Freude mit dem Tod. Zum Beispiel mit dem Tod Beethovens.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 989

Armin Thurnher
am 15.04.2023

Abonnieren Sie Armin Thurnhers Seuchenkolumne:

Er läuft wieder. Schon eine Zeitlang, und längst versäume ich meine Pflicht, auf ihn aufmerksam zu machen. Hiermit komme ich ihr nach, endlich, aber sehr gern. Der Podcast Klenk + Reiter ist bereits in seiner zweiten Staffel, die sich noch deutlich aufgebessert hat, weil der fabelhafte Ernst Molden sie nicht mehr nur auf der Gitarre begleitet, sondern eigene Songs dafür geschrieben hat, eine ganze Mörder-CD.

Um Mord nämlich geht es in diesem Podcast, aber nicht nur. Erstens schließt sich ein Kreis, wenn ich kurz in der Anekdotenkiste kramen darf. Es war 1983, als ich mit Günter Wawrowsky Hans Krankl interviewte, und als wir ihn fragten, ob er den Falter kenne, antwortete er: Des is a bissl a Mörderzeitung, oder?

Er konnte noch nichts von Klenk und Reiter wissen, wie wir. Ganz zivil reden die beiden über Mörder- und Mordssachen, voll entspannt, obwohl es um strafrechtliche Tatbestände geht, Tötungsdelikte zumal. Christian Reiter, Gerichtsmediziner und Pathologe, war Florian Klenks Professor. Seine Vorlesungen und Demonstrationen beeindruckten den kommenden Journalisten offenbar tief, nicht nur des Professors trockenen Schmähs und seines unerschöpflichen Schatzes an Geschichten wegen. Auch nicht nur des Themas der Tötung und des Todes wegen, das Reiter so gelassen wie sachkundig seziert. Nein, dahinter steckt mehr.


Reiters Person beeindruckt uns auch in diesen Podcasts, sein Wissen und seine lapidare Erzählkunst sind ja das zentrale Angebot. Aber es geht immer um den Vorgang des nachträglichen Zerlegens, von Menschen, von Sachverhalten. Die Obduktion eines Verbrechens kann auch eine Beschreibung des Aufdeckungsjournalismus sein, der sich mit seinen Mitteln daran macht, Vergangenes aufzudecken.

Für den Podcast nimmt sich Klenk zwar zurück und tritt in die sokratische Rolle des Fragenstellers, was den Monolog des Professors verhindert, dessen umfassende Kenntnisse und dessen offenbar stupendes Gedächtnis natürlich hunderte Vorlesungen trügen.

Aber die scheinnaiven Fragen Klenks führen uns in die Geschichten hinein, repetieren an den richtigen Stellen Sachverhalte und stellen unaufdringlich Fragen immer so, dass wir den Gesamtverlauf nicht aus den Augen verlieren. Die scheinbar morbiden Mordsgeschichten sind also auch unaufdringliche Lektionen in journalistischer Aufklärung.


Arnulf Neuwirth: Beethoven vor dem Schloss seines Bruders in Gneixendorf, Aquarellcollage, 1995

Als Beethoven-Verehrer, Bewunderer großer Beethoven-Interpreten, Beethoven-Leser (die Briefe!) und dilettierender Beethoven-Spieler war es naturgemäß der Beethoven-Podcast aus Serie Eins, der mich am meisten interessierte. Mozart kommt in Staffel zwo. Außerdem kann ich eine kleine Aquarellcollage aus dem Nachlass des Malers Arnulf Neuwirth zeigen, der Beethoven vor das Anwesen des Bruders in Gneixendorf montierte. Von dort flüchtete dieser Anfang Dezember 1826 nach Wien, man munkelt, weil er sich mit der Frau des Bruders stritt, die ihn verabscheute. Im Zorn nahm der cholerische Komponist die erstbeste Post, nicht eine gedeckte Kutsche, sondern einen offenen Leiterwagen. Prompt kam ein Gewitter, durchnässt nächtigte Beethoven in einem ungeheizten Gasthaus und kam bereits fiebernd und mit einer Lungenentzündung in Wien an. Wenige Monate später, am 26. März 1827 starb er.


Die Podcast erzählt nun die Geschichte der letzten Wochen und Monate Beethovens anhand von zwei Locken, die der Gerichtsmediziner Reiter mit Hilfe modernster Geräte analysieren konnte. Zudem versuchte er nicht nur die Frage nach der Todesursache zu beantworten, sondern auch die nach Beethovens erschütternder Taubheit. War sie die Folge einer Bleivergiftung?

Blei, lernen wir, konnte auf verschiedenste Weisen in den Körper eines Menschen kommen, der Anfang des 19. Jahrhunderts in Wien lebte und wie Beethoven, Weintrinker war, der täglich zum Essen eine Flasche Wein und mehr konsumierte. Die gern verdächtigte Wasserleitung scheidet aus, da der sich in ihr ablagernde Kalk des Hochquellwassers verhindert, dass Blei austritt und ins Trinkwasser gerät. Eher schon kommt weiße Farbe in Betracht, der man Blei beimischte, um sie haltbarer zu machen. Regen wusch das Weiß von Gebäuden ab und brachte so Blei ins Grundwasser. Auch Fische nahmen auf diesem Weg Blei auf. Beethoven aß gern Fisch, berichtet Reiter. Und der Wein, obzwar sicherer als das Wasser, wurde von den Weinbauern mit Bleizucker gesüßt. Da Beethoven aus einer Familie von Alkoholikern kam (obzwar, wie wir mittlerweile wissen, genetisch kein echter Beethoven, und übrigens, auch kein Schwarzer) und lieblichen Rheinwein gewohnt war, ist anzunehmen, dass er den reschen Wiener Varianten auswich. Bleizuckergesüßte Weine waren eine ungesunde Alternative.

All das hätte aber nicht ausgereicht, um zu erklären, was Reiter in den Haaranalysen fand: eine Bleikonzentration in der Locke Beethovens, hundertmal höher als man sie heute vorfinden würde. Die Untersuchung einer zweiten, „jüngeren“ Locke ergab, eineinhalb Jahre vor seinem Tod wies Beethoven eine trotz aller Zeitumstände vergleichbar normale Bleikonzentration auf.

Spoiler: die späte Vergiftung hatte eine medizinische Ursache. Hören Sie sich an, wie Klenk und Reiter uns Beethovens beklagenswert qualvollen letzten Lebenswochen nahebringen.

Und wählen Sie dann eine der vielen anderen Folgen, die zur Auswahl stehen. Der Podcast kommt jeden Freitag frei Haus, gestern erschien die Folge Der plötzliche Kindstod. Hier eine kleine Liste von Best-of-Empfehlungen. Der Tod, der bekanntlich ein Wiener ist, wird auch Ihnen viel Freude machen.

Der rätselhafte Tod Beethovens.

Der ausgestopfte Herr Soliman.

Die gestohlene Mary Vetsera. 

Die lebenden Toten.

Das tödliche Apfelmus.

Der Herr der Fliegen.


Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung retten.


Er ist die beste Wochenzeitung des Landes. Der Falter. Lesen Sie ihn. Unterstützen Sie sich und ihn mit einem Abonnement.


Was wir aus der Pandemie gelernt haben könnten: Distanz kann nicht schaden, halten Sie Ihre Impfungen up to date, Händewaschen ist nie falsch, benützen Sie Masken, wenn es sich empfiehlt, und bleiben Sie rücksichtsvoll.

Ihr Armin Thurnher

Abonnieren Sie Armin Thurnhers Seuchenkolumne:

Weitere Ausgaben:
Alle Ausgaben der Seuchenkolumne finden Sie in der Übersicht.

12 Wochen FALTER um 2,50 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!