Trost durch Nesseln

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 987

Armin Thurnher
am 13.04.2023

Abonnieren Sie Armin Thurnhers Seuchenkolumne:

Gestern Sobotka, heute Wiener Zeitung , dazwischen noch SPÖ – das ist zuviel für einen jeden. Das ist dem Menschen nicht zumutbar, wenn er dazu noch an den Innenminister denkt, überhaupt an Minister, oder an Ministerinnen, oder an den Sektionschef Pilnacek, welcher sehr ungerecht behandelt wird, weil er doch sehr wichtig ist.

Ich muss da zwischendurch raus, bald muss ich eh Hals über Kopf wieder hinein, denn dann beginnt das Corona-Versöhnungspaket, zelebriert von Karl Nehammer im Geiste der postfaschistischen Ökumene, scharf ausgedacht von Gerald Fleischmann, mild begleitet von der Akademie der Wissenschaften. Es gibt einen Essay von Adorno, „Erpresste Versöhnung“, aber darin geht es um Georg Lukács und dessen späte, realsozialistisch verformte Literaturtheorie, etwas, womit man heute weder eine Akademie noch eine Seuchenkolumne bestreiten kann.


Der junge Lukács, das war noch einer. Kann man sich vorstellen, dass Menschen wie du und ich die Anfangssätze eines Buches auswendig konnten, das den Titel „Die Theorie des Romans“ trug? „Selig sind die Zeiten, für die der Sternenhimmel die Landkarte der gangbaren und zu gehenden Wege ist und deren Wege das Licht der Sterne erhellt.“ Ja, das ist sozialistische Romantik der feinsten, der gläubig-ungläubigsten Art, wer will schon etwas gegen das Licht der Sterne sagen und gegen den zweiten Satz zumal: „Alles ist neu für sie und dennoch vertraut, abenteuerlich und dennoch Besitz.“

Nein, man muss nicht an die SPÖ-Führungsdebatte denken, wenngleich auf der Linken bereits eine Schwärmerei anzuheben beginnt, die man als Babler-Herz-Jesu-Kitsch bezeichnen möchte. Ich erinnere mich an das Aufatmen, als sich nach den verzweifelten Viktor-Klima-Jahren mit ihren sprachlichen Fertigteilen endlich wieder einer zeigte, der politisch reden konnte (er hieß Alfred Gusenbauer).

Ich halte den Andy Babler auch für einen überzeugenden Kandidaten und missbillige den Übermut derer, die ihn als Lokalpolitiker abqualifizieren möchten und nicht bemerken, dass er gewinnt, weil er authentisch politisch spricht. Er wird vielleicht nicht die Mitgliederbefragung gewinnen, aber er gewinnt Menschen.


Davon ein andermal mehr. Die Theorie des Romans besaß ich übrigens in der Erstausgabe, um 20 Schilling in einem Antiquariat erstanden, das nicht immer genau wusste, welche seiner Bücher wieviel wert waren. ZVAB gab es noch nicht, denn das Internet war noch nicht auf uns gekommen, und nicht gerade der Sternenhimmel, aber Buchhandlungen und Biblioheken beleuchteten die Wege, auf denen wir uns bewegten.

Bei einer Feier zu meinem 50. Geburtstag, zu der ich 50 Freunde in meine Wiener Wohnung eingeladen hatte, wurde mir dieser kleine Schatz gestohlen. Ich nahm es nicht allzu krumm, denn daraus entstand die Idee zu meinem Roman „Der Diebstahl“, welcher allerdings bis dato ungeschrieben blieb.


Was macht der alte Mensch, um sich etwas zu trösten oder wenigstens abzulenken? Essen ist der Sex des Alters, heißt es nicht zu Unrecht. Die Saison des Löwenzahns ging heuer fast ungenutzt vorüber, aber es beginnen andere Saisonen, zum Beispiel die der Brennnessel. Ich lebe in den glücklichen Umständen, nicht nur im Licht der Sterne zu wandeln (wenig Lichtsmog), sondern auch umwachsen von Brennnesseln.

Also gehe ich mit Gummihandschuhen ausgerüstet in den Garten und zupfe eine Schüssel Brennnesselspitzen. Gemüsesuppe koche ich routinemäßig, die ist vorhanden. Nehme eine Zwiebel, zwei große mehlige Erdäpfel (Erdäpfel sind eines der Geschenke dieser Gegend, unsere mehligen kommen von einem Demeterbauern, zeigen beim Schälen ein makellos festes Fruchtfleisch und zerfallen nicht so schnell; Sie können auch festkochende Erdäpfel nehmen, besser als solche, die zu Püree zerfallen). Erdäpfel grob würfeln, Zwiebel klein würfeln, in etwas Butterschmalz andünsten, einen Teelöffel Currypulver unterrühren, Erdäpfelwürfel dazugeben, kurz mitdünsten. Mit Suppe aufgießen, kochen, bis die Erdäpfel fast durch sind. Dann Brennesselblätter zugeben, zusammenfallenlassen und zwei Minuten mitkochen. Salzen, pfeffern, servieren.


Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung retten.


Er ist die beste Wochenzeitung des Landes. Der Falter. Lesen Sie ihn. Unterstützen Sie sich und ihn mit einem Abonnement.


Was wir aus der Pandemie gelernt haben könnten: Distanz kann nicht schaden, Händewaschen ist nie falsch, benützen Sie Masken, wenn es sich empfiehlt, und bleiben Sie rücksichtsvoll. Ihr Armin Thurnher

Abonnieren Sie Armin Thurnhers Seuchenkolumne:

Weitere Ausgaben:
Alle Ausgaben der Seuchenkolumne finden Sie in der Übersicht.

12 Wochen FALTER um 2,50 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!