Die Corona-Pandemie ist laut WHO noch ein internationaler Gesundheitsnotstand. Österreich hat seine eigene Logik.  

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 981

Armin Thurnher
am 03.04.2023

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In dieser Folge geht Epidemiologe Robert Zangerle der Frage nach, was die Ausrufung einer Pandemie durch die WHO bedeutet und was nicht. Er listet die aktuellen zehn möglichen Pandemien auf, und informiert über Übersterblichkeit, Folgen und Notwendigkeit der Corona-Impfung. A.T.

»Die Weltgesundheitsorganisation stufte am 11. März 2020 den Ausbruch des Corona-Erregers als Pandemie ein. Das Ausmaß an neuen Erkrankungen und neuen Todesfälle in den vergangenen zwei Wochen weltweit habe zu dieser Entscheidung geführt, erklärte damals WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus. Der Pandemie-Begriff setzt sich aus den altgriechischen Wörtern „pan“ für „alles“ und „demos“ für „Volk“ zusammen und bedeutet, dass die gesamte Weltbevölkerung potenziell einem Erreger ausgesetzt ist. Pandemie ist kein offizieller Begriff der WHO. Also kann die WHO eine Pandemie weder formell ausrufen noch für beendet erklären. Offiziell verlautbarte sie:  „Wir sind daher zur Einschätzung gelangt, dass COVID-19 als Pandemie bezeichnet werden kann.“ (“We have therefore made the assessment that COVID-19 can be characterized as a pandemic“).

Von einer Pandemie sprechen Expertinnen und Experten, wenn eine Epidemie die gesamte Welt erfasst. Üblicherweise wird der Begriff nur verwendet, wenn ein neuartiger Erreger eine schwere Erkrankung hervorruft. Am 4. Februar 2020 findet die WHO, dass die Corona-Ausbreitung noch nicht als Pandemie einzustufen sei. Die Kriterien dafür seien erst erfüllt, wenn es auf mindestens zwei Kontinenten eine anhaltende Weiterverbreitung einer Krankheit gibt. Am 10. Februar 2020 befürchtet die WHO, dass die Fälle in China nur die „Spitze des Eisbergs“ sein könnten. Tags darauf wird die Krankheit einer Infektion mit SARS-CoV-2 als Covid-19 bezeichnet – abgeleitet von Corona, Virus und Disease, dem englischen Wort für Krankheit – und ergänzt um das Jahr seiner Entdeckung 2019. Am 15. Februar starb in Frankreich ein 80-jähriger Tourist aus China an Covid.  Ein Woche  später meldete Italien den ersten europäischen Todesfall, einen 78-Jährigen, der bereits seit 10 Tagen in einem Krankenhaus war. Inzwischen werden Fälle aus zwei Dutzend Länder gemeldet, und es war klar, dass sich eine Pandemie aufbaut.

Am 23. Februar riegelt Italien Städte im Norden ab, nicht aber Bergamo, weshalb jetzt die Staatsanwaltschaft Bergamo Klage gegen den damaligen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte, dessen Gesundheitsminister Roberto Speranza, den lombardischen Regionalpräsidenten Attilio Fontana sowie ein Dutzend weiterer Politiker und Experten wegen Fehleinschätzungen bezüglich der Gefährlichkeit des Virus sowie Versäumnisse bei der Bekämpfung von dessen Ausbreitung erhoben hat. Laut Staatsanawalt Chiappani hätten mehr als 4.000 Todesfälle vermieden werden können, wenn die Behörden nur rechtzeitig eine „rote Zone“ für die Provinz eingeführt hätten. Man darf gespannt sein, was im Rahmen dieser Anklage alles ans Licht kommen wird, es schaut so aus, als werde es mehr sein als ein bloßes „Im Nachhinein ist man immer klüger“.

Am 24. Februar fand die WHO es ermutigend, dass die Fallzahlen in China zurückgingen. Die Ausbreitung des Virus könne also noch gestoppt werden, meinte sie, gleichwohl seien die Zahlen aus Italien, dem Iran und Südkorea sehr beunruhigend. Es gebe bislang keine unkontrollierte globale Ausweitung des Virus. Von einer Pandemie zu sprechen würde bloß Angst schüren. Die Benennung sei im Prinzip unerheblich und würde kein Menschenleben retten. Es war also längstens in der zweiten Februarhälfte klar, dass alle Kriterien einer Pandemie erfüllt sind. Die Entscheidung der WHO es trotzdem bis zum 11. März nicht so zu sehen, wurde und wird ganz allgemein als politische Entscheidung gesehen. China übte mächtig Druck auf die WHO aus, die Pandemie nicht als solche zu bezeichnen.

Die WHO habe bereits am Abend des 30. Jänner 2020 mit der Ausrufung einer „gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite“ („public health emergency of international concern – PHEIC“) ihre höchste Alarmstufe verhängt. Nicht verfrüht.

Als Reaktion auf die Ausbreitung von SARS (2003) wurden 2005 Internationale Gesundheitsvorschriften („International Health Regulations –  IHR“), ein verbindlicher internationaler Vertrag, beschlossen. Sie ermöglichen es, eine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite, abgekürzt PHEIC auszurufen. Eine PHEIC wird in den erwähnten Gesundheitsvorschriften definiert als ein außergewöhnliches Ereignis, das

  •  ernst, plötzlich, ungewöhnlich oder unerwartet ist;

  • Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit über die Landesgrenzen des betroffenen Staates hinaus hat und

  • möglicherweise sofortige internationale Maßnahmen erfordert.

Die endgültige Entscheidung liegt jeweils beim Generaldirektor (zuvor war es eine Generaldirektorin), der im Allgemeinen – wenn auch nicht immer (siehe Mpox unten) – dem Rat der Notfallausschüsse folgt. Bei einer derartigen Notlage sind die WHO-Mitglieder verpflichtet, ihre Maßnahmen zu koordinieren. „Wenn jedes Land seine eigenen Maßnahmen verhängt, kann das das Rezept für ein Desaster sein, etwa wirtschaftlich“, sagte WHO-Nothilfekoordinator Michael Ryan bei der Ausrufung der PHEICs beim neuen Coronavirus.

Seit der Einführung des Instruments wurden sieben PHEICs erklärt:

  1. H1N1-Grippe-Pandemie im Jahr 2009 („Schweinegrippe“): das H1N1 Grippepandemievirus von 2009 ist nicht verschwunden, es pendelte sich aber innerhalb von 15 Monaten nach seiner ersten Entdeckung auf ein saisonales Zirkulationsmuster ein. Die H1N1-Pandemie wurde am 25. April 2009 zu einer PHEIC erklärt und am 10. August 2010 für beendet.

  2. Ebola-Ausbruch in Westafrika: Die Epidemie begann Anfang 2014 im Südosten Guineas (Indexfall Dezember 2013) und wurde im März offiziell bekanntgegeben. In den folgenden Monaten wurden in den benachbarten Ländern Sierra Leone und Liberia weitere Erkrankungen gemeldet, Anfang August auch in Nigeria, wo am 8. August der nationale Notstand ausgerufen wurde. Erst an diesem Tag rief auch die WHO eine PHEIC. Dieser Ausbruch gilt nach der Zahl der erfassten Erkrankungen und Todesfälle (offiziell 11 316 Todesfälle, deutlich höhere Dunkelziffer) als bisher größte ihrer Art seit der Entdeckung des Ebolavirus 1976. Das Ende des Ausbruchs musste aufgrund sporadischer Fälle immer wieder wiederrufen werden, die PHEIC wurde am 29. März 2016 aufgehoben, vereinzelte Fälle wurden bis Juni 2016 beobachtet.

  3. Ebola-Ausbruch 2018-2020 im Osten der zentralafrikanischen Demokratischen Republik Kongo: global und historisch der zweitschwerste dokumentierte Ausbruch der Erkrankung überhaupt mit über tausend erfassten Todesfällen. Erst im Juni 2019 als es zu Todesfällen im benachbarten Uganda kam, rief die WHO die PHEIC aus. Ende Juni 2020 erklärte die WHO, nachdem keine Neuinfektionen nachweisbar waren, den Ausbruch offiziell für beendet.

  4. Polio: als die steigenden Fallzahlen (Pakistan, Afghanistan, Nigeria) im Jahr 2014 die jahrzehntelangen Bemühungen zur Ausrottung der Kinderlähmung zu bedrohen schienen, wurde eine PHEIC für Polio ausgerufen, die bis heute gilt.

  5. Zika-Ausbruch: Infektionen mit dem Zikavirus sind seit Jahrzehnten als grippeähnliches Krankheitsbild bekannt, insgesamt wurde es aber sehr selten beschrieben. Es wird vor allem durch bestimmte Stechmücken in tropischen Klimazonen übertragen. 2015/2016 kam es zur epidemischen Verbreitung in Lateinamerika, wo bei Erkrankungen im ersten Drittel der Schwangerschaft, Mikrozephalie bei Föten und Neugeborenen vorkamen. Mikrozephalie heißt kleiner Kopf, meist durch kleines fehlentwickeltes Gehirn. Die PHEIC wurde am 1. Februar 2016 ausgerufen und auf Anraten des Notfallausschusses am 18. November 2016 beendet.

  6. Covid-Ausbruch: PHEIC wurde am 30. Jänner 2020 ausgerufen und zuletzt am 30. Jänner 2023 bekräftigt. Allerdings hat der Notfallausschuss darauf hingewiesen, dass die Pandemie möglicherweise an einem Wendepunkt angelangt ist, weshalb er der WHO empfahl, Maßnahmen zu ergreifen, die die Voraussetzungen für eine sichere Auflösung der PHEIC schaffen würden. Der Ausschuss wird statutengemäß nach drei Monaten, Ende April, erneut zusammentreten.

  7. Mpox-Ausbruch: In einem ungewöhnlichen Schritt hat der WHO-Generaldirektor im Juli 2022 Mpox (damals noch „Monkeypox – Affenpocken“ genannt) den Status PHEIC verliehen, obwohl der Notfallausschuss mangels Konsensbildung sich weigerte, das zu empfehlen. Obwohl der Ausschuss nicht formell abstimmt, ergab eine Umfrage unter den Mitgliedern, dass neun gegen die Erklärung eines PHEIC waren, sechs dafür.

Unter Experten und Expertinnen wird vermutet, dass die WHO die Covid-PHEIC im Jahr 2023 beenden könnte – möglicherweise noch nicht als Folge der nächsten Sitzung des Notfallausschusses. Covid ist immer noch ernst, aber plötzlich, ungewöhnlich oder unerwartet? Jetzt nicht mehr. Alle Grenzen wurden überschritten, das Virus hat sich weltweit verbreitet. Zum jetzigen Zeitpunkt der Pandemie werden die internationalen Maßnahmen zurückgefahren. Ob das die WHO davon abhält, die gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite schon demnächst aufzuheben?

Es gibt Stimmen, die vermuten, dass die WHO hier besonders langsam vorgehen wird, zumal die Zahl der Todesopfer immer noch recht hoch und die Belastungen durch Long Covid als Folge der Masseninfektionen immens sind. Und die WHO muss die Ereignisse in China berücksichtigen, es wäre mehr als verwunderlich, würden dort nicht mehrere Wellen an Masseninfektionen ablaufen. Auch das offizielle China benutzte im November 2022 die verzerrende Erzählung einer „Ausstiegswelle“, die das Land bald zu einem vor der Pandemie herrschenden „Normalzustand“ zurückführen werde. Chinas Nationaler Volkskongress, das erste politische Großereignis nach dem Ende der Covid-Beschränkungen im Dezember hielt etwas vom Geist des Null-Covid am Leben. Journalisten, die an den streng geregelten Pressekonferenzen teilnahmen, mussten vorher kurz in Quarantäne gehen. Bei einer Veranstaltung, bei der es nicht um Details, sondern vor allem um die Symbolik der Kommunistischen Partei Chinas ging, konnte der Kampf gegen das Virus nicht so abrupt aufgegeben werden, wie es überall sonst der Fall war. Humor für Zyniker.

Die WHO hat in der Vergangenheit PHEICs nicht schnell beendet. Es ist leicht zu wissen, dass ein Ende einer PHEIC ausgerufen werden kann, nämlich wenn die Übertragung schließlich gestoppt werden konnte. Das ist bei Covid gänzlich anders. Eines der Probleme für den Notfallausschuss und für die WHO besteht darin, dass es zwar Leitlinien dafür gibt, wann ein PHEIC ausgerufen werden kann, aber keine dafür, wann er beendet werden sollte.

Andererseits gibt es auch Stimmen, die eine Beendigung einer Covid-PHEIC für überfällig halten, weil jetzt  bis zur nächsten Sitzung des Notfallausschusses und auch nicht bis zur Sitzung danach keine wesentlichen Änderungen zu sehen sein werden: Mehrere hundert Millionen Chinesen werden zum ersten Mal infiziert sein. Mehrere hundert Millionen Amerikaner, Europäer, Afrikaner und Asiaten werden sich zum zweiten oder dritten Mal infizieren. Und so weiter. Wieso also warten? Die Beendigung der PHEIC wäre weder eine Erklärung, dass Covid keine Gefahr mehr für die Welt darstellt, noch eine Erklärung der WHO, dass die Pandemie vorbei ist. Es ist sogar unwahrscheinlich, dass es eine Erklärung der WHO über das Ende der Pandemie geben wird –- weder jetzt noch später. „Wir rufen keine Pandemien aus“ sagte Maria Van Kerkhove, die führende Coronavirus-Expertin der WHO Agentur.

Eine mögliche negative Folge einer Beendigung der Covid-PHEIC für die WHO könnte sein, dass unklar bleibt, ob die WHO danach noch vorübergehende Empfehlungen an die Länder aussprechen kann, wie sie auf Covid reagieren sollen. Die IHR geben der WHO die Befugnis, während einer laufenden PHEIC zeitlich begrenzte Empfehlungen an die Länder auszusprechen, z. B. die Empfehlung, keine grenzüberschreitenden Reisebeschränkungen einzuführen. Theoretisch sind diese Empfehlungen verbindlich, aber in der Realität hat der Vertrag keinen Durchsetzungsmechanismus, und die Länder können die Empfehlungen ignorieren. Sie tun dies auch, wie einige Länder vor kurzem, als sie von Reisenden aus China einen negativen Covid-Test verlangten.

Eine PHEIC soll also einen Alarm auslösen, die Nationalstaaten zum Handeln auffordern und ermächtigen. Eine PHEIC ermächtigt die WHO nicht, viel zu tun, sie gibt ihr nur politische Rückendeckung, eine Angelegenheit ernst zu nehmen. Eine Schlussfolgerung ziehen aber die meisten Experten und Expertinnen: Der PHEIC-Mechanismus müsste überarbeitet werden. Eine PHEIC scheint nicht das zu tun, wofür sie entwickelt wurde. Die ganze binäre Natur der PHEIC, ja oder nein, sei grundsätzlich ungeeignet für die Entwicklung dieser Krankheiten und dieser Ereignisse, sagt z.B. Amanda Glassman, geschäftsführende Vizepräsidentin des Zentrums für globale Entwicklung.

Und vorausschauend? Welches sind die 10 wichtigsten Krankheiten, die nach Ansicht der Weltgesundheitsorganisation eine Pandemie auslösen könnten? Im November letzten Jahres hat die WHO einen globalen wissenschaftlichen Prozess zur Aktualisierung der Liste der prioritären Erreger –Erreger mit Epidemie- und PHEIC-Potenzial – eingeleitet, um globale Investitionen, Forschung und Entwicklung, insbesondere bei Impfstoffen, Tests und Behandlungen, zu steuern. Die Liste wurde erstmals im Jahr 2017 veröffentlicht, die letzte Priorisierung erfolgte 2018. Die Liste der prioritären Erreger ist zu einem Bezugspunkt für die Forschungsgemeinschaft geworden, um herauszufinden, worauf die Energien zur Bewältigung der nächsten Bedrohung zu konzentrieren sind. Die aktuelle Liste umfasst

Krankheit X steht für das Wissen, dass eine schwerwiegende internationale Epidemie durch einen Erreger verursacht werden könnte, von dem derzeit nicht bekannt ist, dass er Krankheiten beim Menschen verursacht. Der Plan für Forschung und Entwicklung zielt ausdrücklich darauf ab, eine frühzeitige, bereichsübergreifende Forschungs- und Entwicklungsbereitschaft zu ermöglichen, die auch für eine unbekannte „Krankheit X“ relevant ist.

Bei der neuerlichen Verlautbarung gab es zunächst einen Aufschrei, wo denn die Grippe bliebe, an deren Potentiale man gerade durch die grassierende Vogelgrippe erinnert wurde. Die Grippe blieb unberücksichtigt, weil es dafür bereits inner- und außerhalb der WHO riesige Strukturen gibt,  zuvorderst das Global Influenza Programme (GIP).

Während es für viele von uns und die Medien normal zu sein scheint,  sich auf das Übergreifen der Vogelgrippeviren auf den Menschen zu konzentrieren, muss man sich vor Augen führen, dass der jetzige Ausbruch eines der dramatischsten Ereignisse in der Geschichte der Wildtiersterblichkeit darstellt. Wieso geht derzeit von der Vogelgrippe kein hohes unmittelbares Risiko für die Gesamtbevölkerung aus?

Die Entwicklung der Virulenz von Atemwegsviren könnte auch durch die Lokalisation der infizierten Zelltypen beeinflusst werden. Man kann eine einfache Unterteilung vornehmen zwischen Viren, die Zellen der oberen Atemwege infizieren, die sich am direktesten auf die Übertragung auswirken – weil die Viren aus diesen Zellen häufiger ausgeschieden werden – und solchen, die Zellen der unteren Atemwege (einschließlich der Lunge) infizieren, was zu den schwersten Erkrankungen führen wird. Ein Virus, das in der Lage ist, beide Zelltypen zu infizieren, die sich möglicherweise in den Nuancen der Rezeptorbindung unterscheiden, wird wahrscheinlich gleichzeitig sowohl die Übertragbarkeit als auch die Virulenz erhöhen, wie dies bei den besorgniserregenden Alpha- und Delta-Varianten von SARS-CoV-2 zu beobachten ist. Im Gegensatz dazu würde ein Virus, das bevorzugt die oberen und nicht die unteren Atemwege infiziert, um die Übertragung zu verbessern, auch die Virulenz verringern. Dies scheint auf die besorgniserregende Omikron-Variante zuzutreffen (hier und hier). Während die hoch pathogenen Subtypen (insbesondere H5 und H7) des Vogelgrippevirus, die sich bevorzugt in Zellen der unteren Atemwege des Menschen replizieren, das gegenteilige Szenario zeigen. Das erklärt wahrscheinlich das bisherige Fehlen einer dauerhaften Übertragung von Mensch zu Mensch.

Wenn es gälte, für eine nächste Pandemie besser vorbereitet zu sein, gäbe es noch viele Lektionen zu lernen. In Anerkennung des katastrophalen Versagens der internationalen Gemeinschaft in Bezug auf Solidarität und Gerechtigkeit bei der Reaktion auf die Coronavirus-Pandemie berief die WHO eine im Dezember 2021 eine zweite Sondertagung ein, auf der sie ein zwischenstaatliches Verhandlungsgremium einrichtete, das allen Mitgliedstaaten und assoziierten Mitgliedern offensteht, um ein WHO-Übereinkommen, eine Vereinbarung oder ein anderes internationales Instrument zur Pandemieprävention (= WHO CA+) zu entwerfen und auszuhandeln. Ein erster Entwurf („Zero draft of the WHO CA+ ….“) wurde am 1. Februar der internationalen Gemeinschaft übergeben  (siehe Abbildung).  Die EU-Kommission gab am 28. März eine Stellungnahme dazu ab und äußerte sich positiv zur neuen Aufgabe, dass die WHO eines Tages Pandemie ausrufen kann („declare pandemics“)

Von solchen Diskussionen sind Österreichs Verantwortliche nicht angekränkelt. Da ist es schon einmal gut, wenn es in Österreich wenigstens bei den Impfungen nichts mehr zu lernen gibt. In Österreich spricht man, durchaus einer gewissen Logik folgend, ein Werbeverbot für Impfungen aus, um freier für anderes zu werden. Sei ja nur symbolisch  gemeint, tönt es aus Amts-und Redaktionsstuben. Stimmt, weil sich eh niemand mehr impfen lässt bzw. eine Gelegenheit zum Impfen schlimmer als ein Spießrutenlauf geworden ist? Die Übersterblichkeit sei auch Folge der Impfungen, wird gemunkelt.

Die Übersterblichkeit in Österreich korreliert sehr gut mit den Infektionszahlen. Wenn es eine Welle gab, stieg die Übersterblichkeit, nicht nur 2020 und 2021, sondern auch 2022. Daten aus Singapur zeigen, dass sich dort die Übersterblichkeit ausschließlich auf Menschen zurückführen lässt, die in den letzten drei Monaten positiv auf Corona getestet wurden. Gerade Personen mit erhöhtem Risiko schwer zu erkranken, scheinen in den ersten Monaten nach der Infektion geschwächt und sterben eher. Trotzdem sind nicht wenige Menschen überzeugt, dass die Übersterblichkeit eine Folge der Impfung ist. Wäre das tatsächlich so, müsste die Übersterblichkeit konstant hoch sein. Zudem zeigen Studien, je höher die Impfquote in einem Land ist, desto kleiner die Übersterblichkeit.

Die Covid Impfungen sind wirksam und gut verträglich. Nach zwei Jahren mit Milliarden von Covid Impfungen ist klar ersichtlich, dass der Nutzen weit grösser ist als das Risiko. Das gilt für die Gesamtbevölkerung, aber für einzelne Betroffene sieht das natürlich anders aus, denn es gibt schwere Impffolgen. Bereits 2021 zeigten Studien, dass von 100.000 Geimpften eine bis zehn Personen eine Herzmuskelentzündung entwickeln.  Am höchsten  ist das Risiko bei der 2. Impfung, wo in der Gruppe der 16-19 Jährigen, männlichen Geschlechts, bis zu 1 Myokarditis auf 7000 Impfungen beobachtet wurde. In einer skandinavischen Studie wurde für den  Impfstoff von Moderna bei 16-24 Jährigen (männlichen Geschlechts) sogar ein noch höheres Risiko errechnet, nämlich zwischen 9 und 28 überzählige Ereignisse bei 100 000 Geimpften. Seither wird der Impfstoff von Moderna bei unter 30-Jährigen nicht mehr empfohlen. Im Vergleich zur Myokarditis im Zusammenhang mit der Covid-19-Krankheit und der herkömmlichen Myokarditis war die Myokarditis nach der Impfung mit SARS-CoV-2-mRNA-Impfstoffen mit besseren klinischen Ergebnissen innerhalb von 90 Tagen nach der Krankenhauseinweisung verbunden.   Bei den meisten geht diese Entzündung  des Herzmuskels schnell wieder weg. Bei wenigen können die Folgen aber tatsächlich gravierender und anhaltender sein. Für die Betroffenen ist das tragisch. Sie brauchen unbedingt Unterstützung – finanziell und medizinisch.

Morgen oder übermorgen geht die Seuchenkolumne der Frage nach, wer sich in den nächsten Wochen impfen lassen soll, falls er oder sie überhaupt eine Gelegenheit für eine Impfung findet.

P.S.: Habe mich (70+) vor 5 Tagen genau 6 Monate nach einer Impfung mit dem Omikron Booster damit zum 2. Mal impfen lassen (stimmt nicht ganz, habe den Impfstoff gewechselt, aber das ist nicht wirklich von Belang).« R. Z.

P!


Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung retten.


Im Sinn des Maskenfalls habe ich übrigens mein stehendes Seuchenschlusswort neu formuliert (native speakers aller Länder, feilet daran!): Distance preferably, hands when possible, masks when needed, always considerate!

Ihr Armin Thurnher

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