Foaming and Grooming. Über Persönliches bei öffentlichen Personen.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 976

Armin Thurnher
am 28.03.2023

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Diese Kolumne ist eine Art Tagebuch. So darf es Sie nicht wundern, wenn ich Ihnen berichte, dass ich diesen Satz mindestens zweimal schreiben musste, weil nämlich mein neues Word-Dokument, für das ich mittlerweile eine Abonnementgebühr entrichte, nicht so schnell bereit ist, zu registrieren, wie ich es bin loszulegen. Geistererfahrung: man schreibt in die Maschine, aber die Schreibmaschine ist noch nicht bereit. Wohin hat man da geschrieben? In die Wolken? Nicht einmal, denn auch die Cloud war leer. Word hat nämlich eine Cloud-Speicherfunktion, die es auf allen Geräten operabel macht, sodass ich auch am Handy auf dem Computer Angefangenes weiterschreiben kann, wenn mir im Supermarkt etwas dazu einfällt.

Mir ist zum Beispiel vor dem Milchregal aufgefallen, dass man als Autor auf Kritik schlecht reagiert. Gestern erschien in der Kleinen Zeitung eine Rezension, die es nicht gut mit meinem Buch „Anstandslos“ meinte, aus dem die Cloud gerne ein „Abstandslos“ machen würde (nehme ich fürs nächste Buch); sie stellte mich persönlich als „Schlossherrn“ heraus, um dann ihr Argument darauf aufzubauen, ich würde meine halbwegs tauglichen Ansätze durch Attacken auf persönliche Eigenschaften von Politikern ruinieren.

Zuerst frage ich mich, ob man Kritiken als Autor nicht einfach schweigend hinnehmen muss, was zweifellos elegant ist, aber auch an demütiges Abnicken grenzt. Rezensionen haben zu Unrecht einen schlechten Ruf. Man muss froh sein, wenn Bücher überhaupt noch rezensiert werden. Die Kunst der Kritik – hier habe ich ja auch einmal angefangen, mich darin zu üben, sollte ich fortsetzen – ist im Feuilleton vom Aussterben bedroht. Das ist bedauerlich. Über die erwähnte Rezension bin ich also zuerst einmal froh.


Man soll nicht über etwas herfallen, dessen Existenz man grundsätzlich als Segen empfindet. Ich tue das auch nicht, es reicht, dass ich auf Twitter reagiert habe. Da wurde mir gleich wieder klar, dass fast alles, was man dort tut, einen demagogischen Anstrich bekommt, es formiert kleine Öffentlichkeiten, schafft Parteiungen, scheint um Zustimmung zu betteln oder tut es wirklich.

Auch dieser Spur folge ich heute nicht. Ich widme mich nur einer Frage, die in dieser Rezension aufgeworfen wird: Ob es statthaft ist, Menschen ob ihres Äußeren zu kritisieren. Das wäre es selbstverständlich nicht, wenn es darum ginge, sie aufgrund von Benachteiligungen, Behinderungen oder Verkrüppelungen lächerlich zu machen.


Allerdings muss man über körperliche und psychische Probleme vor allem öffentlich tätiger Menschen sprechen können, wenngleich in möglichst fairer Weise. Soll man etwa Hans-Peter Doskozils Sprechbehinderung durch sein Kehlkopfleiden nicht thematisieren, wo doch gerade die Stimme ein unerlässliches Instrument des politischen Redners ist? Und den Führer, die Führerin einer politischen Partei wird man immer an ihrer Fähigkeit zur öffentlichen Rede messen. Dabei könnte man die zähe, tapfere, leidensfähige und nicht wehleidige Art ins Treffen führen, in der sich Doskozil gegen seine Krankheit wehrt. Was wieder Eigenschaften sind, die ihm eine unverblendete Öffentlichkeit zugute halten könnte, weil sie, anders als die lädierte Stimme und der Hang zur Intrige, ihn wiederum zum öffentlichen Führer qualifizieren.


Es ist nicht einfach. Redeverbote helfen nicht. Ich habe mich in meinem Buch keineswegs gehenlassen, als ich mich darauf einließ, persönliche Eigenschaften von Sebastian Kurz und Wolfang Sobotka mit in die kritische Beschreibung einzubeziehen. Es gibt auf ihre jeweils verquere Weise kaum zwei Menschen, die ihre ohnehin schon maximierte persönliche Eitelkeit so sehr zu einem Teil ihrer öffentlichen Figur machten wie diese beiden. Kurz’ Frisur, die der Rezensent ansprach, war nicht eine persönliche Eigenschaft wie das Haar eines Knaben, das sich nicht hübsch oder chic genug frisieren lässt und der deshalb von bösartigen Mitschülern gemobbt wird. Es war ein Emblem seiner Schwiegersohnhaftigkeit, das aufwendig in Façon gebracht und nach präzisen Anweisungen abgelichtet wurde. Der Vorgang hieß im Kurz-Kreis „Grooming“ und kostete Zeit und Geld.

Wir sind eben nicht mit Naturereignissen konfrontiert, wenn wir Staatsschauspieler betrachten. Das Wort Staatsschauspieler bezeichnete ursprünglich einen beamteten Schauspieler, wurde unter den Nazis zur Ehrenbezeichnung und wandelte sich nach 1945 wieder zurück. Meines Wissens verliehen ihm Karl-Heinz Bohrer und andere Autoren der Zeitschrift Merkur eine neue Wendung, indem sie von Staatsästhetik schrieben (deren Defizite in der Ära Kohl sie beklagten) und hervorhoben, dass Politiker sehr wohl darstellerischer Fähigkeiten bedürfen, und diese auch Teil ihres Jobs sind. Was auch für  Maske und Kostüm gilt.

Aus meinen frühen Theaterjahren darf ich berichten, dass das Wesen von Bühnenmenschen nicht in Verstellungskunst besteht. Sie vermögen vielmehr nur dann etwas auszudrücken, wenn sie selbst etwas sind (oder darstellen, wie man sagt).

Ich selbst habe es vorgezogen, mich beim Schreiben meines Buchs nur dezent zu verstellen.

Wer jahrelang von Kurz & So verarscht wurde (und es weiterhin wird), der darf ruhig (!) ein wenig Empörung empfinden und diese auch literarisch spürbar machen, denke ich. Ich meinte mich zurückgehalten zu haben, andere empfinden es als überschäumend.

Bleiben Sie so gelassen wie ich!


Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung retten.


Im Sinn des Maskenfalls habe ich übrigens mein stehendes Seuchenschlusswort neu formuliert (native speakers aller Länder, feilet daran!):

Distance preferably, hands when possible, masks when needed, always considerate! Ihr Armin Thurnher

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