsstruktur in jedem dieser Mitgliedstaaten bestätigt: So liegt der Anteil der Altersgruppe 80+ in Zypern bei 3,9%, in Italien bei 7,6% und in Österreich bei 5,8%. Der Anteil der Ein-Personenhaushalte schwankt in Europa von 20% in Malta bis zu 50% in Schweden. Dauer und Höhe des Krankengeldes sind in der Schweiz großzügig geregelt, während dies in Großbritannien innerhalb Westeuropas am restriktivsten geregelt ist. Vergleiche sind also kompliziert.

Die Seuchenkolumne hat dennoch immer wieder einen Vergleich gewagt, z.B. einen Vergleich zwischen Hongkong und Neuseeland, um den enormen Unterschied in der Sterblichkeit durch unterschiedliche Impfraten in der älteren Bevölkerung zu zeigen, zu der Zeit als die erste Omikron Welle durch die beiden Regionen lief. Und dann fanden sich hier immer wieder Vergleiche mit der Schweiz, zuletzt mit besonderer Aufmerksamkeit gegenüber dem zweiten Jahr der Pandemie. Vielleicht machten sich da Lernprozesse bemerkbar, aus denen Lehren zu ziehen wären. Österreich hatte 2021 eine mehr als doppelt so hohe Übersterblichkeit wie die Schweiz. Ein wirklich wichtiger Unterschied, bei dem wissenschaftliche Aufarbeitung nottäte.« R. Z.


Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung retten.


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Was wir aus der Pandemie gelernt haben könnten: Distanz kann nicht schaden, halten Sie Ihre Impfungen up to date, Händewaschen ist nie falsch, benützen Sie Masken, wenn es sich empfiehlt, und bleiben Sie rücksichtsvoll. Ihr Armin Thurnher

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