Wiener Zeitung: ein schlichter Akt reiner Bosheit

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 978

Armin Thurnher
am 30.03.2023

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DO NOT KILL THIS NEWSPAPER! Erste Ausgabe, 8. 8. 1703

Es gibt ein paar Dinge zwischen Himmel und Erde, die will man nicht verstehen. Und dann gibt es einige, die kann man nicht verstehen. Es sind Akte der Unvernunft, weder auf ein Motiv zurückzuführen, noch mit Argumenten zu begründen. Oder schlimmer: Es sind schlichte Akte reiner Bosheit, deren Schärfe und zugleich Stumpfsinn darin liegt, dass man sie nicht erklären kann.

Sie geschehen einfach und trotzen allen wohlbegründeten Einwänden, etwa nach dem klassischen Muster der Begründung eines autoritär Erziehenden, der auf die Frage des Kindes: „Warum?“, antwortet: „Weil ich es sage“.

So einen Klassiker setzt die Regierung, genauer gesagt das Trio Susanne Raab (ÖVP), Eva Blimlinger und Sigi Maurer (Grüne), indem es die Wiener Zeitung als Printprodukt einstellt. Nicht nur verweigert es sich trotz anhaltender Proteste durchaus angesehener Menschen dem öffentlichen Dialog, ja einfach nur einer Antwort. Nein, das mediale Trio gestattet es auch der Belegschaft nicht, deren eigene Modelle zur Sanierung, Fortführung, Neugestaltung hochdero absolutistischen Öhrchen auch nur zu Gehör zu bringen.

Das darf doch nicht wahr sein, und es sei dem medialen Trio und seinem infernalischen Einflüsterer Gerald Fleischmann gesagt, dass aus dem Abbruch der Wiener Zeitung später höchstens ein Unterbruch wird, wie er einmal schon, in der Nazizeit, stattgefunden hat, als die Wiener Zeitung nicht erscheinen durfte.

Was treibt die Regierung einer sogenannten Kulturnation dazu an, eines ihrer eminentesten Kulturgüter, die älteste täglich erscheinende Tageszeitung der Welt, einzustellen? Es gibt keine Antwort, außer, siehe oben. Pure Lust an der Barbarei kann es nicht sein, denn die Barbaren hatten zu allen Zeiten Kultur, mochte sie auch als fremd empfunden werden. Hier aber ist nichts außer einem bösen Willen.

Ich höre jetzt auf, setze eine gestern publizierte Resolution der Redaktion hierher und gehe zur Präsentation meines Buches „Anstandslos“, dessen Titel gut auf die Vorgänge um die Wiener Zeitung passt. Allerdings nur im  Sinn von „ohne Anstand“, denn anstandslos darf dieser geplante Anschlag auf Österreichs Kulturbestand nicht durchgehen.


»Die Redakteursversammlung der „Wiener Zeitung“ beschließt in ihrer Sitzung vom 28. März 2023 einhellig folgende

Resolution

zur dauerhaften Absicherung der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Qualitätsjournalismus der „Wiener Zeitung“

An den s. g. Herrn Bundeskanzler Karl Nehammer, MSc

die zuständige Fachministerin s. g. Frau Dr. MMag. Susanne Raab

sowie die Mitglieder der Bundesregierung und die Parlamentsklubs!

Die Journalistinnen und Journalisten der Redaktion der „Wiener Zeitung“ begrüßen ausdrücklich die Einigung der Regierungsparteien auf Einführung einer Haushaltsabgabe zur Absicherung der Finanzierung öffentlich-rechtlicher Medien in Österreich. Private wie auch öffentlich-rechtliche Medien stellen in ihrer Gesamtheit unbestritten ein Grundgerüst einer funktionierenden Demokratie dar.

Allerdings greift der geplante Wirkungsbereich der neuen Haushaltsabgabe unserer Ansicht nach zu kurz, da er lediglich den Journalismus des ORF umfasst, nicht jedoch anderer öffentlich-rechtlicher Medien. Das offenbart sich schon im gewählten Namen „ORF-Beitrag“.

Die geplante Ausweitung der Zahlungspflicht der Haushaltsabgabe auf alle österreichischen Unternehmen führt dazu, dass mehr als 100.000 Unternehmen die Abgabe neu leisten müssen. Auf die Wirtschaft insgesamt kommen daher nach Expertenschätzung Mehrkosten im hohen zweistelligen Millionen-Euro-Bereich zu. Es ist davon auszugehen, dass (wie auch bei der Einführung der Haushaltsabgabe in Deutschland) letztlich deutlich mehr eingehoben wird, als der ORF für seinen öffentlich-rechtlichen Auftrag benötigt, also ein Überschuss entsteht. Dieser Überschuss, der laut den Bestimmungen ohnehin auf einem Sperrkonto angespart werden muss, bietet jetzt auch die Möglichkeit für eine sichere künftige Finanzierung der „Wiener Zeitung“.

Den Unternehmen hat die Medienpolitik noch vor wenigen Wochen erklärt, dass die „Wiener Zeitung“ als Tageszeitung eingestellt wird, um 20 Millionen Euro an Beiträgen der Wirtschaft für das Amtsblatt einzusparen. Nun werden diese Unternehmen aber überraschend mit einem sogar mehrfach höheren Beitrag belastet.

Das führt im Ergebnis zur schlechtesten denkbaren Lösung: Die Unternehmen zahlen insgesamt künftig deutlich mehr und der Qualitätsjournalismus der „Wiener Zeitung“ wird dennoch massiv reduziert.

Unseren Berechnungen zufolge reichen bereits 12 Millionen Euro pro Jahr aus, um den weit über die Grenzen Österreichs anerkannten öffentlich-rechtlichen Journalismus der Redaktion der „Wiener Zeitung“ in Print und Online in vollem Umfang weiterbestehen zu lassen. Die im aktuellen Gesetzesentwurf der Regierung vorgesehenen Mittel für die Wiener Zeitung GmbH fließen jedoch in eine hoch umstrittene Aus- und Weiterbildungsstätte, eine Content-Agentur und ein völlig unklares Nachfolgeprodukt der „Wiener Zeitung“.

Daher fordern wir die Bundesregierung und die Abgeordneten des Nationalrats auf:

1) Die Redaktion der „Wiener Zeitung“ mit 12 Millionen Euro pro Jahr auszustatten, damit es nicht zu desaströsen Personalmaßnahmen kommen muss, die de facto eine Zerschlagung der Redaktion und der Medienprodukte nach sich ziehen werden.

2) Diese 12 Millionen Euro sollten wie von namhaften Experten vorgeschlagen idealerweise durch Zweckwidmung von 25 Cent pro Monat der Einnahmen Haushaltsabgabe für eine „Stiftung Wiener Zeitung“ gewährleistet werden. Diese Stiftung soll das Weiterbestehen des Qualitätsjournalismus der „Wiener Zeitung“ vollumfänglich sicherstellen.

3) Andere Aufgaben der „Wiener Zeitung“ Mediengruppe abseits der Produktion von öffentlich-rechtlichem Journalismus sollten im Sinne einer sauberen Trennung der öffentlichen Mittel auch auf anderem Wege finanziert werden.

Damit wird auch dem Wunsch von tausenden hochrangigen Vertreterinnen und Vertretern aus Kultur, Medien, Wirtschaft, Gesellschaft, Politik, Religion und zahllosen Leserinnen und Lesern der „Wiener Zeitung“ Rechnung getragen, die über alle Parteigrenzen hinweg für den Weiterbestand der „Wiener Zeitung“ kämpfen. Das unterstreicht die ungeheure Akzeptanz, die in der Bevölkerung für dieses immerhin seit 320 Jahren bestehende öffentlich-rechtliche Medium herrscht. Es offensichtlich ohne nachvollziehbaren Grund einzustellen, kann nicht Ziel einer faktenorientierten, erfolgreichen Medienpolitik sein. Die Redaktion und ihre gewählten Vertreterinnen und Vertreter stehen jederzeit für konstruktive Gespräche zur Zukunft des Qualitätsjournalismus der „Wiener Zeitung“ zur Verfügung.

Für die Redakteursversammlung …«


Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung retten.


Im Sinn des Maskenfalls habe ich übrigens mein stehendes Seuchenschlusswort neu formuliert (native speakers aller Länder, feilet daran!):

Distance preferably, hands when possible, masks when needed, always considerate! Ihr Armin Thurnher

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