Der verletzende Waldhäusl und die verletzte Menschenwürde

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 990

Armin Thurnher
am 17.04.2023

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Gottfried Waldhäusl Foto: © Puls 4 TV

Der Presserat hat über meine Seuchenkolumne vom  2.2.2023 befunden und ist zu folgendem Ergebnis gekommen:

»Nach Ansicht des Senats 1 verstößt der Beitrag „Waldhäusl. Der Landesunrat als Menschenfeind“, veröffentlicht am 02.02.2023 auf „falter.at“, gegen Punkt 5 des Ehrenkodex für die österreichische Presse (Persönlichkeitsschutz).

Im Beitrag befasst sich der Autor mit Gottfried Waldhäusl, „niederösterreichischer Landesunrat“, anlässlich einer Fernsehdiskussion auf „Puls 24“. Darin habe der FPÖ-Politiker auf die Frage einer 16jährigen Gymnasiastin, was wäre, wenn die EU-Grenzen geschlossen worden wären, gesagt: „Dann wäre Wien noch Wien.“ Anschließend beschäftigt sich der Autor im Beitrag mit der Frage, was die Gesellschaft gegen derartige Äußerungen tun könne.

Ein Leser kritisierte die Bezeichnung von Landesrat Gottfried Waldhäusl als „Landesunrat“; durch diese Bezeichnung werde Waldhäusl auf eine Art und Weise entmenschlicht, wie man es eigentlich nur aus diktatorischen Systemen kenne. Die Medieninhaberin nahm nicht am Verfahren teil.

Der Senat berücksichtigt, dass es sich im vorliegenden Fall um einen Kommentar handelt und die Meinungsfreiheit somit großzügig auszulegen ist. Kommentare dürfen insbesondere dann scharfe Werturteile enthalten, wenn der oder die Betroffene – wie im vorliegenden Fall – selbst Anlass für eine harsche Wortwahl gab. Dieser Grundsatz gilt umso mehr, wenn sich diese Kritik auf einen Landesrat bezieht, also auf eine Person, die ein hohes politisches Amt innehat.

Allerdings können Äußerungen, die in die Menschenwürde eingreifen, auch in einem Kommentar nicht mit der Meinungsfreiheit gerechtfertigt werden. Die Entscheidungspraxis des Presserats ist damit zu rechtfertigen, dass die Menschenwürde den Kern der Persönlichkeitssphäre betrifft und ihre Wahrung sohin eines der wichtigsten medienethischen Prinzipien ist. Insofern sind auch Politikerinnen und Politiker und sogar Schwerverbrecherinnen und Schwerverbrecher vor Eingriffen in die Menschenwürde geschützt.

Nach Auffassung des Senats ist der hier verwendete Begriff „Landesunrat“ geeignet, den betroffenen Politiker in einer menschenverachtenden Art und Weise herabzusetzen: „Unrat“ meint etwas, das aus Abfällen bzw. Weggeworfenem besteht. Der Senat bewertet den Begriff ähnlich wie die Bezeichnungen als „Müll“ oder „Abschaum“, die bereits in einer anderen Entscheidung als Eingriff in die Menschenwürde eingestuft wurden.

Dem Senat ist zwar bewusst, dass die Bezeichnung als „Landesunrat“ wegen der (früheren) Funktion Waldhäusls als Landesrat gewählt wurde bzw. es sich dabei gewissermaßen um ein Wortspiel handelt; menschenverachtende Wortspiele wie im vorliegenden Fall müssen jedoch selbst dann nicht hingenommen werden, wenn diese in einem sarkastischen Kontext gebraucht werden und Reaktion auf die verächtlichen Äußerungen Waldhäusls waren. Im Sinne der bisherigen Entscheidungspraxis verunglimpft der Kommentar den Politiker und verletzt seine Menschenwürde (Punkte 5.1 und 5.2 des Ehrenkodex).

Die Medieninhaberin wird aufgefordert, freiwillig über den Ethikverstoß zu berichten. Zudem empfiehlt der Senat eine Anpassung des Beitrags bzw. eine Entfernung des Begriffs „Landesunrat“.«

Ich bringe die „Entscheidung“ des Presserats aus Respekt vor diesem Gremium am Ort der gerügten Tat. Auf die empfohlene Anpassung des Beitrags wird der Falter jedoch verzichten.

Der Presserat ist eine Herzensangelegenheit. Als mitteljunger Falter-Chefredakteur gehörte ich (mit Claus Reitan, Andreas Unterberger und vielen anderen) zu jenen, die ihn wieder ins Leben riefen, weil wir es für unzumutbar hielten, dass dieses Organ journalistischer Selbstkontrolle dem Boykott der Kronen Zeitung zum Opfer gefallen war.

Jetzt gibt es ihn wieder, Gott sei Dank. Und ab und zu darf ich mich über ihn ärgern.

Zum Beispiel, wenn es – selten genug – den Falter oder mich betrifft.

Im Netz wurden viele Argumente für mich vorgebracht. Sie waren fast alle sympathisch und sympathisierend, aber ich teile die meisten von ihnen nicht. Gewiss, der vormalige niederösterreichische Landesrat Gottfried Waldhäusl zeigte im TV-Studio keinen Respekt für die jungen migrantischen Frauen und pfeift vermutlich auch auf Menschenrechte. Das gäbe mir aber nicht das Recht, ihn zu schmähen. Seine Menschenverachtung gibt mir nicht das Recht, selbst menschenverachtend zu agieren. Es geht vielmehr um die Frage, ob ich – wie der Senat des Presserats meinte – mit dem „Sprachspiel“ „Landesunrat“, „in seine Menschenwürde eingriff“.

Als Autor eines Buchs über das Thema gehöre ich vermutlich zu jenen österreichischen Journalisten, die am meisten über Würde publiziert haben. Ich meine, in der bejahenden „Entscheidung“ des Senats 1 verbirgt sich ein grundsätzliches Missverständnis, das viele öffentliche Debatten unserer Tage weniger prägt als verhindert oder zerstört. Ich werde versuchen, in meinem Kommentar „Seinesgleichen Geschieht“ im nächsten Falter etwas dazu zu sagen.


Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung retten.


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Was wir aus der Pandemie gelernt haben könnten: Distanz kann nicht schaden, halten Sie Ihre Impfungen up to date, Händewaschen ist nie falsch, benützen Sie Masken, wenn es sich empfiehlt, und bleiben Sie rücksichtsvoll.

Ihr Armin Thurnher

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