SPÖ: Kommt was von der Basis, waaß ma, dass es haaß is!

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 974

Armin Thurnher
am 25.03.2023

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Was Politikberater vorzugsweise „Chaostage in der SPÖ“ nennen, würde ich ganz gern als schöpferische Unruhe framen. Ich verstehe überhaupt nicht, wieso die idyllische Friedhofsruhe oder die geordnet marschierende Kolonne als Idealbilder österreichischer Politik hingestellt werden. Vielmehr, ich verstehe es nur zu gut, aber ich billige es nicht.

Nur Unruhe ist schöpferisch, mag sie auch für die Beteiligten unbequem sein. Bequemlichkeit ist selten schöpferisch. Dass die Sozialdemokratie ziemlich viel Nachholbedarf an schöpferischer Energie hat, wird kaum jemand bezweifeln. Die Behauptung, das sogenannte Match Pamela Rendi-Wagner gegen Hans-Peter Doskozil, dieses Gigantenduell der Bindestrich-Namen, animiere nicht gerade zu einem Feuerwerk der politischen Alternativen, wird vermutlich unwidersprochen bleiben.

Das Verbindende über alles zu stellen, ist eine schlechte politische Idee. Und seien es nur die Bindestriche. Es geht darum, das Trennende festzuhalten, damit Gemeinsamkeiten möglich werden. Es wäre also wichtig, herauszustellen, was die Kandidaten voneinander trennt, was ihr politisches Angebot konturiert, welche Interessen sie vertreten, mit welchem ideellen Horizont.

Die fraktionelle Selbstlähmung hat die Sozialdemokratie in einem Augenblick auf den Tiefpunkt gebracht, wo sie benötigt würde wie selten zuvor. Die schwürkise Kellerallianz in Niederösterreich ist nur der Vorschein von Ähnlichem im Bund. Es drohen dunkle Zeiten, ich sagte es bereits. Noch dunklere Zeiten. Die ÖVP ergibt sich vorauseilend der extremen Rechten; im Zeichen scheinbar winkender Corona-Stimmengewinne gibt Rechtsaußen Kickl den Corona-Hassmönch und predigt einen neuen gegenaufklärerischen Irrationalismus herbei, unterstützt von einer desinformationsanfälligen kommunikativen Unordnung; die kommunikative Ordnung wird von der ÖVP mit voller Absicht weiter mit destabilisiert.

Täppisch folgt Kickl der vom manipulativen Gift Fleischmanns infizierte Nehammer, indem er Wissenschaftsskepsis von der Spitze eines demokratischen Staates aus verbreitet. Wahrlich, ich sage euch, wer die Vernunft dem politischen Augenblicksvorteil opfert, wie das mit schmalen Lippen Johanna Mikl-Leitner und mit schmalen Gesten Karl Nehammer tun, der ist bereit, alles zu opfern, was Demokratie heißt, um seiner Partei den schmalen Anteil an der Macht zu sichern.

So drastisch muss man es leider formulieren.

In diesem Augenblick muss man erkennen (spätestens) dass auch die Führer der Sozialdemokratie zu solchen Deals bereit waren und sind. Sie stellen Allianzen mit dem korrupten Boulevard über alles, weil sie mit ihnen die Macht sichern wollen; sie stellen Medieneinfluss über argumentative und persönliche Überzeugung und fühlen sich dabei als Pragmatiker. Das ist aber keine Politik, das ist bloßer Machiavellismus, also auch nur eine sich als vernünftig maskierende Form der despotischen Unvernunft. Man nannte es Faymannismus, es west noch immer in der Partei, und diese Form der Machtausübung ist es auch, welche die Kandidatin Rendi-Wagner mutmaßlich daran hinderte, sich zu entfalten. Andererseits muss man auch sagen, wenn sie diese Hindernisse nicht beseitigen konnte, war sie eben nicht stark genug.

Die neuen Verhältnisse in der SPÖ zeigen eine Art anarchischen Frühling. Man liebt es in Österreich, solche Phänomene als Chaos oder vielleicht sogar Kinderfasching zu diskreditieren (der „antifaschistische Karneval“ des Philosophen Rudolf Burger kommt einem in den Sinn). Der kurze Frühling der Anarchie ist aber vielleicht auch nur die Erleichterung darüber, dass die Eisenklammer der Selbstfesselung durch Scheinpragmatismus endlich fiel und man frei einen Wettbewerb der Konzepte austragen kann.

Vielleicht ermöglicht es der sozialdemokratische Karneval auch Pamela Rendi-Wagner, sich politisch zu konturieren. Mit Andreas Babler ist jedenfalls ein Kandidat an die Stelle Nikolaus Kowalls getreten, für den genau das gleiche gilt, was hier über diesen gesagt wurde, dass er nämlich die glaubhafte Verkörperung von Überzeugung darstellt, den Kampfgeist, der aus einem Ziel entsteht, das außerhalb der persönlichen Interessen der wahlwerbenden Person liegt. Und auch den intellektuellen politischen Hintergrund hat, um das argumentativ durchzuhalten, jenseits von ein paar gespindokterten Vorbereitungsfolien.

Dass eine Partei sich einen demokratischen Frühlingsschub verpasst, kann böswillig, aber auch freundlich interpretiert werden. Die unter öffentlicher Teilnahme angestiegenen Zahlen der Mitglieder sprechen für das zweite. Das Ergebnis kann nur mehr Öffentlichkeit für die politische Alternative bedeuten. Diese Alternative brauchen wir so dringend, dass es auf ein paar Monate mehr oder weniger nicht mehr ankommt.


Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung retten.


Im Sinn des Maskenfalls habe ich übrigens mein stehendes Seuchenschlusswort neu formuliert (native speakers aller Länder, feilet daran!):

Distance preferably, hands when possible, masks when needed, always considerate! Ihr Armin Thurnher

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