Die Kulturschande. Zur geplanten Einstellung der Wiener Zeitung.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 992

Armin Thurnher
am 19.04.2023

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DO NOT KILL THIS NEWSPAPER! Erste Ausgabe, 8. 8. 1703

Rettet dies, rettet das. Wir leben in einer Welle von Rettungsappellen. Heißt das, der historische Wandel geht uns zu schnell. Sind wir fortschrittslahm? Sind wir Pessimisten, Owezahrer, Miesmacher? Haben wir uns in eine grantige Bürgerinitiative verwandelt, die nur ihren eigenen Schrebergarten sieht und das größere Gesamtwohl nicht?

Das ist selbstverständlich Unsinn. Es gibt keinen historischen Fortschritt, der nicht von Menschen gemacht wird. Also gibt es auch keinen historischen Fortschritt, der nicht von Menschen beeinsprucht werden kann.

Die Wiener Zeitung soll als täglich erscheinende Printzeitung nun diesem Fortschritt geopfert werden. Das neue Mediengesetz gelangt heute ins Parlament, es wird ernst, und die Argumente der Grünen klingen nicht anders als die im ersten Absatz beschriebenen. Die ÖVP, von der das ganze ausgeht, hält uns schweigend den nackten  Arsch ins Gesicht, in der Manier jener Waffenhändler, die Reportern auf der Suche nach dem größten wegadministrierten Skandal der Zweiten Republik, der Beschaffung der Eurofighter, auf diese Weise beschieden, was Sache ist.


Man wird es müde, die Argumente aufzulisten und möchte lieber in Grobheiten flüchten. Woher nehmen sich diese ahnungsvollen Leuchten des Politikgewerbes, Frau Raab und Frau Blimlinger, das Recht und die Frechheit, einer mehr als 300 Jahre alten Institution den Garaus zu machen?

Und das in einem Augenblick, da die Vernunft, die solche Zeitungen repräsentieren, auf eine Weise bedroht ist wie nie zuvor? Könnte es sein, dass im Augenblick, da Künstliche Intelligenz sich ins Mediengetriebe einmengt, hier etwas existiert, das seinen Sinn hat, weil es menschengemacht ist? Künstliche Intelligenz ist  noch immer menschengemacht, aber mit Betonung auf „noch“.

Sie schickt sich an, die Kommunikationsverhältnisse des digitalen Dunkelmännerzeitalters ­ so muss man es nennen, der verborgenen Algorithmen wegen ­ noch dunkler zu machen. Bedürfte es da nicht gerade einer kleinen, aber feinen Öffentlichkeit, wo sich identifizierbare Menschen äußern, austauschen, kritisieren, einander informieren und inspirieren?

Die Einstellung der Wiener Zeitung ist nicht nur ein symbolischer Akt. Er vertut auch eine reale Möglichkeit. Die von den Grünen (die Schwarzen geben sich mit solchen Lappalien gar nicht ab) vorgebrachten Argumente sind faktisch falsch, was die Zahlen betrifft.

Vor allem aber ignorieren sie Möglichkeiten, die sich aus neuen der Situation ergäben. Nie war es so günstig, eine kleine aber feine Tageszeitung mit einem derartigen Renommee und einem glaubwürdigen Hintergrund in etwas Neues zu verwandeln, das dennoch dem Geist der Zeitung und dem erst herzustellenden Geist einer anständigen demokratischen Republik entspräche.

Warum kann nicht die Regierung ihre zugesagte Grundförderung von 7 Millionen Euro pro Jahr, statt sie in dubios Ausbildungs- und andere Szenarien zu stecken, wo die Regierung nichts verloren hat, in eine Stiftung zum Erhalt der Wiener Zeitung geben? Mit Appellen an das verantwortungsbewusste Bürgertum, sie mitzufinanzieren (jährlich ginge es um einen etwa gleich hohen Betrag)? Vielleicht existieren ja Restbestände eines solchen Bürgertums. Attraktiv würde so ein Angebot dadurch, dass die Republik ihre Herausgeberrolle beibehält.


Es geht nicht einmal darum, die gedruckte Version für alle Zeiten zu erhalten. In der jetzigen Lage wäre es aber ein Zeichen, eine andere Art von Medien, diskursive, transparente, öffentlich relevante Medien zu erhalten und so ein Zeichen zu setzen gegen die digital befeuerte Welle zur Entmächtigung von mit aufklärerischen Zwecken verbundenen Medien. Gegen die Degradierung von Medien zu reinen Wirtschaftsbetrieben bräuchte es öffentlich geförderte Eckpfeiler.

Aber die öffentlichen Förderer solcher Möglichkeiten haben entweder kein Bewusstsein der Problemlage, und wenn sie es haben, betrachten sie solche Medien als ihre natürlichen Feinde. Der Kurzismus findet seine Konsequenz in der Schwächung öffentlich-rechtlicher Medien, und ein solches müsste die Wiener Zeitung sein. Als solches hätte sie, da bin ich sicher, ökonomische Überlebenschancen. Aber was verstehe ich schon von medialen Überlebenschancen.


Mit den aufgetretenen Interessenten für eine Fortführung des Blattes wurde nicht einmal geredet, die Redaktion wurde nicht einmal angehört, die Appelle der gesamten Kunst- und Kulturszene verhallen.

So bleibt die Wiener Zeitung eine vertane Chance, ein Armutszeugnis für die Politik. Und ihre Einstellung eine Kulturschande für kommende Generationen.


Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung retten.


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Was wir aus der Pandemie gelernt haben könnten: Distanz kann nicht schaden, halten Sie Ihre Impfungen up to date, Händewaschen ist nie falsch, benützen Sie Masken, wenn es sich empfiehlt, und bleiben Sie rücksichtsvoll.

Ihr Armin Thurnher

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