Ich denke über das Ende der Seuchenkolumne nach.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 982

Armin Thurnher
am 04.04.2023

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In Leder gekleideter Seuchenmeister während der Pest im 17. Jahrhundert. Bild: © Wikipedia

Als diese Kolumne noch „Nachrichten aus der Selbstisolation“ im Untertitel trug, endete sie so: Keep cool, wash hands, stay human! Ich weiß nicht, was mich dazu trieb, den letzten Satz auf englisch hinzuschreiben, wahrscheinlich schien mir „bleiben Sie menschlich“ eine in Kenntnis der Ausgangsbasis zu kühne Forderung. Auch „bleiben S’ a Mensch“ klang zu betulich. Auf Englisch schien es knackiger, wenn moralische Appelle schon sein mussten, und ich hatte zu Beginn der Pandemie zweifellos das Bedürfnis, solche zu vorzubringen.

Mittendrin kam dann die Variante Keep distance, wash hands, stay human!, gern auch eingeleitet mit einem „Und trotzdem:“. Aber ausgerechnet das stay human vermiesten mir native speakers and speakerettes, die mir klarmachten, dass man das so nicht sagen könne. Brav und folgsam, wie ich bin, schwenkte ich auf eine knappe, wenngleich etwas kommandohafte Version um, die dann die längste Zeit diese Kolumne abschloss: Distance, hands, masks, be considerate!

Auch das missfiel wiederum einigen, sodass ich mir folgendes hineindrücken ließ: Distance preferably, hands when possible, masks when needed, always considerate! Was die vorzügliche Software Deepl so übersetzt: Vorzugsweise Abstand, Hände, wenn möglich, Masken, wenn nötig, immer rücksichtsvoll!


Damit ist nun Schluss. Ich danke allen Ratgeberinnen und Ratgebern für die vielen Ezzes, für die teils langen und überaus besorgten, engagierten, ja liebevollen Briefe, die mich zu diesem Thema erreichten. Auch native speakerettes kamen beim Gebrauch des Adverbs durcheinander, und ehe es noch viel komplizierter wird, kehre ich zu dem zurück, in dem ich mich einigermaßen kompetent, wenn auch weitab von fehlerfrei äußern kann, zum Deutschen.

Kürzlich traf ich einen bekannten Philosophen, mir bekannt und überhaupt, dessen Namen ich hier aber nicht nenne, gleich werden Sie sehen, warum. Als wir uns über Folgen der Corona-Zeit unterhielten, sagte er, man dürfe es ja nicht laut sagen, aber die Distanzregeln seien ihm schon zupass gekommen. Ich gab ihm recht. Schaumgebremstes Bussibussitum, ein zweiter Blick, an wen man sich gerade heranshmoovt und etwas Behutsamkeit in öffentlichen Verkehrsmitteln taten niemandem schlecht.

Wirkliche Nähe und freiwillige Intimität sind überhaupt nur in erfreulicher Weise möglich, wenn sie willentlich eine zuvor eingenommene Distanz überbrücken. Im übertragenen Sinn werden wir sowieso mit Intimität terrorisiert, alles rückt uns viel zu nahe auf die Pelle, sodass wir nicht mehr Raum finden, zur Besinnung zu kommen. Dieses Pellerücken kann durchaus aus der Distanz geschehen, sprich durch digitale Dauermisshandlung.

Aus der Pandemie ist längst die Polypandemie geworden. Es sind nicht nur die virenträchtigen Seuchen im genauen Wortsinn, die uns umlauern, es sind gesellschaftliche Krankheiten, die uns zusetzen: die zerstörte Kommunikation, eine medienhörige Politik, die es nicht mehr schafft, den augenfälligsten Bedrohungen vernünftige Maßnahmen entgegenzusetzen, seien es jene der Klimakrise, der finanzialisierten Wirtschaft, der wildgewordenen Desinformations- und Überwachungsindustrie, um nur ein paar zu nennen.


Dieser Kolumne, die auf den Tausender zustrebt, gehen also die Seuchen nicht aus. Da sie aber auf diese Marke, den Tausender weniger zustrebt als vielmehr zutreibt, muss sich der Kolumnist Gedanken machen, wie er weiter tut. Ja, er wird weitertun, keine Frage, aber nicht mehr in der Intensität des beinahe täglichen Erscheinens. Zwar hat Robert Zangerle mir mehr als 150mal mit seinen Kolumnen ausgeholfen, die keine Aushilfe waren, sondern äußerst pandemiekompetente Erweiterungen, und die aufgrund ihres Umfangs weit mehr als nur ein Sechstel des hier Publizierten ausmachen. Er wird hier weiterhin publizieren, hoffe ich, denn an Anlässen, fürchte ich, wird es nicht fehlen. Die sogenannte Corona-Versöhnung ist ja schon wieder eine Seuche für sich. Die wird uns noch ausführlicher beschäftigen.


Zu letzten Sätzen und zu Zahlenjubiläen pflege ich bekanntlich eine zwänglerische Beziehung. Ich hatte ja meinen berühmten letzten Satz, der in zwei Formen erschien, die zahlreiche Menschen noch heute hersagen können: zuletzt hieß er „Im Übrigen bin ich der Meinung, der Mediamilkomplex muss zerschlagen werden.“ Eine Forderung, die man ruhig weiterhin erheben kann, denn in die Taschen dieses extraktiven Komplexes fließt weit mehr Steuergeld als angebracht.

Aber selbst meine Sturheit hat Grenzen. Andererseits hatte ich einmal den Gedanken, so viele fixe letzte Sätze zu akkumulieren, dass die Kolumne am Ende nur noch aus solchen besteht. Jetzt haben wir ja schon drei neue, einen dritten füge ich nämlich noch hinzu, und der rituelle Kolumnengruß samt Aboaufforderung ist auch noch da. Der Anfang zu diesem Masterplan  ist also gemacht, und bei Kolumne 2000 werden wir keine Künstliche Unintelligenz mehr brauchen; dann hat sie sich von selbst geschrieben, die Kolumne. Bleiben Sie ihr bis auf weiteres gewogen.


Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung retten.


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Was wir aus der Pandemie gelernt haben könnten: Distanz kann nicht schaden, Händewaschen ist nie falsch, benützen Sie Masken, wenn es sich empfiehlt, und bleiben Sie rücksichtsvoll.

Ihr Armin Thurnher

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